Der VfB Stuttgart zwischen 2009 und 2019: Vom Fast-Meister zur Fahrstuhlmannschaft!

Wie hat sich der VfB in den letz­ten zehn Jah­ren ent­wi­ckelt? Das hat Lenn­art letz­ten Som­mer für 120minuten.net auf­ge­schrie­ben. Wir ver­öf­fent­li­chen den Text zum Abschluss des letz­ten Jahr­zehnts hier noch ein­mal — mit einem Update.

Janu­ar 2020: Als ich die­sen Text im Früh­jahr 2019 schrieb, war die Rele­ga­ti­on und ein mög­li­cher Abstieg schon ein nicht ganz unrea­lis­ti­sches Sze­na­rio für den VfB. Die Idee kam mir bereits vor etwa einem Jahr, als ich an eben­je­nen 23. Mai 2009 und das Spiel in Mün­chen zurück­dach­te, als der VfB bis heu­te das letz­te Mal zumin­dest einen Fin­ger an der Scha­le hat­te. Jeder, der den Ver­ein in den letz­ten zehn Jah­ren auch nur ansatz­wei­se ver­folgt hat, konn­te den Nie­der­gang des fünf­ma­li­gen Deut­schen Meis­ters vom Fast-Meis­ter zur Fahr­stuhl­mann­schaft erken­nen. Mein Ziel war es, die­se Ent­wick­lung noch ein­mal genau­er nach­zu­zeich­nen. Für mich, aber auch für Euch ande­re VfB-Fans.

Im Ori­gi­nal­text auf 120minuten.net — dem Blog für Longreads, denen ich an die­ser Stel­le noch­mal aus­drück­lich für Ihre Unter­stüt­zung dan­ke — stand am Ende der Über­schrift ein Fra­ge­zei­chen. Ich habe es jetzt durch ein Aus­ru­fe­zei­chen ersetzt, denn was ich am Tag der Ver­öf­fent­li­chung, der gleich­zei­tig der Tag des Rele­ga­ti­ons-Hin­spiels gegen Uni­on Ber­lin war, nur ver­mu­ten konn­te, wur­de weni­ge Tage spä­ter Rea­li­tät: Der VfB stieg zum drit­ten Mal in sei­ner Ver­eins­ge­schich­te aus der Bun­des­li­ga ab. Auch in der zwei­ten Liga setz­te der Ver­ein für Bewe­gungs­spie­le zudem einen ande­ren Trend fort und ent­ließ mit Tim Wal­ter erneut einen Trai­ner.

Haben wir jetzt also end­lich mit dem zwei­ten Abstieg in drei Jah­ren den Schritt zur Fahr­stuhl­mann­schaft gemacht und damit rock bot­tom erreicht? Geht es ab jetzt nur noch berg­auf, oder geht alles furcht­bar schief? Das lässt sich ein hal­bes Jahr spä­ter natür­lich noch nicht seri­ös beant­wor­ten. Es wur­de aber im Lau­fe der Hin­run­de deut­lich, dass die kata­stro­pha­le Bun­des­li­ga-Sai­son und die pein­lich abge­bro­che­ne Mit­glie­der­ver­samm­lung erst weni­ge Mona­te zurück lagen und der VfB noch einen wei­ten Weg vor sich hat, will er jemals auch nur ansatz­wei­se in der Ver­fas­sung sein, in der er an jenem Mai­tag vor mitt­ler­wei­le zehn­ein­halb Jah­ren war.

Zehn Jahre VfB-Geschichte: Keine gerade Linie

Gemein­hin geht die Geschich­te vom Nie­der­gang des VfB Stutt­gart so: 2007 wur­de der Ver­ein für Bewe­gungs­spie­le zum fünf­ten Mal in sei­ner Geschich­te Meis­ter – danach ging es berg­ab, bis hin­ab in die zwei­te Liga. Aber Geschich­te ist nun mal kei­ne gera­de Linie und Fuß­ball­ge­schich­te schon gar nicht. Im Gegen­teil: Am 23. Mai 2009 hat­te der VfB im Aus­wärts­spiel beim FC Bay­ern Mün­chen zum letz­ten Mal eine reel­le Chan­ce auf den Meis­ter­ti­tel. Alles, was es dafür gebraucht hät­te, war ein Aus­wärts­sieg in Mün­chen und eine Nie­der­la­ge des VfL Wolfs­burg im Heim­spiel gegen Wer­der Bre­men. Es kam anders: Wolfs­burg gewann sein Heim­spiel mit 5:1 und die Bay­ern hol­ten sich durch ein Eigen­tor von Bou­lah­rouz und einen Tref­fer von van Bom­mel die Vize­meis­ter­schaft. Am 23. Mai 2019 steht der VfB zum wie­der­hol­ten Male mit einem Bein in der Zweit­klas­sig­keit, denn er muss in der Rele­ga­ti­on gegen Uni­on Ber­lin antre­ten. Wie wur­de aus einem Ver­ein, der in den 2000ern ein Dau­er­gast im Euro­pa­po­kal war, 2007 Deut­scher Meis­ter wur­de und 2009 die Scha­le zumin­dest in Sicht­wei­te hat­te, in den letz­ten zehn Jah­ren ein Ver­ein, der Sai­son für Sai­son tie­fer im Cha­os zu ver­sin­ken scheint, und dies mit mit der schlech­tes­ten Spiel­zeit sei­ner Bun­des­li­ga-Geschich­te in der Sai­son 2018/2019 krönt?

Erklä­rungs­ver­su­che hat es in den letz­ten Jah­ren zur Genü­ge gege­ben, sie rei­chen von Mut­ma­ßun­gen über ein VfB-Gen, das den Miss­erfolg von Spie­ler­ge­nera­ti­on zu Spie­ler­ge­nera­ti­on wei­ter­trägt, über die offen­sicht­lich feh­len­de Kon­ti­nui­tät auf fast allen wich­ti­gen Posi­tio­nen in der Ver­eins­füh­rung hin zur angeb­lich grund­sätz­lich über­höh­ten Anspruchs­hal­tung des viel­zi­tier­ten “schwie­ri­gen Umfelds”. Ich kann nicht erklä­ren, war­um genau aus dem mit­tel­mä­ßi­gen Ver­ein mit Aus­rei­ßern nach oben der ers­ten zwölf Jah­re mei­ner Fan­kar­rie­re in den letz­ten zehn Jah­ren ein Ver­ein wur­de, von dem die hal­be Liga der Mei­nung ist, ein Abstieg wür­de ihm ganz gut tun. Den­noch möch­te ich ver­su­chen nach­zu­zeich­nen, wie sich der Ver­ein, die Men­schen, die ihn prä­gen und das Umfeld in der Zeit seit 2009 ver­än­dert haben. Doch kei­ne Sor­ge: Ich wer­de nicht 306 Bundesliga‑, 34 Zweitliga‑, 30 Pokal- und x Euro­pa­po­kal­spie­le durch­ackern, son­dern mir die Ent­wick­lung im Ver­ein, im Kader, in der Bun­des­li­ga-Tabel­le, aber auch im Umfeld und des­sen Erwar­tungs­hal­tung anschau­en.

Wie schon gesagt: Fuß­ball­ge­schich­te ist kei­ne gera­de Linie. Um die Ent­wick­lung bes­ser nach­voll­zie­hen zu kön­nen, ist es sinn­voll, die Ent­wick­lung der letz­ten zehn Jah­re noch ein­mal auf­zu­tei­len: In die Zeit zwi­schen jenem 23. Mai 2009 und dem 1. Juni 2013, als der VfB in Ber­lin im Fina­le des DFB-Pokals stand, in die Zeit zwi­schen die­sem ver­lo­re­nen Pokal­fi­na­le und der gro­ßen Zäsur, dem Abstieg 2016, und schließ­lich die Zeit danach bis zum heu­ti­gen Tag. Die Unter­tei­lung lässt sich recht ein­fach begrün­den: Wäh­rend der VfB vor 2013 einem Jojo ähn­lich zwi­schen dem Tabel­len­mit­tel­feld und dem unte­ren Tabel­len­drit­tel hin und her sprang, ging es nach 2013 lang­sam, aber kon­ti­nu­ier­lich berg­ab, bis schließ­lich nach 40 Jah­ren Erst­klas­sig­keit der Abstieg fest­stand. Durch den Abstieg wur­de beim VfB vie­les anders – aber Stand Mai 2019 nicht unbe­dingt bes­ser. War­um das so ist, dazu spä­ter mehr. Wid­men wir uns zunächst ein­mal den vier Jah­ren zwi­schen 2009 und 2013.

