Der VfB schlägt Borussia Dortmund mit 2:1 und versetzt seine Fans in einen nicht mehr gekannten Freudentaumel. Zurecht, denn die Großartigkeit dieses Spiels ist kaum zu überbieten.
Sieben Jahre ist es her. 2010 gelang es dem VfB Stuttgart zuletzt, einen der wirklich “Großen” zu schlagen. Das waren zu jener Zeit schon die gleichen wie heute, nämlich Borussia Dortmund und der FC Bayern. Viele Siege hat der VfB in der Bundesliga in den letzten sieben Jahren ohnehin nicht eingefahren, aber im Frühjahr 2010 überfuhren die Brustringträger zuerst Borussia Dortmund im Neckarstadion mit 4:1 und besiegten knapp zwei Monate später die Bayern in deren Stadion mit 2:1. Seither hieß es entweder “Gut mitgehalten, aber für drei Punkte reichte es leider nicht”, oder es gab die Hucke voll. Natürlich kann man, wenn man will, den Heimsieg gegen Wolfsburg im Dezember 2015 anführen, aber das war das Spiel, welches Jürgen Kramny zum Cheftrainer-Posten verhalf. Wollen wir uns daran wirklich erinnern? Oder an diverse Siege gegen damals viertplatzierte Schalker? Eher nicht. Nein, es sind solche Siege gegen jene Vereine, mit denen Wolfgang Dietrich den VfB in ein paar Jahren auf Augenhöhe sehen will, gegen jene Clubs, die seit 2010 die Meisterschaft unter sich ausmachen, die unsere Herzen höher schlagen lassen.
Zurück in der Liga
Man muss diese Vorgeschichte kennen, wenn man verstehen will, warum das 2:1 gegen den BVB am 17. November 2017 eine solche Bedeutung für VfB-Fans hat. Klar, die Siege gegen Köln, Wolfsburg, Mainz, Freiburg, sie waren alle wichtig für die Tabelle, für den Kampf um den Klassenerhalt. Aber diese Mannschaft zu bezwingen, deren Verein uns in den zehn Jahren, seit er durch einen Derbysieg sich zum Klassenerhalt und uns zur Meisterschaft verhalf, so weit enteilt ist, das ist mehr wert, als nur die drei Punkte, die wir laut Reglement dafür bekommen. Um es kurz zu machen: Der VfB ist wieder da!
Natürlich ist auch dieses Spiel nur eine von 34 Momentaufnahmen in der ersten Bundesliga-Saison nach dem Wiederaufstieg. Aber es ist eine schöne, eine mit Strahlkraft, eine mit Bedeutung: Der VfB ist in der Lage, einen Außenseiter-Sieg zu erringen. Er hat es hingekriegt, in einem Spiel gegen einen Champions-League-Teilnehmer und Pokalsieger zweimal in Führung zu gehen und die zweite Führung bis zum Ende zu verteidigen. Ich werde mich noch lange ärgern, bei diesem Spiel nicht dabei gewesen zu sein.
Vom Grusel-Märchen zum Märchen in zwei Wochen
Irgendwie scheint es auch, als würde in den letzten Wochen jedes Spiel ein Spiegel des vorangegangenen sein. Der VfB gewinnt auch wegen eines zweifelhaften Platzverweises gegen Freiburg und verliert das folgende Spiel in Hamburg wiederum durch einen sehr zweifelhaften Platzverweis. Der Gegner aus Hamburg erlebt ein traumhaftes Spiel, den ersten Sieg seit Wochen und ein Deckel-drauf-Tor seines Jahrhundert-Talents. Und der VfB? Holt am nächsten Spieltag nach bereits beschriebener Durststrecke seinen 500. Bundesliga-Heimsieg, beim Comeback seines durch ein schreckenerregendes Foul verletzten Kapitäns. Vom Grusel-Märchen gegen Hamburg zum richtigen Märchen gegen Dortmund. Die “Stadt-Trikots” lasse ich mal außen vor. Die waren wirklich gruselig.
Aber nicht nur im historischen Kontext ist der Sieg vom Freitagabend (was ist das eigentlich für ein geiles Gefühl, sich nach diesem Sieg für den Rest des Wochenendes entspannt auf den Rest der Liga zu blicken?!) bedeutsam. Auch im Hinblick auf die aktuelle Saison ist er bemerkenswert. Schließlich gehört es zum Abstiegskampf und in dem befindet sich der VfB als Aufsteiger nun einmal, dass man ständig damit beschäftigt ist, Punkte zusammen zu rechnen. Wie viele würde der VfB wohl noch bis zur Winterpause holen, fragten sich nach dem Hamburg-Spiel viele. Angesichts der verbleibenden Gegner wurden höchstens vier bis sechs Punkte gegen die direkten Konkurrenten Hannover und Bremen einkalkuliert. Und plötzlich hat der VfB drei Punkte mehr auf dem Konto, mit denen nur die wenigsten gerechnet hatten und hat bereits vor den anstehenden Spielen im Norden 16 Zähler aus zwölf Spielen auf der Habenseite. Man kann es nicht anders sagen: Es waren Zusatzpunkte, die der VfB gegen Dortmund einfuhr. Ein geiles Gefühl. Wie ein vorgezogenes, überraschendes Weihnachtsgeschenk.
