Mit einem 0:2 in Leverkusen verabschiedet sich der VfB in die fußballfreie Zeit. Auch diesmal galt: Es wäre mehr drin gewesen — aber nicht so.
Dass die Sportabteilung des Pharma-Riesen in der unteren Tabellenhälfte zumindest von der individuellen Qualität der Spieler her nichts zu suchen hat, sollte jedem klar sein, der zusah, wie Moussa Diaby in der immerhin erst 30. Minute durch die gegnerische Hälfte pflügte und zum unvermeidbaren 1:0 traf. Wobei, vermeidbar wäre es vielleicht gewesen, wenn die Mannschaft des VfB nicht auch zum staunenden Publikum gehört hätte. Denn es ist keineswegs so, als sei Diaby vor diesem Spiel erst vom Krankenbett aufgestanden und nur der VfB habe das Pech gehabt, gegen ihn zu spielen — Grüße an Domenico Tedesco. Nein, Diaby stand in allen 15 Saisonspielen, die Leverkusen in die zweite Tabellenhäfte geführt haben und beim Erstrunden-Pokalaus in der Startelf. Es ist also nicht völlig ausgeschlossen, gegen diese Mannschaft zu punkten. Aber dafür müsste man halt, wenn man nun schon 1:0 hinten liegt, seine Standards sauber verteidigen und hoffen, dass man vorne noch einen Lucky Punch setzt.
“Ich bin stolz auf das, was die Mannschaft heute geleistet hat”, erklärte Michael Wimmer nach dem Abpfiff und wenn dieses Jahr nicht so verlaufen wäre, wie es verlaufen ist, könnte man die Aussage mit Nachsicht so verstehen, wie sie gemeint ist. Denn der Substanzverlust war mit den Ausfällen beider Außenbahnspieler — und gleichzeitig des besten Offensivspielers, zweier Innenverteidiger und des Kapitäns natürlich beträchtlich. Das ist natürlich nicht der Grund, warum Atakan Karazor und Waldemar Anton beim entscheidenden 2:0 ihre jeweiligen Gegenspieler völlig unbehelligt lassen oder warum Jeremie Frimpong bei seinem aberkannten Tor nicht nur einen halben Meter im Abseits, sondern auch sonst völlig frei stand. Aber es erklärt ein Stück, warum der VfB so völlig harmlos auftrat wie schon lange nicht mehr. Irgendwas ist ja immer.
Nicht so richtig überzeugend
Und so ist das Spiel irgendwie der passende Abschluss des Fußballjahres 2022, in dem der VfB nur sechs von 32 Ligaspielen gewann und sich in den anderen Partien entweder erst durch absurdes Verletzungspech, dann durch mentale Instabilität und schließlich durch, wie formuliere ich es höflich, eigene Blödheit immer wieder selber ein Bein stellte. Und er beendet das Jahr auch dort, wo er es begonnen hat, nämlich auf dem Relegationsplatz, einem Schicksal dem wir erst im Mai in letzter Minute entgingen. Einen Vorwurf konnte man der Mannschaft wegen ihrer Einstellung selten machen — selbst die peinliche Niederlage in Berlin begründete sich eher im nicht können denn im nicht wollen — aber so richtig überzeugt, dass die Mannschaft der Konkurrenz um den Klassenerhalt etwas voraus hat, war man auch nie. Sicher, die Siege gegen Augsburg, Bochum und Berlin waren die metaphorischen sechs Punkte wert. Aber es gelingt dem VfB halt auch nie, die Punkte zu holen, mit denen man im Vorhinein nicht gerechnet hat. Ja gut, mehr war halt nicht drin hier.
Ob wirklich mehr drin ist oder nicht, das muss Alexander Wehrle jetzt im Dialog mit Sven Mislintat und Michael Wimmer entscheiden. Dass er die entsprechenden Verhandlungen so lange aufschob, bis irgendwann klar wurde, dass auch in der Mercedesstraße der uns allen wohl bekannte Jahresend-Stress ausbrechen würde, passt ebenso sehr zu diesem Jahr, in dem die Mannschaft den Klassenerhalt immer wieder aufschob, wie die späte Erkenntnis und Entscheidung, doch nicht nach Katar zu fliegen. Ein Kopfball in letzter Minute sozusagen.
Still not lovin’ Intrigantenstadel
Es wird gefühlt immer anstrengender, sich mit diesem Verein zu beschäftigen. Nicht nur, weil das Geschehen abseits des Platzes einen viel größeren Raum einnimmt mittlerweile. Früher ärgerte man sich über den vom Aufsichtsratsvorsitzenden eingesetzten Dilettanten auf dem Präsidentenstuhl und dessen Schnapsideen, aber selbst 2016 ging es nicht primär um Bernd Wahler und wen der zum VfB holte — was wir ja noch nicht wussten — sondern eher um die Frage, ob Artem Kravets jetzt jemals jemand live hat kicken sehen, bevor er das Brustringtrikot überstreifte. Oder erinnert ihr Euch noch an ihn hier?