Das Jahr 2009

Als der VfB in jenem Mai 2009 in Mün­chen antrat, blick­ten wir auf ein Jahr­zehnt zurück, in dem der Ver­ein ein­mal Meis­ter gewor­den war und sich zwei­mal in der Cham­pi­ons League mit den Größ­ten gemes­sen hat­te. Gegen Mes­sis Bar­ce­lo­na hat­ten wir zwar geführt, aber letzt­end­lich den Kür­ze­ren gezo­gen, Ronal­dos Man­ches­ter United in jenem legen­dä­ren Spiel 2003 geschla­gen. Auch abseits die­ser euro­päi­schen High­lights waren die Brust­ring­trä­ger fast in jeder Spiel­zeit inter­na­tio­nal ver­tre­ten. Prä­gend für die 2000er Jah­re waren auch die “Jun­gen Wil­den”: Zu Beginn des Jahr­zehnts waren das Andre­as Hin­kel, Chris­ti­an Tif­fert oder Kevin Kuranyi, gegen Ende der Deka­de dann Mario Gomez, Ser­dar Tasci oder Sami Khe­di­ra. Auch wenn die Sai­son nach der Meis­ter­schaft tra­di­tio­nell eher unter den Erwar­tun­gen abge­schlos­sen wur­de und Horst Heldt am Trans­fer­markt ein weni­ger glück­li­ches Händ­chen hat­te, konn­te man zu die­sem Zeit­punkt fest­hal­ten: Der VfB Stutt­gart befand sich im Auf­wind.

Jetzt ist es natür­lich ein wenig weit her­ge­holt, die Ände­run­gen, die der deut­sche Fuß­ball in die­sem Som­mer 2009 durch­mach­te, mit dem Nie­der­gang des VfB in Ver­bin­dung zu brin­gen, aber es ist den­noch bemer­kens­wert, dass der VfB bis dato der letz­te ein­ge­tra­ge­ne Ver­ein ist, der die Meis­ter­schaft gewann. 2009 hol­te sich mit Wolfs­burg erst­mals ein Club die Scha­le, des­sen Pro­fi­ab­tei­lung nicht nur aus­ge­glie­dert wur­de, son­dern sich auch noch zu 100 Pro­zent im Eigen­tum eines Unter­neh­mens befand. Die TSG Hof­fen­heim gab in jener Spiel­zeit ihr Debüt in der obers­ten Spiel­klas­se und vor den Toren Leip­zigs über­nahm ein öster­rei­chi­scher Brause­kon­zern den SSV Markran­städt und führ­te ihn zehn Jah­re spä­ter ins Pokal­fi­na­le. Auch wenn der VfB natür­lich an sei­nem Nie­der­gang sel­ber schuld ist: Die Macht­ver­hält­nis­se ver­scho­ben sich damals im deut­schen Fuß­ball. Schließ­lich war ja Wolfs­burg auch der letz­te deut­sche Meis­ter, der nicht aus Dort­mund oder Mün­chen kam.

Wo waren die Gomez-Millionen?

Und beim VfB? Da ver­ab­schie­de­te sich Mario Gomez, Meis­ter-Held und Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fi­gur, wie schon so vie­le vor ihm über die A8 gen Mün­chen. Der VfB kas­sier­te dafür die dama­li­ge Rekord­sum­me von 30 Mil­lio­nen Euro, hat­te also mal wie­der ein Eigen­ge­wächs teu­er ver­kauft. Lei­der wuss­te dadurch jeder Ver­ein in Euro­pa, wie viel Geld Horst Heldt zum Shop­pen zur Ver­fü­gung hat­te. Nach­dem man sich wochen­lang von Klaas-Jan Hun­tel­a­ar auf der Nase her­um­tan­zen ließ und kurz vor Sai­son­be­ginn bekannt gab, man füh­le sich auch mit Cacau, Juli­an Schie­ber, Cipri­an Mari­ca und Nach­wuchs­stür­mer Ales­san­dro Ried­le für die anste­hen­de Bun­des­li­ga- und Cham­pi­ons League-Sai­son gerüs­tet, wur­de in letz­ter Minu­te doch noch Pavel Pogreb­nyak für knapp 5 Mil­lio­nen Euro ver­pflich­tet. Jah­re­lang frag­ten wir uns: Was genau ist eigent­lich mit den rest­li­chen Gomez-Mil­lio­nen pas­siert? Nun, inves­tiert wur­de das Geld damals durch­aus. Zunächst ein­mal in Zdrav­ko Kuz­ma­no­vic, aber auch in Ste­fa­no Celoz­zi vom Karls­ru­her SC und in eine Leih­ge­bühr für die Rück­hol­ak­ti­on von Ali­aksan­dr Hleb. Im Nach­hin­ein eine durch­aus gemisch­te Trans­fer­bi­lanz. Kuz­ma­no­vic konn­te beim VfB durch­aus über­zeu­gen und war für lan­ge Zeit der letz­te VfB-Spie­ler, der einen Frei­stoß direkt ver­wan­delt hat­te. Celoz­zi hin­ge­gen mach­te sich in Stutt­gart nicht nur wegen sei­ner Karls­ru­her Ver­gan­gen­heit unbe­liebt, son­dern auch wegen eher mit­tel­mä­ßi­ger Leis­tun­gen als Rechts­ver­tei­di­ger. Die Rück­kehr der “Zau­ber­maus aus Weiß­russ­land” war zwar emo­tio­nal eine schö­ne Sache, sport­lich aber eher ein Rein­fall und finan­zi­ell auch kein Schnäpp­chen. Aber hey, wer zwei­mal in drei Jah­ren Cham­pi­ons League spielt, hat ja das Geld – das war schon damals so.

2009 bis 2013: Auf und Ab

Am 5. Dezem­ber 2009, dem 15. Spiel­tag der Sai­son 2009/2010, rutsch­te der in der Bun­des­li­ga seit Sep­tem­ber sieg­lo­se VfB nach einem 1:1 gegen den VfL Bochum auf den vor­letz­ten Tabel­len­platz. Ein Spiel, das im Lauf der Zeit unbe­deu­tend erschei­nen mag. An die­sem Abend mani­fes­tier­te sich eine Geis­tes­hal­tung, die bei­spiel­haft war für jene Jah­re. Nach dem Spiel näm­lich pas­sier­te etwas, was man in Stutt­gart in den Jah­ren zuvor nie gese­hen hat­te. Eine grö­ße­re Grup­pe VfB-Fans, dar­un­ter ich, pos­tier­te sich vor dem Ein­gang der Haupt­tri­bü­ne und beschwer­te sich laut­stark über die seit Wochen anhal­ten­de Erfolg­lo­sig­keit. Im Anschluss skan­dier­ten vie­le, ich nicht: “Wenn ihr absteigt, schla­gen wir Euch tot!”. Mal ganz abge­se­hen davon, dass die­se Art der Dro­hung jeg­li­chen Tole­ranz­rah­men sprengt, war die Hef­tig­keit der Reak­ti­on, ver­gli­chen mit der Situa­ti­on im Jahr 2019, schon absurd. Natür­lich hast du die Hin­run­de ziem­lich in den Sand gesetzt, wenn du nach 15 Spie­len Vor­letz­ter bist. Auf der ande­ren Sei­te waren nicht mal 15 Spie­le ver­gan­gen, seit wir fast Deut­scher Meis­ter gewor­den wären. Nur vier Tage nach die­sem denk­wür­di­gen Spiel fei­er­te der VfB einen 3:1‑Heimsieg gegen Uni­rea Urziceni und zog ins Ach­tel­fi­na­le der Cham­pi­ons League ein. Wenn Jour­na­lis­ten oder Fans ande­rer Ver­ei­ne heu­te in Kri­sen­zei­ten vom soge­nann­ten “schwie­ri­gen Umfeld” in Stutt­gart spre­chen: Zur dama­li­gen Zeit stimm­te die­se Zuschrei­bung.