Die Highlight-Spieler
Wie aber kam dieses Geschenk zustande? Indem der VfB endlich mal von Slapstick-Aktionen des Gegners profitieren konnte. Anders lässt sich das Missverständnis zwischen Bürki und Bartra nicht beschreiben, welches Chadrac Akolo zu seinem mittlerweile vierten Saisontor verhalf. Natürlich musste Akolo in dieser Szene nicht mehr tun als hellwach sein, aber wer hätte erwartet, dass der Neuzugang aus Sion nach zwölf Spielen so viele Tore erzielt haben würde, wie seine Sturmkollegen Simon Terodde und Daniel Ginczek zusammen? Und was ist eigentlich mit Berkay Özcan los, der im dritten Startelf-Einsatz in Folge seine dritte Torvorlage verzeichnet, in diesem Spiel mit einem Pass auf Josip Brekalo, der alle Packing-Zähler ausschlagen ließ? Es ist schon außergewöhnlich, dass gerade diese drei jungen Spieler das Spiel entschieden, gerade für Özcan, dem teilweise schon die Bundesliga-Reife abgesprochen worden war, besonders schön. Von seiner Chance zum 3:1 haben wir da noch gar nicht gesprochen.
Aber ein solcher Sieg kommt natürlich nicht allein durch Torschützen und Vorbereiter zustande. Nein, es braucht dazu auch Spieler wie Santiago Ascacíbar, die überall die Grätsche auspacken, auch mal im eigenen Strafraum, um den Ball sicher ins Aus zu beförden.
El Ruso. Kein Vorbeikommen. pic.twitter.com/E9ANpXwCnM
— VfBFilmRoom (@VfBFilmRoom) November 19, 2017
Manndeckung ftw!
Aber auch das ist nur ein Highlight einer kompletten Mannschaft, die in der zweiten Halbzeit den BVB mit konsequenter Manndeckung nicht zur Entfaltung kommen ließ, wie sowohl Eduard Schmidt bei der Spielverlagerung, als auch der Vertikalpass feststellten. Gleichzeitig gelangen den Brustringträgern einige imposante Tempogegenstöße und selbst die in der bisherigen Saison eher blass gebliebenen Außenverteidiger erwischten einen guten Tag:
Quite liked what I saw from Stuttgart!
Hannes Wolf another young talented manager.
And quite the talents at work: Pavard, Ascacibar, Brekalo (sub).#passmap pic.twitter.com/paPm4P3El2— 11tegen11 (@11tegen11) November 18, 2017
Wer noch mehr Schwärmerei von diesem Spiel sehen möchte, dem sei dieser Moment des Twitter-Accounts @VfBFilmRoom ans Herz gelegt, den ich allein aus Platzgründen hier nicht einbette. Oder ihr lest die Spielberichte von Brustring1893 und Blutgrätscher.
Was mich am mit am meisten freut: Der VfB ließ sich vom 1:1, als Zieler zuerst den durchaus berechtigten Elfmeter parierte, gegen den Nachschuss aber machtlos war, nicht aus der Ruhe bringen. Sie witterten ihre Chance gegen einen angeschossenen Gegner und anders als vor zwei Wochen gegen lange sieglose Hamburger nutzten sie sie am Ende auch. Dass das 2:2 durch Yarmolenko nicht unbedingt hätte abgepfiffen werden müssen, lassen wir mal charmant unter den Tisch fallen:
»Es war zwar kein absichtliches Handspiel, aber er hat sich einen Vorteil verschafft.« Äußerst zählebig, diese falsche Erklärung. Seufz. (af)
— Collinas Erben (@CollinasErben) November 17, 2017
Die Rettung der Hinrunde?
Denn: Der Sieg des VfB war, in seiner ganzen historischen wie saisonalen Bedeutung, verdient. Die Bundesliga hat uns wieder.
Dennoch scheint es auch jetzt wieder angebracht zu mahnen. Die letzten drei Spiele gegen unseren nächsten Gegner aus der niedersächsischen Landeshauptstadt waren an Peinlichkeit nicht zu überbieten. Auf der anderen Seite haben wir diese Saison auch den Köln-Fluch gebrochen. Wieso sollte es gegen 96 nicht auch klappen, und das obwohl uns seit Freitagabend gleich zwei Stürmer fehlen?
Ich schätze diese beiden sehr (auch sportlich sehr) — Aber in dieser 2. Halbzeit, in der wir Borussia Dortmund an die Wand spielten, fehlten #Akolo und #Ginczek übrigens auch schon. Vor Spielen gegen diese 2 0en-Teams aus Hannover und Bremen muss man also nicht losheulen. #VfB
— Hubi1893 (@DerHubilein) November 18, 2017
Ob man Werder nach dem 4:0 heute gegen ebenjene Hannoveraner als “0en-Team” bezeichen kann, weiß ich zwar nicht aber das Ergebnis spielt uns ganz gut in die Karten:
Brav, @werderbremen. Heute austoben, @hannover96 für Freitag reif schießen und dann in zwei Wochen ohne den ganz großen Druck den Dämpfer holen. 😉#SVWH96 #VfB
— Lennart Sauerwald (@l_sauerwald) November 19, 2017
Auf jeden Fall befindet sich der VfB durch den Sieg vom Freitag in einer wesentlich komfortableren Position, als wir es vor zwei Wochen geahnt hätten. Wenn es der Mannschaft jetzt gelingt, die Euphorie des Umfelds mit in die nächsten Spiele zu nehmen, könnte der Heimsieg uns am Ende sogar die Hinrunde retten, selbst wenn die Serie ungeschlagener Heimspiele im Dezember reißen sollte.
Nachdem ich mich während fast der gesamten Existenz dieses Blogs meist über die Mannschaft ärgern musste, kann ich jetzt endlich einmal wieder sagen: Danke, Jungs!