Der VfB steigert sich nach dem Dortmund-Spiel und nutzt eine seiner vielen Chancen zum umjubelten 2:1‑Siegtreffer gegen Augsburg. Endlich schwingt das Pendel mal in unsere Richtung.
Dass VfB-Fans vor dem Spiel guter Dinge sind, ist nichts ungewöhnliches, vor allem wenn die aktive Fanszene direkt vor Anpfiff so eine traumhafte Choreo hinlegt.
Dass die gleiche Kurve auch nach Abpfiff zufrieden war und kurz zuvor sogar noch Grund zu überschäumender Freude hatte, war zuletzt eher selten. Was war passiert?
Nun, der VfB hatte sich in ein erwartet anstrengendes Spiel gegen einen anstrengenden Gegner trotz des mittlerweile obligatorischen frühen Rückschlags hineingebissen und hatte am Ende neben mehr Sprints und mehr gelaufenen Kilometern auch endlich wieder drei Punkte als Arbeitsnachweis vorzuweisen. Immerhin schien die Mannschaft diesmal besser auf den Gegner eingestellt oder eingestellt worden zu sein als noch vor Wochenfrist in Dortmund. Auch wenn die Augsburger immer wieder Unachtsamkeiten der weiß-roten Abwehrreihe nutzen konnten, so ließ sich diese immerhin nicht so auseinanderspielen wie in Dortmund, wenngleich auch die Qualität der Gegner natürlich mal wieder nicht vergleichbar war. Dass in jedem Spiel zuverlässig mindesten ein VfB-Spieler einen kompletten Aussetzer hat — diesmal Dan-Axel Zagadou, der Niederlechner völlig körperlos davon ziehen ließ — ist und bleibt ein Problem, allerdings kann man in dieser Szene keine allgemeine Schlafmützigkeit attestieren: Die Bude geht einfach komplett auf Daxo, auch wenn sich Ito im letzten Moment vom im Rückraum stehenden Berisha Richtung Tor und Niederlechner orientiert. Aber da war es irgendwie auch egal und der VfB schon wieder in Rückstand.
Endlich gute Chancen!
Es ist aber neben der Tatsache, dass der VfB gegen die mit zwölf Fouls wieder körperlich agierenden und in Persona von vor allem Florian Niederlechner ständig lamentierenden Augsburger mehr Widerstandskraft bewies als so häufig in dieser Saison, die Offensive, auf die wir die Augen richten sollten. Was gegen Bochum gut und Bielefeld noch besser funktionierte war das schnelle, impulsive, vertikale Direktspiel. Gegen Augsburg mit ihren hoch anlaufenden Spielern eigentlich eine gute Idee, die auch in Ansätzen schon besser umgesetzt wurde als zuletzt, auch wenn mir immer noch zu viele Spieler den Ball zu lange am Fuß halten und dann qualitativ nicht in der Lage sind, das Überraschungsmoment durch einen guten Torschuss zu ersetzen. Aber der VfB erspielte sich Chancen, besonders in der zweiten Halbzeit. Understat errechnet einen xG-Wert von über drei, was natürlich auch an der Vielzahl der Abschlüsse — knapp 30 — als auch an deren Qualität liegt. Denn mehr als einmal war der VfB in einer ausgezeichneten Schussposition, die ihm in der Vergangenheit häufig gefehlt hat.
Neben Guirassy, der seinen dritten Bundesliga-Treffer im siebten Spiel erzielte, muss man vor allem zwei Spieler hervorheben: Zum einen Borna Sosa, der urplötzlich anfing, ab und an auf seinem Flügel nach innen zu ziehen und den Ball mit rechts in den Strafraum zu bringen — so auch beim 1:0. Hat natürlich den Vorteil, dass der Ball frontal aufs Tor zufliegt und nicht wie bei Flanken mit links seitlich in den Strafraum rein und damit nur mit größerem Körpereinsatz des Torwarts zu verteidigen ist, wie wir unlängst bei Süles Tor gegen uns bewundern durften. Auch wenn wir vermutlich nicht mehr lange etwas davon haben werden: Ein beidfüßiger Sosa ist auf jeden Fall ein Gewinn. Der andere Spieler der besondere Erwähnung verdient ist Luca Pfeiffer, der schon gegen Dortmund ein Tor aberkannt bekam und in diesem Spiel als Doppelspitze mit Guirassy fungierte und funktionierte:
Progressive passing for VfB Stuttgart against Augsburg. #autotweet pic.twitter.com/TBXGJW3vWw
— 11tegen11_plots (@11tegen11_plots) October 29, 2022
Bitte kein Rückfall mehr!
Pfeiffer war aber nicht nicht nur Zielspieler, sondern immer auch Anspielpunkt im vorderen Drittel, auch wenn die Grafik oben dies nicht hergibt. Er war aber der Spieler mit dem höchsten xGChain-Wert laut Underscore also dem expected goals-Wert jedes Ballbesitzes des Spielers. Nach dem unglücklichen Start mit der roten Karte scheint sich Pfeiffer immer mehr zu steigern und in Guirassy, der so viele Torschüsse hatte wie Niederlechner und Berisha zusammen, einen potenziellen Sturmpartner gefunden zu haben. Auf jeden Fall erzwang der VfB mit zahlreichen Chancen ab der 70. Minute geradezu den Siegtreffer. Dass er dann wirklich fiel und zwar ausgerechnet nach einem Hackenpass des formschwachen Tomás auf den zuletzt wenig ballsicheren Verteidiger Anton ist irgendwie sehr bezeichnend: Hauptsache irgendwie die Punkte holen.
Und das taten sie endlich mal wieder, auch wenn man dieses Spiel erst im Kontext der nächsten drei Partien wird bewerten können. Zu schwankend waren die Leistungen in letzter Zeit, zu häufig folgte auf Euphorie bittere Enttäuschung. Die Mannschaft hat sich allerdings selber in eine Lage manövriert, in der sie sich nicht mehr aussuchen kann, gegen wen sie jetzt die für den Klassenerhalt nötigen Punkte holen kann. Diese Intensität muss auch gegen Mönchengladbach, Berlin und Leverkusen — von denen keiner unschlagbar ist — gezeigt werden. Dazu noch die Konzentration bei allen elf Spielern hochhalten: Dann gibt es vielleicht in Zukunft häufiger Hochgefühle für das, was auf dem Rasen passiert und wir können die ewigen Diskussionen, ob Sosa jetzt im 360°-Blick die Situation sofort erfasste und deshalb in Lichtgeschwindigkeit den Arm an den Ball zog oder wer jetzt gegen wen mit wem intrigiert, einfach zur Seite schieben. Der VfB hat, um im vom Vertikalpass letzte Woche gezeichneten Bild zu bleiben, einen Schritt vor gemacht. Jetzt bloß nicht wieder auf den Hosenboden fallen!
Zum Weiterlesen: Der Vertikalpass sieht einen Doppelpass zwischen Stadion und Mannschaft und entdeckt ein Loch im Mittelfeld. Stuttgart.International blickt in “DIe Vollprofis aus Cannstatt” einen Blick abseits des Rasens und voraus auf die Winterpause: “Das größte Problem besteht vielleicht darin, dass sich die Fehler aus der Vergangenheit nicht nur auf dem Platz wiederholen, sondern auch in der ermüdenden Strategie, ständig Besserung für die Zukunft zu geloben, ohne die bestehenden Probleme ernsthaft anzugehen.”.
© Christian Kaspar-Bartke/Getty Images)