Zudem kris­tal­li­sier­te sich ein Mus­ter her­aus, wel­ches den VfB noch über Jah­re ver­fol­gen soll­te. Das 1:1 gegen Bochum war auch das letz­te Spiel von Mar­kus Bab­bel als Chef­trai­ner des VfB. Sein Vor­gän­ger Armin Veh hat­te zwei­ein­halb Jah­re in Stutt­gart gewirkt und wur­de nach einem ent­täu­schen­den Start in jene Sai­son 2008/2009, die der VfB als Fast-Meis­ter been­de­te, ent­las­sen. Bab­bel war offen­sicht­lich kei­ne so lan­ge Amts­zeit beschert und jedem sei­ner Nach­fol­ger – mit Aus­nah­me von Bru­no Lab­ba­dia – erging es genau­so. Auch Chris­ti­an Gross, der den VfB erst auf Platz 6 führ­te und im Okto­ber 2010 als Tabel­len­letz­ter und nach einem Dis­put mit Auf­sichts­rats­chef Hundt über die finan­zi­el­len Mög­lich­kei­ten wie­der ent­las­sen wur­de. Der Gegen­satz der Jah­res­zei­ten – “Stutt­gar­ter Herbst­de­pres­si­on” und “Kommt Früh­ling, kommt VfB” – trat seit­dem beson­ders stark zu Tage, wenn auch mit zuneh­mend weni­ger Erfolg.

Barcelona oder nix!

Ein kur­zer Blick zurück aufs The­ma Erwar­tungs­hal­tung des Umfelds. Die Dis­kre­panz zwi­schen Erwar­tungs­hal­tung und Unter­stüt­zung wird beson­ders deut­lich, wenn man sich die Zuschau­er­zah­len jener Zeit anschaut. Das eben ange­spro­che­ne letz­te Grup­pen­spiel der Königs­klas­se gegen den rumä­ni­schen Meis­ter Urziceni sahen gera­de ein­mal 25.000 Zuschau­er im Neckar­sta­di­on. In der Fol­ge­sai­son lock­te kei­ner der drei Grup­pen­geg­ner im UEFA-Pokal mehr als 18.000 Zuschau­er an. Als der VfB im Rück­spiel gegen Ben­fi­ca Lis­sa­bon in der Zwi­schen­run­de aus dem Wett­be­werb aus­schied, bequem­ten sich immer­hin 25.000 Men­schen ins Sta­di­on. Sicher­lich mögen auch die kru­den Anstoß­zei­ten, die wider­li­chen Tem­pe­ra­tu­ren – in jenem Win­ter spiel­te der VfB gegen Hof­fen­heim das käl­tes­te Spiel, an das ich mich erin­nern kann, in Bern muss­ten wir uns Anfang Dezem­ber durch meter­ho­hen Schnee kämp­fen – und die Ein­tritts­prei­se eine Rol­le. Aber vor allem waren wir nach einem Jahr­zehnt vol­ler Euro­pa­po­kal­teil­nah­men über­sät­tigt und ein­zig Geg­ner vom Schla­ge eines FC Bar­ce­lo­na konn­ten den geneig­ten Schwa­ben hin­ter dem Ofen her­vor­lo­cken.

Zurück zum Sport­li­chen und in die Sai­son 2009/2010: Gross führ­te die Mann­schaft, wie gesagt, auf den sechs­ten Platz und in die Qua­li­fi­ka­ti­on zur Euro­pa League. Nach­dem man im Vor­jahr end­lich den Umbau des Neckar­sta­di­ons in ein rei­nes Fuß­ball­sta­di­on in die Wege gelei­tet hat­te, schien es so, als wäre der VfB dem nach dem Bochum-Spiel befürch­te­ten Abstieg von der Schip­pe gesprun­gen und könn­te nicht nur infra­struk­tu­rell, son­dern auch sport­lich die Wei­chen stel­len, um an die erfolg­rei­chen letz­ten Jah­re anzu­knüp­fen. Nach­dem bereits im Win­ter der eine Meis­ter-Tor­schüt­ze Tho­mas Hitzl­sper­ger den Ver­ein ver­las­sen hat­te, folg­te ihm im Som­mer 2010 der ande­re: Sami Khe­di­ra wech­sel­te zu Real Madrid. Erneut hat­te der VfB viel Geld zur Ver­fü­gung und wur­de am Trans­fer­markt tätig. Anders als in den Jah­ren zuvor sank jedoch die Tref­fer­quo­te gewal­tig. An Johan Audel erin­nert sich heu­te in Stutt­gart kaum noch jemand, an Mau­ro Camo­ra­ne­si, den damals gera­de sei­nes Amtes ent­ho­be­nen Welt­meis­ter von 2006, schon eher. Hin­zu kam Cris­ti­an Molin­a­ro, den der VfB nach einer erfolg­rei­chen Leih­pe­ri­ode in der Rück­run­de für knapp 4 Mil­lio­nen aus Turin ver­pflich­te­te. Gemein­sam mit Audel, Camo­ra­ne­si und dem jun­gen Georg Nie­der­mei­er von Bay­ern Mün­chen waren die 14 Mil­lio­nen Euro, die man für Khe­di­ra aus Madrid über­wie­sen bekom­men hat­te, schon fast wie­der weg. Dabei taten sich sport­lich eher ande­re her­vor: Die ablö­se­frei aus Wolfs­burg respek­ti­ve Japan ver­pflich­te­ten Chris­ti­an Gent­ner und Shin­ji Oka­za­ki und der für klei­nes Geld aus Bre­men gehol­te Mar­tin Har­nik. Sie soll­ten zwar in Stutt­gart nicht zu abso­lu­ten Top­spie­lern wer­den, hat­ten aber im Nach­hin­ein immer noch das bes­te Preis-Leis­tungs-Ver­hält­nis der Trans­fers jener Tage.

Aufregung auf und neben dem Spielfeld

Das Pro­blem: Die Sai­son 2010/2011 ver­lief sport­lich erschre­ckend schwach. Der VfB ver­brach­te einen Groß­teil der Spiel­zeit auf einem Abstiegs­platz, erst Jens Kel­ler und schließ­lich Bru­no Lab­ba­dia führ­ten den Ver­ein am Ende auf Platz 12. Bereits im Juli und damit mit­ten in der Sai­son­vor­be­rei­tung hat­te sich Horst Heldt, der Bau­herr der Meis­ter­schaft 2007, in Rich­tung Gel­sen­kir­chen ver­ab­schie­det und nicht nur ich wun­der­te mich damals, wel­che Trans­fers er viel­leicht mit Rück­sicht auf sei­nen zukünf­ti­gen Arbeit­ge­ber nicht ein­fä­del­te. Sein Nach­fol­ger wur­de Fre­di Bobic und der hat­te in der Fol­ge gleich mit zwei­er­lei Pro­ble­men zu kämp­fen: Einem Kader vol­ler Spie­ler, die einer­seits gehalts­tech­nisch in der Cham­pi­ons League spiel­ten, die es ande­rer­seits in der Rea­li­tät aber höchs­tens in die wesent­lich weni­ger lukra­ti­ve Euro­pa League brach­ten. Oder wie eben in der Sai­son 2011/2012 nicht ein­mal das. Immer­hin gelan­gen Bobic damals noch ein paar Tref­fer am Trans­fer­markt. Vedad Ibi­se­vic aus Hof­fen­heim bei­spiels­wei­se, der in den fol­gen­den Jah­ren die ein­zi­ge Kon­stan­te im VfB-Sturm sein soll­te. Auch Wil­liam Kvist war noch einer der bes­se­ren defen­si­ven Mit­tel­feld­spie­ler der letz­ten zehn Jah­re. Außer­dem konn­te man Ibrahi­ma Tra­o­ré mit einem Jahr Ver­zö­ge­rung end­lich aus Augs­burg los­ei­sen. Auf der ande­ren Sei­te war dies die Trans­fer­pe­ri­ode, in der man sich end­gül­tig für Sven Ulreich und gegen Bernd Leno ent­schied, der nie ein Bun­des­li­ga-Spiel für den VfB machen soll­te und des­sen wei­te­rer Kar­rie­re­weg bekannt ist. Auch Ermin Bikak­cic hät­te der VfB-Abwehr in den fol­gen­den Jah­ren nicht schlecht zu Gesicht gestan­den. Nichts­des­to­trotz qua­li­fi­zier­te man sich 2012 über Platz 6 erneut für den Euro­pa­po­kal, zum drit­ten Mal in den letz­ten vier Jah­ren. Es war viel­leicht das bes­te Jahr unter Bru­no Lab­ba­dia, beson­ders in der Rück­run­de dreh­te der VfB auf, schlug Ber­lin 5:0, schoss bei den Sie­gen über Frei­burg, Ham­burg, Mainz und Bre­men jeweils vier Tore und lie­fer­te sich beim mitt­ler­wei­le legen­dä­ren 4:4 im West­fa­len­sta­di­on einen wil­den Schlag­ab­tausch mit dem spä­te­ren Deut­schen Meis­ter.

