Der VfB ist zum zweiten Mal direkt wiederaufgestiegen — etwas weniger trittfest als 2017. Und sollte jetzt unbedingt die richtigen Schlüsse aus dieser Saison ziehen.
Am Ende ist es eigentlich egal, wie Du einer von zwei festen Aufsteigern wirst — Hauptsache Du bist es nach 34 Spieltagen. Denn die Bundesliga ist für den VfB in diesen Zeiten nicht nur eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Sie ist auch die Liga, in der der VfB in 53 von 57 Spielzeiten vertreten war, in der der VfB bis 2016 39 Jahre lang ununterbrochen spielte. Die Liga, in die der VfB grundsätzlich gehört. Punkt. Damit das so bleibt, dürfen die Verantwortlichen in Bad Cannstatt aber nicht schon wieder im Erfolg — wenn man einen Bundesliga-Aufstieg als solchen bezeichnen kann — die größten Fehler machen.
Immer wieder die falsche Erklärung
Es hat nämlich beim VfB eine gewisse Tradition, in der Vorbereitung auf eine Saison nur auf das Ergebnis der vorangegangenen Spielzeit zu blicken — und nicht auf dessen Zustandekommen. Und so fallen einem für fast unerklärliche Erfolge regelmäßig die falschen Erklärungen ein. Sei es für das Pokalfinale und die damit verbundene Europapokalteilnahme 2013 oder der Saisonendspurt 2018 und der 4:1‑Sieg gegen die Bayern. Beides Mal — und vielleicht auch nach den Meisterschaften 1984, 1992 und 2007 — dachte der Verein, dass er einfach nur so weitermachen müsse wie bisher, dann würden ihm weitere Erfolge einfach so in den Schoß fallen.
Auch der Aufstieg 2020 ist in mancherlei Hinsicht unerklärlich. Mit der peinlichen Überzahl-Niederlage gegen Darmstadt am Sonntag hat der VfB zehn von 34 Saisonspielen verloren — erschreckenderweise vor allem gegen Aufsteiger und Abstiegskandidaten. Während Arminia Bielefeld souverän gegen Heidenheimer gewann, für die es durchaus noch um etwas ging, begnügte sich der VfB damit, Mario Gomez sein Abschiedstor aufzulegen und ansonsten die Saison auslaufen zu lassen — wohlgemerkt gegen einen SVD, dessen Saison auch schon so gut wie beendet war. Das lässt böse Erinnerungen an 2017 wach werden, als man das Auswärtsspiel in Hannover am 33. Spieltag im Wissen um den Bielefelder Sieg gegen Braunschweig abschenkte. Das VfB-Rössle, es springt seit jeher nur so hoch wie es muss.
Kurzer Wunschzettel
Am Ende waren es zwei unerklärliche Kantersiege gegen Sandhausen und Nürnberg sowie die fleischgewordene Unfähigkeit namens Hamburger Sportverein, die dem VfB zum Aufstieg verhalfen, den er nach der Niederlage gegen Karlsruhe schon verspielt zu haben schien. Die sportliche Führung tut also gut daran, in der sicher wieder knallharten Analyse genau hinzuschauen, warum der Wiederaufstieg beinahe gescheitert wäre. Warum brauchte der VfB bei seinem “Neubeginn” (Zitat unvermeidliches Aufstiegs-Shirt, siehe oben) schon wieder einen Trainerwechsel? Wie behebt man das Problem, dass die erfahrenen Spieler ihrer Führungsrolle nicht gerecht werden und die jungen Spieler häufig überfordert sind? Pellegrino Matarazzo wird wie sein Vorgänger Hannes Wolf vor der Herausforderung stehen, sein Spielsystem auf eine höhere Liga anzupassen, in der der VfB eine ganz andere Rolle spielt als bisher. Welche Spieler braucht man dafür und welche nicht (mehr)? Es mag richtig sein, dass Mislintat nur kleine Stellschrauben am Kader drehen muss, weil erneuter Komplettumbruch wieder die gleichen Probleme hervorrufen würde wie in dieser Saison — aber es müssen die richtigen sein.