Wer erkennt den Naturburschen links im Bild?
Tipp: Er kann auf eine ruhmreiche VfB-Karriere zurückblicken. pic.twitter.com/PEZhxIAMOj
— Vertikalpass (@vertikalpass) November 11, 2022
Diesem Herrn, dessen markantestes Merkmal früher neben seiner Schwäche in Finanzzahlen und einem gewissen Torriecher eher sein Haupt- als sei Barthaar war, wurden ganze Spruchbänder gewidmet. Heute muss die Kurve die Vereinsführung zur Einigkeit mahnen, während in Internetforen die Revolution auf DIN A4-Zetteln geplant wird und auf Twitter spätestens seit der Pressekonferenz nach der Mitgliederversammlung mit detektivischem Eifer nach Beweisen gesucht wird, dass Vertragsverhandlungen beendet sind, bevor sie begonnen haben.
Dass da hinter den Kulissen intrigiert und durchgestochen wird wie eh und je in unserem Klepperlesverein, sollte mittlerweile jeder mitbekommen haben. Man ist nur geschickter geworden, denn zumindest von außen ist es wieder schwerer zu durchschauen, wer hier eigentlich genau welches persönliche Ziel verfolgt oder mit wem nicht kann — außer man ist der Meinung, Claus Vogt habe, um sich an Intimfeind Thomas Hitzlsperger zu rächen, Alexander Wehrle als Personalentscheidungs-Hitman geholt, der erst Pellegrino Matarazzo und dann Sven Mislintat vor die Tür setzt, damit sich der Aufsichtsrat nicht die Hände schmutzig machen muss. Und das ist nicht einmal die absurdeste Spinnerei, die derzeit auf Twitter kursiert.
Kommunikation. So wichtig.
Gerade weil diese einfachen Erklärungen selten die besten sind und das Vorgehen nicht so offensichtlich dreist ist wie das der Herren Dietrich und Porth oder im Wahlkampf 2019 Buchwald und Klinsmann, habe ich ich mich lange mit einer tiefergehenden Bewertung oder eindeutigen Positionierung zurückgehalten. Nicht nur gegenüber der Vereinsführung im Allgemeinen, sondern auch gegenüber der sportlichen Führung im Speziellen. Ich unterstelle allen handelnden Personen ein gewisses Maß ab Professionalität und Seriosität in ihrem Handeln, schon allein aus beruflichen Selbsterhaltungstrieb. Wer meint, mich deswegen in ein bestimmtes Lager stecken zu müssen, dem ist auch nicht mehr zu helfen.
Neben dem umfassenden Vertrauensverlust gegenüber Vereinsgremien während der Dietrich-Zeit fußt die allgegenwärtige Kritik an Alex Wehrle und Claus Vogt natürlich zuvorderst nicht auf Entscheidungen, die noch nicht getroffen wurden, sondern auf der teilweise katastrophalen Kommunikation. Wenn mir, der sich keinem fiktiven Lager oder #Team zurechnen, Sachen wie die Suche nach einem Sportvorstand vor einem Jahr, die PK vor dem Köln-Spiel im Mai oder die PK im September komisch vorkommen, dann sind sie entweder komisch — oder so schlecht kommuniziert, dass man zu keinem anderen Schluss kommen kann.
Wenn ich mir Mitte November schon etwas fürs neue VfB-Jahr wünschen darf, dann ist es neben dem Klassenerhalt eine Außendarstellung, die nicht wirkt, als sei man sich vorher der Auswirkungen nicht bewusst gewesen. Redet intern miteinander und wenn ihr nur in den Gremien rumhängt, um über das Boulevard Vereinspolitik zu machen, dann hoffe ich dass ihr den Weg des Herren unten rechts geht — ohne irgendwann wieder auf den wichtigen Plätzen im Neckarstadion aufzutauchen.
Kein Auswärtssieg im kompletten Kalenderjahr ist natürlich peinlich, aber vielleicht reden wir auch mal über das Comeback des Jahres auf der Ehrentribüne. 🤓
(Bild vom Dienstag und von Imago) pic.twitter.com/VdLxkkkMrE
— Vertikalpass (@vertikalpass) November 12, 2022
Zum Weiterlesen: Der Vertikalpass kritisiert: “Der VfB wollte gar nicht gewinnen, was wenig erstaunlich ist, nach Sven Mislintats Interview nach dem Sieg gegen Hertha BSC, als er eine Niederlage als selbstverständlich oder zumindest als sehr wahrscheinlich ansah.” Stuttgart.International sieht den VfB auf der Suche nach sich selbst.
Titelbild: © Christof Koepsel/Getty Images