Gleich­zei­tig lief es abseits des Plat­zes alles ande­re als präch­tig. Nach dem Ende der Amts­zeit des mitt­ler­wei­le zum Ehren­prä­si­den­ten ernann­ten Erwin Staudt mach­te Die­ter Hundt von sei­nem Vor­schlags­recht für das Amt des Prä­si­den­ten Gebrauch und hiev­te Gerd Mäu­ser ins obers­te Amt des Ver­eins für Bewe­gungs­spie­le. Es soll­te in einer am Ende elf­jäh­ri­gen Amts­zeit der letz­te und ent­schei­den­de Feh­ler Hundts sein. Mäu­ser war dem Ver­neh­men nach nicht nur mensch­lich mit der Füh­rung des Ver­eins über­for­dert, son­dern auch inhalt­lich. In sei­ne gera­de mal zwei­jäh­ri­ge Amts­zeit fal­len Schnaps­ideen wie die Zusam­men­ar­beit mit dem umstrit­te­nen Ticket­ver­wer­ter Viago­go oder die pein­li­che, wochen­lan­ge Suche nach einem Sta­di­on­song. Gleich­zei­tig wur­de der Spar­kurs von Finanz­chef Ulrich Ruf, der sich Gerüch­ten zufol­ge auch damals noch der moder­nen Daten­ver­ar­bei­tung mit PC ver­wei­ger­te, immer rigo­ro­ser. Das und das feh­len­de Talent von Bobic, aus den gerin­gen vor­han­de­nen Mit­teln etwas Ver­nünf­ti­ges zu gestal­ten führ­te dazu, dass der Ver­ein zu Beginn der Sai­son 2012/2013 gezwun­gen war, Kha­lid Bou­lah­rouz zu ver­kau­fen. Auch Zdrav­ko Kuz­ma­no­vic so wie der in die Jah­re gekom­me­ne Meis­ter­spie­ler Mathieu Del­pierre ver­lie­ßen den Ver­ein. Es war vor allem die­ser Som­mer 2012, der Bobics Ruf als Sport­vor­stand in Stutt­gart nach­hal­tig beschä­dig­te. Den jun­gen Alex­an­dru Maxim, der in der Win­ter­pau­se kam, kann man noch als Licht­blick durch­ge­hen las­sen. Feli­pe, Mache­da, Tor­un und Hoog­land hin­ge­gen sind Namen, die heu­te noch jeden VfB-Fan erschau­dern las­sen.

Hin­zu kam, dass der Fuß­ball, den Bru­no Lab­ba­dia in die­ser Sai­son mit die­ser Mann­schaft spie­len ließ, erbärm­lich anzu­schau­en war. Es war die Sai­son, in der der Trai­ner des zu die­sem Zeit­punkt Tabel­len­fünf­zehn­ten die Jour­na­lis­ten nach einem 2:2 gegen Lever­ku­sen wis­sen ließ, dass sei­ne Kol­le­gen und er kei­ne Müll­ei­mer sei­en und sich über­le­gen müss­ten, ob sie einen schwe­ren Weg mit­gin­gen oder sag­ten “Am Arsch geleckt”. Gleich­zei­tig nah­men die Pro­tes­te gegen Prä­si­dent Mäu­ser und Auf­sichts­rats­chef Hundt – auch, aber nicht nur wegen der sport­li­chen Mise­re – so sehr zu, dass sich erst der eine und dann der ande­re zum Rück­tritt gezwun­gen sah. Inmit­ten all die­ser Tur­bu­len­zen erreich­te eine wie erwähnt erbärm­lich spie­len­de Mann­schaft am Ende der Sai­son Platz 12 – und das Pokal­fi­na­le gegen Bay­ern Mün­chen. Nach sechs Jah­ren end­lich wie­der in Ber­lin. Wie­der ein wich­ti­ges Spiel, wie­der gegen Mün­chen, wie­der die zumin­dest theo­re­ti­sche Chan­ce auf einen Titel. Und ange­sichts der sich auf Tri­ple-Kurs befind­li­chen Bay­ern die sehr prak­ti­sche Chan­ce auf eine erneu­te Euro­pa­po­kal-Teil­nah­me. Es wur­de eine der gro­ßen Selbst­täu­schun­gen in der jün­ge­ren Geschich­te des Ver­eins.

Das Jahr 2013

Denn dem VfB gelang das Kunst­stück, sich mit drei Heim­sie­gen gegen die dama­li­gen Zweit­li­gis­ten St. Pau­li, Köln und Bochum ins Pokal­halb­fi­na­le zu spie­len – übri­gens bei kei­nem der drei Spie­le vor mehr als 27.000 Zuschau­ern in einem nach dem Aus­bau mitt­ler­wei­le über 50.000 Men­schen fas­sen­den Neckar­sta­di­on – wo er auf den SC Frei­burg traf und sich mit einem 2:1 die Qua­li­fi­ka­ti­on zum UEFA-Pokal erspiel­te. Es war das letzt­lich mit 2:3 ver­lo­re­ne Pokal­fi­na­le, wel­ches Bru­no Lab­ba­dia das Trai­ner­amt ret­te­te und den Ver­ein in der fal­schen Sicher­heit wog, dass, wer sich zum zwei­ten Mal in Fol­ge für Euro­pa qua­li­fi­ziert, schon auf dem rich­ti­gen Weg sei. Dass das nicht stimmt, wur­de schon allein an Bobics Kar­di­nal­feh­ler deut­lich, Joshua Kim­mich kei­ne Per­spek­ti­ve für den Pro­fi­be­reich auf­zu­zei­gen und ihn statt­des­sen an den dama­li­gen Dritt­li­gis­ten aus Leip­zig zu ver­kau­fen.

Was kenn­zeich­net also die Zeit zwi­schen 2009 und 2013 beim VfB? Grund­sätz­lich rich­ti­ge und wich­ti­ge Wei­chen­stel­lun­gen wie der Umbau des Neckar­sta­di­ons oder die sport­lich bedeu­tungs­lo­se, aber für die Fans und Mit­glie­der wich­ti­ge Ein­füh­rung des zwi­schen 1949 und 1994 genutz­ten “alten” Ver­eins­wap­pens. Gleich­zei­tig aber der Beginn einer unge­sun­den Trai­ner­fluk­tua­ti­on und ein lang­sa­mer wirt­schaft­li­cher und sport­li­cher Abstieg, Ent­wick­lun­gen, die sich irgend­wann auch gegen­sei­tig beding­te. Nicht zuletzt aber sehr wech­sel­haf­te Sai­son­ver­läu­fe, die immer wie­der den Blick auf die struk­tu­rel­len Pro­ble­me des Ver­eins ver­stell­ten.

Gera­de den sich lang­sam abzeich­nen­den sport­li­chen Abstieg ver­deut­licht ein Ver­gleich der Kader, die der VfB in die bei­den Spie­le gegen Mün­chen am 23. Mai 2009 und am 1. Juni 2013 ins Ren­nen schick­te:

34. Spiel­tag 2009
Leh­mann, Magnin, Bou­lah­rouz, Nie­der­mei­er, Träsch, Khe­di­ra, Hitzl­sper­ger, Geb­hart, Hil­bert, Gomez, Cacau – Stolz, Boka, Del­pierre, Elson, Lanig, Mari­ca, Schie­ber – Ulreich, Tasci,

Pokal­fi­na­le 2013
Ulreich, Molin­a­ro, Nie­der­mei­er, Tasci, Rüdi­ger, Gent­ner, Boka, Tra­o­ré, Maxim, Har­nik, Ibi­se­vic – Zieg­ler, Röckert, Sakai, Holz­hau­ser, Kvist, Cacau, Oka­za­ki

Aus heu­ti­ger Sicht hat­te die 2013er Mann­schaft durch­aus noch ihre Qua­li­tä­ten, dem Ver­gleich mit der 2009er Mann­schaft, in der noch der ein oder ande­re Meis­ter­spie­ler stand, hält sie jedoch nicht stand.