Als Erklärung für die unerklärlichen Aussetzer musste indes unter der Woche mal wieder der Druck herhalten, der laut Sven Mislintat an Standorten wie Stuttgart und Hamburg herrsche — womit er im Grunde die alte Leier vom schwierigen Umfeld, dass an den Verein mit dem Brustring unerfüllbare Erwartungen hat, weiter ankurbelt. Mal ganz abgesehen davon, dass Mislintat und sein Vorgesetzter Thomas Hitzlsperger im Winter Tim Walter deshalb entließen, weil der Wunsch nach dem Aufstieg größer war als der nach Kontinuität: Fans und Mitglieder mögen in den 2000er und den frühen 2010er Jahren eine unrealistische Erwartungshaltung an den Verein gehabt haben. Seit ca. 2014 beschränkt sich der Wunschzettel des VfB-Fans aber auf zwei Dinge: In der Bundesliga bleiben und eine Saison ohne Trainerwechsel.
We bruddel, because we care
Was haben wir stattdessen bekommen? Bitte mitschreiben, lieber Sven Mislintat: Einen Fast-Abstieg 2014. Einen noch fasteren Abstieg 2015, für den wir nochmal den gleichen Trainer geholt haben wie im Jahr zuvor. Einen Sportvorstand Robin Dutt, der laut toste, er wolle alles besser machen als sein Vorgänger Fredi Bobic und alles schlimmer machte. Ein Abstieg 2016 trotz erheblichem Punktepolster im Februar. Einen Präsidenten, der uns mit dem Vorschlaghammer reingeprügelt wurde und bereits auf der Pressekonferenz nach seiner Wahl mit dem Lügen anfing. Eine Ausgliederungskampagne ohne jeglichen Anstand, gespickt mit Verdrehungen und Lügen. Einen neuen Sportvorstand, der Lügen zum Arbeitsmittel erhob und Kritiker seiner teilweise einfallslosen Transferpolitik als “ahnungslose Vollidioten” abstempelte. Unzählige Trainerwechsel, die schließlich zum zweiten Abstieg in drei Jahren führten, nachdem man vor der Saison Ablösesummen in bislang nicht gekannten Höhen rausballerte. Eine Mitgliederversammlung, in deren Vorfeld die Vereinsführung mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln gegen um ihren Verein besorgte Mitglieder vorging. Und schlussendlich ein Aufstieg auf den letzten Drücker.
Du warst nicht bei allem dabei, lieber Sven Mislintat und Du bist für das wenigste davon verantwortlich. Aber bitte, komm mir verdammt noch mal nicht mit zu hohen Erwartungen. Der Verein hat dafür gesorgt, dass wir selbst auf die kleinste Kleinigkeit achten, von der wir vermuten, dass sie den Weg in die falsche Richtung weist. Der Verein hat dafür gesorgt, dass er aus dieser zweiten Liga wiederaufsteigen muss. Wir wollen nichts anderes, als uns zur Abwechslung mal nicht über unseren Lieblingsverein aufregen zu müssen. Oder anders: We bruddel, because we care.
Davon aber genug für heute. An dieser Stelle nochmal Danke an Mario Gomez, der im Anschluss an das Darmstadt-Spiel seine Karriere beendet hat, danke an die Mannschaft, dass sie doch noch irgendwie aufgestiegen ist und vor allem: Danke an Euch, dass Ihr uns auch im fünften Jahr unseres Bestehens die Treue gehalten habt. Auch wenn es sich in diesem Artikel nicht so liest: Ich freue mich auf die Bundesliga, trotz all ihrer Unannehmlichkeiten. Denn dort gehört der VfB hin.
Nie mehr zweite Liga! Für immer VfB!
Titelbild: © Christian Kaspar-Bartke/Getty Images