2013 bis 2016: Von unten nach ganz unten

Und sie soll­te noch wei­ter an Sub­stanz ver­lie­ren. Nach­dem man sich in der ers­ten Qua­li­fi­ka­ti­ons­run­de zur Euro­pa League gegen Plov­div noch irgend­wie durch­gerum­pelt hat­te, ver­lor man das bis dato letz­te Aus­wärts­spiel im Euro­pa­po­kal im alt­ehr­wür­di­gen Kan­tri­da zu Rije­ka und schied nach dem Unent­schie­den im Rück­spiel aus. Es folg­te der gro­ße Schock: Kapi­tän Ser­dar Tasci ver­ließ noch vor Ende der Trans­fer­pe­ri­ode das sin­ken­de Schiff Rich­tung Mos­kau – so dach­te ich zumin­dest damals. Gerüch­ten zufol­ge war der Ver­ein aber auf­grund der ver­pas­sen Euro­pa­po­kal­ein­nah­men lang­sam so klamm, dass er ihn ver­kau­fen muss­te. Ansons­ten wur­de Fre­di Bobics vor­letz­te Trans­fer­pe­ri­ode bekannt als der Som­mer, in dem wir Han­no­ver 96 leer­kauf­ten. Gleich drei Spie­ler – Moham­med Abdel­laoue, Koka Rausch und Karim Hag­gui – wech­sel­ten von der Lei­ne an den Neckar, dazu so Kory­phä­en wie Moritz Leit­ner, Ser­can Sara­rer und Dani­el Schwa­ab und ach ja, der Kiwi-Mes­si Mar­co Rojas. Wem lang­wei­lig ist, der darf ger­ne mal goog­len, was die Her­ren heu­te machen und soll­te sich dabei nicht von Schwaabs Euro­pa­po­kal-Aben­teu­ern mit Eind­ho­ven täu­schen las­sen. Vor allem die Abwehr des VfB ent­wi­ckel­te sich in der Fol­ge zum klas­si­schen Schwei­zer Käse und nach drei Nie­der­la­gen aus den ers­ten drei Sai­son­spie­len sowie dem Aus im Euro­pa­po­kal war dann auch – viel zu spät – Schluss für Bru­no Lab­ba­dia, des­sen Ver­trag in der Som­mer­pau­se noch ver­län­gert wor­den war.

Sehnsuchtsort Kantrida: 2013 bestritt der VfB das letzte Auswärtsspiel im Europapokal © vfb-bilder.de
Sehn­suchts­ort Kan­tri­da: 2013 bestritt der VfB das letz­te Aus­wärts­spiel im Euro­pa­po­kal © vfb-bilder.de

Sei­nem Nach­fol­ger Tho­mas Schnei­der gelan­gen zwar zwei ful­mi­nan­te Sie­ge gegen Hof­fen­heim und Braun­schweig, nach einer 1:6‑Klatsche in Dort­mund Anfang Sep­tem­ber setz­te es in den dar­auf fol­gen­den zwölf Spie­len jedoch ins­ge­samt zehn Nie­der­la­gen, davon unglaub­li­che acht Plei­ten hin­ter­ein­an­der. Und so hat­te der VfB am 25. Spiel­tag mit der ers­ten Ver­pflich­tung von Huub Ste­vens nach 2010/11 schon wie­der eine Drei-Trai­ner-Sai­son. Es reich­te am Ende für Platz 15, aber auch nur, weil sich mit Braun­schweig, Nürn­berg und dem HSV am Ende drei Mann­schaf­ten fan­den, die sich noch unfä­hi­ger anstell­ten als der VfB. Wer sich 2019 wun­der­te, dass Huub Ste­vens in Gel­sen­kir­chen kei­ne Wun­der voll­brach­te, dem sei gesagt, dass ihm das auch in Stutt­gart nur leid­lich gelang. Gegen sei­nen Sta­tus als Wun­der­hei­ler spricht bei­spiels­wei­se eine völ­lig harm­lo­se 0:2‑Niederlage beim direk­ten Kon­kur­ren­ten und spä­te­ren Abstei­ger Nürn­berg, genau­so wie ein 0:0 gegen die nur eine Posi­ti­on über dem VfB ran­gie­ren­den Han­no­ve­ra­ner. Am 33. Spiel­tag stand der Klas­sen­er­halt dann den­noch fest. Ste­vens hat­te sei­ne Mis­si­on erfüllt.

Die Rückkehr des Meistertrainers

Und wur­de in der neu­en Sai­son von Armin Veh ersetzt. Erneut offen­bar­te der Ver­ein sei­ne Fähig­keit zur Selbst­täu­schung. Der Meis­ter­trai­ner von 2007 wur­de sie­ben Jah­re spä­ter auf der Mit­glie­der­ver­samm­lung im Som­mer wahl­wei­se wie der leib­haf­ti­ge Mes­si­as gefei­ert oder wie der ver­lo­re­ne Sohn emp­fan­gen – und trat bereits im Novem­ber 2014 nach einer Nie­der­la­ge in Augs­burg wie­der zurück. Auch Fre­di Bobic war zu die­sem Zeit­punkt schon nicht mehr im Amt. Abge­se­hen von der desas­trö­sen sport­li­chen Ent­wick­lung war wei­ter­hin die immer weni­ger bun­des­li­ga­taug­li­che Abwehr das Pro­blem, die zwar in die­ser Sai­son auch vom jun­gen Timo Baum­gartl, aber eben auch von Adam Hlou­sek ver­stärkt wur­de. Der kam von Abstei­ger Nürn­berg und brach­te auch genau die Qua­li­tät auf den Platz, die man vom Abwehr­spie­ler eine Abstei­gers erwar­te­te. Hin­zu kam Flo­ri­an Klein, des­sen bes­ter Auf­tritt im Brust­ring wesent­lich spä­ter der ent­schei­den­de Tref­fer zum 3:2 in Nürn­berg in der zwei­ten Liga sein soll­te. Die Namen Dani­el Gin­c­zek und Filip Kostic, die eben­falls zu die­ser Sai­son ver­pflich­tet wur­den, klin­gen von 2019 aus gese­hen gar nicht so schlecht. Der eine war jedoch in den fol­gen­den Jah­ren mehr ver­letzt als gesund, wäh­rend der ande­re sich mit weni­gen Aus­nah­men an das all­ge­mei­ne Niveau der Mann­schaft anpass­te. Die­se Mann­schaft über­nahm erneut Huub Ste­vens, führ­te sie durch eine mit­tel­mä­ßi­ge Rest-Hin­run­de und eine genau­so mit­tel­mä­ßi­ge Rück­run­de, was ange­sichts der Aus­gangs­la­ge vor dem Trai­ner­wech­sel den 18. Tabel­len­platz nach 31 Spie­len bedeu­te­te. Als Flo­ri­an Klein in jenem 31. Liga­spiel den Ball zum 3:2 für den FC Schal­ke in sein eige­nes Tor beför­der­te, waren wir uns eigent­lich schon sicher, dass es uns die­ses Mal erwi­schen wür­de. Drei Wochen spä­ter traf Dani­el Gin­c­zek in der 72. Minu­te des letz­ten Sai­son­spiels ins Tor des SC Pader­born und der VfB war ein wei­te­res Mal geret­tet.

War das das Hap­py End? Hat­te der VfB end­lich aus sei­nen Feh­lern gelernt? Natür­lich nicht. Im Janu­ar war Robin Dutt als neu­er Sport­vor­stand bestellt wor­den und der rech­ne­te nach dem Klas­sen­er­halt erst­mal medi­en­wirk­sam mit sei­nem Vor­gän­ger Bobic ab. Gleich­zei­tig hat­te Auf­sichts­rats­mit­glied und Ver­eins­le­gen­de Han­si Mül­ler bereits vor Sai­son­ende, also mit­ten im Abstiegs­kampf, aus­ge­plau­dert, dass der Trai­ner in der kom­men­den Sai­son 2015/2016 Alex­an­der Zor­ni­ger hei­ßen wür­de. Das Resul­tat sei­ner Indis­kre­ti­on: Der Rück­tritt aus dem Auf­sichts­rat. Über­haupt ging es beim VfB nicht nur auf dem Platz, son­dern auch abseits des­sen drun­ter und drü­ber. Die ein­zi­ge Kon­stan­te war eigent­lich Bernd Wahl­er, der Nach­fol­ger von Gerd Mäu­ser im Prä­si­den­ten­amt. Er mach­te sich dar­an, das The­ma Aus­glie­de­rung, wel­ches schon eine Wei­le wie das viel­zi­tier­te Damo­kles­schwert über den Ver­eins­mit­glie­dern hing, end­lich zur Umset­zung zu brin­gen. Chef des Auf­sichts­ra­tes wur­de nach dem Aus­schei­den von Die­ter Hundt Daim­ler-Mann Joa­chim Schmid. Der trat aber wie­der­um nach der Mit­glie­der­ver­samm­lung 2015, auf der dem gan­zen Gre­mi­um die Ent­las­tung ver­sagt wur­de, genau­so zurück wie sein Kol­le­ge Dr. Gar­cia und kurz zuvor Han­si Mül­ler, so dass der Auf­sichts­rat schließ­lich nur noch aus Mar­tin Schä­fer (Würth), Hart­mut Jen­ner (Kär­cher) und Wil­fried Porth (Daim­ler) bestand.

Katastrophe Abstieg

Robin Dutt begann damit, den Kader für die Zukunft auf­zu­stel­len. Er ver­lieh Vedad Ibi­se­vic, der bei den Fans nach sei­ner roten Kar­te im Abstiegs­kampf 2014 sowie­so unten durch war, nach Ber­lin. Anto­nio Rüdi­ger wech­sel­te etwas über­ra­schend zur AS Rom für Geld, das der wei­ter­hin klam­me VfB ger­ne annahm. Nicht, dass er in der VfB-Defen­si­ve Bäu­me aus­ge­ris­sen hat­te. Im Nach­hin­ein war es jedoch kein Wun­der, dass die Mann­schaft ohne ihn mit 75 die zweit­meis­ten Gegen­to­re ihrer Bun­des­li­ga-Geschich­te kas­sie­ren soll­te. Sven Ulreich, der sich schon seit Jah­ren sport­lich nicht mehr wei­ter­ent­wi­ckelt hat­te, wech­sel­te nach Mün­chen, außer­dem ent­le­dig­te sich Dutt in einem Rutsch der sport­li­chen Miss­ver­ständ­nis­se namens Hag­gui, Abdel­laoue, Rausch und Sara­rer. Timo Wer­ner soll­te in sei­ne drit­te und letz­te Sai­son beim VfB gehen – was wir zwar befürch­te­ten, aber natür­lich damals noch nicht wuss­ten. Trai­niert wur­de die Mann­schaft wie von Han­si Mül­ler ange­kün­digt von Alex­an­der Zor­ni­ger – aller­dings erneut nur bis zu einer Nie­der­la­ge gegen den FC Augs­burg. Im Nach­hin­ein muss man lei­der sagen, dass Zor­ni­ger vor allem sei­ne Stur­heit bezüg­lich sei­nes Spiel­sys­tems den Stuhl kos­te­te. Abge­se­hen davon, dass die Hin­ter­mann­schaft inklu­si­ve Tor­wart Tyton ein Desas­ter war, gelang es ihm nicht, sei­ne Spie­ler mit­zu­neh­men. Kein Wun­der, wenn man sein Team zu Sai­son­be­ginn bei 40 Grad im Schat­ten ein­fach wei­ter anren­nen und den sicher geglaub­ten Vor­sprung noch ver­spie­len lässt. Bei sei­nem Nach­fol­ger, Nach­wuchs­trai­ner Jür­gen Kram­ny, war man da nach einem über­ra­schen­den 3:1 gegen Wolfs­burg opti­mis­ti­scher und mach­te ihn für den Rest der Sai­son zum Chef­trai­ner. Es ende­te in der Kata­stro­phe Abstieg. Wobei dafür natür­lich nicht nur der Trai­ner, sein Vor­gän­ger oder der Sport­di­rek­tor schuld waren, son­dern vor allem jene Füh­rungs­spie­ler, die dem Abstieg in den letz­ten Jah­ren schon mehr­fach ent­ron­nen waren und die nach einer beein­dru­cken­den Kurz­se­rie im Febru­ar dach­ten, zehn Punk­te Vor­sprung auf einen Abstiegs­platz wür­den schon aus­rei­chen für den erneu­ten Klas­sen­er­halt. Nicht, dass sich die VfB-Mann­schaf­ten der Vor­jah­re im jewei­li­gen Sai­son­ver­lauf mit Ruhm bekle­ckert hät­ten, schon gar nicht in Sachen Men­ta­li­tät. Aber in die­ser Sai­son kam alles zusam­men: Über­heb­lich­keit, Ego­is­mus, sie­ben Eigen­to­re und eine sport­lich erschre­ckend schwa­che Qua­li­tät.

 

Wolfsburg, 14. Mai 2016: Der VfB steigt nach 40 Jahren aus der Bundesliga ab. © vfb-bilder.de
Wolfs­burg, 14. Mai 2016: Der VfB steigt nach 40 Jah­ren aus der Bun­des­li­ga ab. © vfb-bilder.de

Das Jahr 2016

Mai 2016 – der zwei­te Abstieg in der Bun­des­li­ga-Geschich­te des VfB Stutt­gart, der ers­te seit 41 Jah­ren. Die logi­sche Kon­se­quenz und gleich­zei­tig der abso­lu­te Tief­punkt einer Abwärts­spi­ra­le, die schon Jah­re vor­her begon­nen hat­te. Und gleich­zei­tig so unnö­tig. Denn anders als 2015 war der VfB im Febru­ar 2016 eigent­lich in einer recht kom­for­ta­blen Situa­ti­on und auch die Mann­schaft war rein auf dem Papier kei­ne abso­lu­te Trüm­mer­trup­pe, wie der Ver­gleich zwi­schen dem Kader beim Pokal­fi­na­le 2013 und dem beim letz­ten Spiel 2016 in Wolfs­burg zeigt.

Pokal­fi­na­le 2013
Ulreich, Molin­a­ro, Nie­der­mei­er, Tasci, Rüdi­ger, Gent­ner, Boka, Tra­o­ré, Maxim, Har­nik, Ibi­se­vic, Zieg­ler, Röckert, Sakai, Holz­hau­ser, Kvist, Cacau, Oka­za­ki

Wolfs­burg 2016
Lan­ge­rak, Insua, Baum­gartl, Schwa­ab, Zim­mer­mann, Rupp, Gent­ner, Kostic, Dida­vi, Wer­ner, Kra­vets, Tyton, Hei­se, Klein, Nie­der­mei­er, Maxim, Har­nik, Tash­chy

Sicher­lich konn­te Prze­mys­law Tyton, der über gro­ße Tei­le der Sai­son durch die Ver­let­zung von Mitch Lan­ge­rak zum Stamm­tor­wart wur­de, Sven Ulreich nicht erset­zen und auch Stür­mer Artem Kra­vets und Ver­tei­di­ger Phil­ip Hei­se schlu­gen eher nicht so ein. Auf der ande­ren Sei­te ste­hen aber Spie­ler wie Kostic, Dida­vi, Wer­ner, Maxim und Har­nik, denen es eigent­lich hät­te gelin­gen müs­sen, den VfB vor dem Abstieg zu bewah­ren. Das Pro­blem: Die­se Akteu­re hat­ten viel­leicht das Talent im Fuß, aber nicht die rich­ti­ge Men­ta­li­tät dazu. Nicht nur die Abwehr des VfB war aus finan­zi­el­len Grün­den ent­kernt gewor­den, son­dern die gan­ze Mann­schaft. Wohin man schau­te, nir­gends war jemand zu erken­nen, den man als Füh­rungs­spie­ler iden­ti­fi­zie­ren konn­te oder als “aggres­si­ve lea­der”, um ein ande­res Schlag­wort zu benut­zen. Kevin Groß­kreutz war viel­leicht Sym­pa­thie­trä­ger, aber in den letz­ten Spie­len ver­letzt und konn­te selbst, als er fit war, sport­lich nur in über­schau­ba­rem Rah­men etwas bei­tra­gen.

Geduldiges Umfeld

Die Zeit zwi­schen dem irre­füh­ren­den Pokal­fi­na­le und dem Absturz in die zwei­te Liga war aber auch die Zeit, in der die VfB-Fans das Image des “schwie­ri­gen Umfelds” abstreif­ten und Demut lern­ten. Man stel­le sich ein­mal vor, dass Dein Ver­ein drei Jah­re hin­ter­ein­an­der ver­sucht, sich im Som­mer neu auf­zu­stel­len und im Herbst all das wie­der ein­reißt. Dass eine Mann­schaft mit wech­seln­den Spie­lern den Ver­ein drei Spiel­zei­ten in Fol­ge in den tiefs­ten Abstiegs­kampf rei­tet und erst in letz­ter Minu­te in der Lage ist, sich am eige­nen Schopf aus dem Sumpf zu zie­hen – oder zuletzt eben gar nicht. Dass jedes Jahr gro­ße Ver­spre­chun­gen gemacht wer­den, wie alles wie­der bes­ser wird und dass man aus den Feh­lern der Ver­gan­gen­heit gelernt habe. Und nach die­sen drei Jah­ren ist alles umsonst. Die Ret­tung 2014, die Exta­se nach dem Abpfiff in Pader­born 2015, alles. HSV-Fans wis­sen mitt­ler­wei­le, wovon ich rede. Und in die­ser gan­zen Zeit eska­lier­te es im Umfeld genau ein ein­zi­ges Mal: Als die Mann­schaft im letz­ten Heim­spiel 2016 eine Füh­rung gegen Mainz ver­spiel­te und vor dem Wolfs­burg-Spiel sowie­so nur noch theo­re­ti­sche Chan­cen auf Platz 15 hat­te, brach sich der gan­ze Frust, die Ent­täu­schung, in einem Platz­sturm Bahn. Nicht mit dem Ziel, Spie­ler oder Ver­ant­wort­li­che kör­per­lich für das Ver­sa­gen zu bestra­fen, son­dern auf der Suche nach Ant­wor­ten. Im Gegen­satz dazu stand die Nie­der­la­ge gegen Dort­mund im Febru­ar 2015, als ein 18-jäh­ri­ger Timo Baum­gartl, nach­dem er sich spiel­ent­schei­dend von Mar­co Reus den Ball hat­te abluch­sen las­sen, nach dem Spiel von der Kur­ve getrös­tet wur­de.

Im Mai 2016 waren es dann die Fans, die den Trost brauch­ten, den ihnen nie­mand geben konn­te. Statt­des­sen lös­te sich der Ver­ein für ein paar Wochen in sei­ne Ein­zel­tei­le auf. Der erfolg­lo­se Trai­ner Kram­ny such­te eben­so das Wei­te wie der mit gro­ßen Ver­spre­chun­gen ange­tre­te­ne Sport­vor­stand Robin Dutt und Prä­si­dent Bernd Wahl­er. Der Rumpf der Ver­eins­füh­rung, bestehend aus Finanz­chef Ste­fan Heim und Mar­ke­ting­vor­stand Jochen Rött­ger­mann sowie den bereits erwähn­ten Auf­sichts­rä­ten Schä­fer, Jen­ner und Porth such­te und fand zuerst in Jos Luhuk­ay einen Trai­ner und dann zwei Mona­te spä­ter in Jan Schin­del­mei­ser einen neu­en Sport­vor­stand. Eine Rei­he Spie­ler ver­ließ natür­lich auch den Ver­ein. Timo Wer­ner wur­de, so muss man mitt­ler­wei­le fest­hal­ten, unter Wert nach Leip­zig ver­kauft, Kostic zum HSV und Dida­vi nach Wolfs­burg. Gleich­zei­tig ver­lie­ßen vor allem jene Spie­ler, von denen man sich die meis­ten men­ta­len Impul­se im Abstiegs­kampf erwar­tet, hat­te den Ver­ein: Mar­tin Har­nik ging zum Mit­ab­stei­ger Han­no­ver, Georg Nie­der­mei­er nach Frei­burg und Dani­el Schwa­ab zur PSV Eind­ho­ven. Die per­fek­ten Vor­aus­set­zun­gen also für einen Neu­an­fang.

2016 bis 2019: Alles anders – ach, doch nicht

Zunächst wirk­te auch alles wie ein Neu­an­fang – nicht nur, weil es für vie­le von uns die ers­te Sai­son in der Zweit­klas­sig­keit war. Schin­del­mei­ser ver­pflich­te­te Spie­ler wie Ben­ja­min Pavard, Car­los Mané und Taku­ma Asa­no. Zuvor hat­te der Ver­ein bereits Zweit­li­ga-Tor­schüt­zen­kö­nig Simon Terod­de geholt. Dass man den Trai­ner vor dem Sport­di­rek­tor ange­stellt hat­te, soll­te sich schnell rächen, als Luhuk­ay nach einem etwas holp­ri­gen Sai­son­start durch Han­nes Wolf ersetzt wur­de. Noch so jemand wie Pavard, Mané oder Asa­no, von dem vor­her noch nie­mand etwas gehört hat­te. War das der neue VfB, mit jun­gen Spie­lern, einem jun­gen Trai­ner und einem Sport­vor­stand, des­sen bei­de Neu­zu­gän­ge in ihrem ers­ten Spiel gegen Fürth eines der traum­haf­tes­ten Tore der jün­ge­ren VfB-Geschich­te schos­sen?

Nun­ja, ein Prä­si­dent fehl­te ja noch und der wur­de vom drei­köp­fi­gen Auf­sichts­rat kurz nach Sai­son­be­ginn prä­sen­tiert, selbst­re­dend ohne Gegen­kan­di­da­ten: Wolf­gang Diet­rich, ehe­ma­li­ger Spre­cher von Stutt­gart 21 und allein des­halb schon nicht mit dem bes­ten Leu­mund in Stutt­gart. Des­sen Ziel, abge­se­hen von der Beset­zung des Prä­si­den­ten­am­tes, schien in die­ser Zweit­li­ga-Sai­son vor allem eines zu sein: Die Mit­glie­der end­gül­tig von der Not­wen­dig­keit einer Aus­glie­de­rung der Pro­fi­ab­tei­lung in eine AG zu über­zeu­gen. Mit der Kri­tik an der Art und Wei­se sei­ner Amts­füh­rung und der unter dem nur ganz leicht über­heb­li­chen Titel “Ja zum Erfolg” fir­mie­ren­den Kam­pa­gne zur Aus­glie­de­rung wur­den in den letz­ten Jah­ren schon zahl­rei­che Blog­sei­ten und Pod­cast-Fol­gen gefüllt. Wie man auch immer zum The­ma Aus­glie­de­rung stand, es leg­te sich schon wie­der ein leich­ter Schat­ten über den VfB. Die Mann­schaft stieg am Ende der Sai­son durch­aus ver­dient als Zweit­li­ga-Meis­ter auf, leis­te­te sich aber zwi­schen­durch die eine oder ande­re Schwä­che­pha­se.

Der Knall

Der ganz gro­ße Knall kam dann im Juli 2017, als weni­ge Mona­te nach der erfolg­ten Aus­glie­de­rung und mit­ten in der Sai­son­vor­be­rei­tung Jan Schin­del­mei­ser ent­las­sen und durch Micha­el Resch­ke ersetzt wur­de. Auch hier bege­ben wir uns wie­der in das Reich der Spe­ku­la­ti­on, aber es hat­te wohl nicht allein sport­li­che Grün­de, dass der VfB inner­halb von nicht ein­mal ein­ein­halb Jah­ren drei ver­schie­de­ne Sport­di­rek­to­ren beschäf­tig­te. Resch­ke, beim FC Bay­ern als Kader­pla­ner eher im Hin­ter­grund am Wer­keln, war mit der Rol­le im Ram­pen­licht zunächst offen­sicht­lich über­for­dert, kan­zel­te Kri­ti­ker an der Ver­pflich­tung der Rou­ti­niers Andre­as Beck, Hol­ger Bad­s­tu­ber und Den­nis Aogo als “ahnungs­lo­se Voll­idio­ten” ab und spiel­te öffent­lich mit dem Gedan­ken, die “Zwei­te”, also die Zweit­ver­tre­tung, die zeit­gleich mit den Pro­fis in die Regio­nal­li­ga abge­stie­gen war, vom Spiel­be­trieb abzu­mel­den. Im Win­ter 2018 erin­ner­te dann nichts mehr an seli­ge Zweit­li­ga-Zei­ten, als auch Han­nes Wolf den Ver­ein ver­las­sen muss­te und durch Tay­fun Korkut ersetzt wur­de, der durch eine schier absur­de Serie von knap­pen Sie­gen ohne Gegen­tor den VfB fast noch in den Euro­pa­po­kal geführt hät­te. Wenn da nicht Ein­tracht Frank­furt gewe­sen wäre.

Also alles wie­der beim Alten? Nicht ganz. Denn wenn der Abstieg in die zwei­te Liga für eines gut war – und eigent­lich sind Abstie­ge für nichts gut – dann für die Eupho­rie rund um den Ver­ein. Obwohl eine Zweit­li­ga-Meis­ter­schaft für einen Ver­ein mit der His­to­rie des VfB ja nun wirk­lich kein High­light dar­stellt, ging Mer­chan­di­se mit dem Auf­druck “Erst­klas­sig” weg wie war­me Sem­meln, als wäre der Ver­ein gera­de zum ers­ten Mal auf­ge­stie­gen oder nach lan­ger Abs­ti­nenz zurück­ge­kehrt. Der Zuschau­er­schnitt war auch in den dür­ren Jah­ren 2013 bis 2016 nie nied­ri­ger als 50.000, nach dem Auf­stieg sprang er auf 56.000 und selbst in der sport­lich schlech­tes­ten Sai­son der Bun­des­li­ga-Geschich­te, 2018/2019, lag er bei 54.000. Von den zahl­reich aus­wärts mit­fah­ren­den Fans ganz zu schwei­gen. Es gab zwar seit dem Wie­der­auf­stieg weder Pokal-Heim­spie­le, noch Euro­pa­po­kal-Spie­le, es ist aber ange­sichts der Zah­len in der Liga nicht ganz abwe­gig, zu glau­ben, dass das Neckar­sta­di­on auch bei euro­päi­schen Begeg­nun­gen voll gewe­sen wäre, wenn Ein­tracht Frank­furt es zuge­las­sen und nicht den DFB-Pokal gewon­nen hät­te.

Der schlechteste VfB aller Zeiten

Eine Sai­son mit einem Trai­ner­wech­sel auf Platz 7 been­det, die Bay­ern in deren Sta­di­on 4:1 geschla­gen und zum ers­ten Mal seit Lab­ba­di­as Zei­ten wie­der Pla­nungs­si­cher­heit vor dem 34. Spiel­tag. Das konn­te doch eigent­lich nur gut gehen, oder? Ging es nicht. 2018/2019 ist mit 28 Punk­ten die schlech­tes­te Sai­son der Bun­des­li­ga-Geschich­te, die 70 Gegen­to­re sind fast so vie­le wie in den Abstiegs­jah­ren 2016 und 1975, 32 geschos­se­ne Tore, eine Tor­dif­fe­renz von ‑38, 20 Nie­der­la­gen und nur 7 Sie­ge ein his­to­ri­scher Nega­tiv­wert. Dass der VfB im Jahr 2019 über­haupt die Rele­ga­ti­on erreich­te, grenzt an ein Wun­der und ist nur damit zu erklä­ren, dass die bei­den direk­ten Abstei­ger Nürn­berg und Han­no­ver noch viel erbärm­li­cher waren. Im Rück­blick scheint sich nichts geän­dert zu haben: Im Ver­ein ließ man sich von der absur­den und teil­wei­se auch glück­li­chen Rück­run­de 2018 blen­den und ver­län­ger­te den Ver­trag mit Tay­fun Korkut. Die Spie­ler, die Micha­el Resch­ke ver­pflich­tet hat­te, kos­te­ten teil­wei­se so viel wie kein VfB-Spie­ler vor ihnen, pass­ten aber ganz offen­sicht­lich nicht zur Spiel­idee des Trai­ners, wel­che auch immer das gewe­sen sein mag. Eine defen­si­ve Auf­stel­lung gegen den bis dahin punkt­lo­sen Tabel­len­letz­ten aus Han­no­ver und eine dar­aus resul­tie­ren­de Nie­der­la­ge führ­te dazu, dass der VfB 2018 erneut im Herbst sei­nen Übungs­lei­ter ent­ließ.

Im Lau­fe der wei­te­ren Sai­son reih­te sich ein Deja-vu an das ande­re: Auf­sichts­rats­mit­glied Gui­do Buch­wald schmiss nach einer Aus­ein­an­der­set­zung mit sei­nem Kol­le­gen und Ver­tre­ter des lie­be­voll “Anker­in­ves­tor” genann­ten Anteils­eig­ners Daim­ler hin und nach einer desas­trö­sen und an Selbst­auf­ga­be gren­zen­den 0:6‑Klatsche gegen – mal wie­der – Augs­burg war auch Kor­kuts Nach­fol­ger Mar­kus Wein­zierl Geschich­te. Der Sport­vor­stand? Hieß mitt­ler­wei­le Tho­mas Hitzl­sper­ger, nach­dem Micha­el Resch­ke nach einer bla­ma­blen Leis­tung gegen Düs­sel­dorf im Febru­ar sei­nes Amtes ent­ho­ben wur­de – dem Ver­neh­men nach auch, weil er Wein­zierl schon zu die­sem Zeit­punkt ent­las­sen woll­te, Prä­si­dent und Auf­sichts­rats­chef Wolf­gang Diet­rich aber nicht. Und Diet­rich sel­ber, der seit Rück­run­den­be­ginn 2019 regel­mä­ßig aus der Kur­ve zum Rück­tritt auf­ge­for­dert wird, muss­te sich der Vor­wür­fe erweh­ren, sich nicht kom­plett von der Fir­ma Quat­trex und ihren Toch­ter­ge­sell­schaf­ten getrennt zu haben. Jene Fir­ma, die im Über­le­bens­kampf des 1. FC Kai­sers­lau­tern eine gewich­ti­ge Rol­le spielt und mit deren Unter­stüt­zung Uni­on Ber­lin ans Tor zur Bun­des­li­ga klopft. Ein wenig Hoff­nung gibt es natür­lich: Sport­vor­stand Tho­mas Hitzl­sper­ger hol­te sich Sven Mislin­tat als Sport­di­rek­tor hin­zu, der 18-jäh­ri­ge Ozan Kabak scheint ein veri­ta­bles Talent zum Ver­tei­di­gen von Straf­räu­men zu haben und auch die jun­gen, von Resch­ke ver­pflich­te­ten Spie­ler haben ein gewis­ses Poten­zi­al, mit Aus­nah­me von Pablo Maf­feo.

VfB 2019: Gefangen im Zeit-Looping

Über­ra­schen­de Erkennt­nis: Der VfB war nie der FC Bay­ern und nie Borus­sia Dort­mund und wird es auch nie sein. Der VfB war aber auch nie der SC Frei­burg, Mainz 05 oder der FC Augs­burg. Ver­ei­ne, für die eine Meis­ter­schaft uner­reich­bar ist und eine Euro­pa­po­kal­teil­nah­me eine Erfah­rung, von der man noch nach­fol­gen­den Gene­ra­tio­nen erzäh­len kann. Aber der VfB war zumin­dest immer gut genug, um sich im Wind­schat­ten der ganz Gro­ßen, Rei­chen und Erfolg­rei­chen auf­zu­hal­ten und die­se ab und an mal aus die­sem Wind­schat­ten her­aus zu über­ho­len.

Natür­lich hat sich der Fuß­ball seit 2009 ver­än­dert. Die Ablö­se­sum­men sind absur­der gewor­den und mitt­ler­wei­le spie­len nicht nur zwei oder vier Ver­ei­ne in der Bun­des­li­ga, bei denen Geld und ein aus­ge­gli­che­nes Bud­get kei­ne Rol­le spie­len, son­dern sechs – eben­so vie­le, wie es Euro­pa­po­kal­plät­ze gibt. Gleich­zei­tig gelingt es aber Ver­ei­nen mit ver­gleich­ba­ren oder durch die Aus­glie­de­rung der VfB AG sogar gerin­ge­ren Mit­teln, in die­se Pha­lanx der Rei­chen ein­zu­bre­chen, zum Bei­spiel Ein­tracht Frank­furt, Borus­sia Mön­chen­glad­bach oder Wer­der Bre­men. Der VfB wird es nicht mehr so leicht haben wie zwi­schen 1979 und 2009, als man in jedem Jahr­zehnt ein­mal Meis­ter wur­de, ins­ge­samt zwei­mal im Euro­pa­po­kal­fi­na­le stand und drei­mal im Pokal­fi­na­le. Aber er läuft Gefahr, den Anschluss an den Bereich der Bun­des­li­ga zu ver­lie­ren, in dem sich eben Ver­ei­ne wie die Ein­tracht, die Borus­sia und Wer­der tum­meln. Das schlimms­te dar­an: Es ist selbst­ver­schul­det und hat nur wenig mit der struk­tu­rel­len finan­zi­el­len Ungleich­heit in der Bun­des­li­ga zu tun. Ein Zah­len­bei­spiel: Zwi­schen 1966 und 1999 war der VfB nicht ein ein­zi­ges Mal Tabel­len­letz­ter der Bun­des­li­ga. Zwi­schen 1999 und 2009 sechs Mal, seit 2009: 28 Mal.

All das hät­te ich mir im Mai 2009 nicht vor­zu­stel­len ver­mocht. Mitt­ler­wei­le ist man so abge­stumpft, dass einen selbst ein wei­te­rer Abstieg nicht mehr scho­cken kann. Oder ein wei­te­rer Trai­ner­wech­sel im Herbst, oder eine noch schlech­te­re Sai­son, was kaum noch mög­lich ist. Der VfB hat die Erwar­tungs­hal­tung sei­nes Umfelds, das immer leicht zu begeis­tern war, inner­halb von zehn Jah­ren auf unter Null her­un­ter gefah­ren und das Ver­trau­en, dass wir zwar nie dau­er­haft ganz oben ste­hen, aber auch nie dau­er­haft ganz unten, auf abseh­ba­re Zeit zer­stört.

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