Der VfB steht nach einem schweren Auswärtsspiel in Mainz wieder auf einem Relegationsplatz. Und muss sich erneut den Vorwurf machen, nicht alles aus dieser Partie herausgeholt zu haben.
Eine ruhige Ballannahme, eine saubere Schusstechnik und ein gutes Auge — und Chris Führich hätte zum Held des Tages werden können, als er nach Robin Zentners wildem Ausflug aus dem Strafraum noch etwa 30 Meter und das leere Tor vor sich hatte. Stattdessen schloss er überhastet ab und der Ball kullerte traurig am Tor vorbei ins Seitenaus. Erneut hatte der VfB gegen Mainz ein schweres Spiel zu bestreiten und wie schon beim Heimspiel gegen Dortmund hatte man das Gefühl, da hätte mehr drin sein können.
Oder auch weniger, so wie eben in der Vorwoche oder wenn Florian Müller den Ball, der ihm vom Innenpfosten in die Arme sprang, nur wenige Zentimeter weiter hinten gefangen hätte. Und genau das ist das Problem: Der VfB leidet unter Verlustängsten. Angst, mit einem Abwehrfehler alles kaputt zu machen wie gegen Bochum oder Hoffenheim. Angst vor dem Konter, wenn man vorne zu mutig auftritt. Gegen Mönchengladbach und Augsburg war dafür kein Platz, was hatte man bei einem Rückstand von 0:2 oder 1:2 schon zu verlieren? Aber am 30. Spieltag steigt der Druck, vorne die richtige Entscheidung zu treffen und hinten die Nerven zu behalten.
Mehr drin
Dabei war in diesem Spiel für den VfB wirklich mehr drin als nur die beiden von Zentner vereitelten Torschüsse von Tomás und Mangala. Denn Mainz spielte bei weitem nicht so unangenehm wie im Hinspiel, in dem sie den VfB mit hohem Pressing und aggressivem Zweikampfverhalten einschnürten und versuchten, zu Fehlern zu zwingen. Was aber damals dank der schön herausgespielten Treffer von Sosa und Ito nicht von Erfolg gekrönt war. Bei der Partie am Samstagnachmittag hingegen ließen die Mainzer hingegen laut Wyscout etwa zwei Pässe mehr pro Defensivaktion zu als im Hinspiel, die Fehler, die der VfB im Aufspiel machte, entstanden also nicht durch gegnerischen Druck, sondern durch Angst — vor einem Gegner der weitestgehend harmlos blieb.
Die Harmlosigkeit lag auch darin begründet, dass die nach Gelbsperre und Corona-Infektion umgestellt Hintermannschaft ziemlich stabil stand und satte 81 Prozent ihrer Defensivzweikämpfe für sich entschied. Nur leider waren die Bälle danach schnell wieder weg, sei es durch zu bedachtes Aufbauspiel, welches spätestens an der Mainzer Abwehr endete, oder wegen Fehlpässen: Nur etwa jeder zweite Pass ins Angriffsdrittel des VfB fand seinen Adressaten. Häufig verfiel der VfB dann wieder in jene Praxis, die ihn schon gegen Bochum und Hoffenheim Punkte gekostet hatte: den Ball direkt nach Ballgewinn ohne Druck ziellos so weit wie möglich in die gegnerische Hälfte bolzen und somit die Kontrolle über das Spielgerät wieder aufgeben.
Mit Mut und kühlem Kopf
Dass die Mannschaft am fünftletzten Spieltag bisweilen der Mut verlässt, ist nach dieser Seuchensaison teilweise nachvollziehbar, schien es doch vor Murphy’s Law — zur Erinnerung: Alles, was schiefgehen kann, wird schief gehen — kein Entkommen zu geben. Aber es ist auch ein Problem. Denn der VfB trifft schon wieder das Tor nicht, der einzige Treffer in den letzten drei Partien war ein Elfmetertor von Sasa Kalajdzic. Der kam auch in Mainz nicht zum Zug, weil seine Mitspieler den Ball nicht zu ihm bringen konnten, ihn stattdessen entweder panisch selbst aufs Tor schossen oder verloren. Damit erhamsterte man sich zwar den 28. Punkt der Saison und spielte zum ersten Mal seit dem 18. Spieltag und zum überhaupt erst vierten Mal in dieser Saison zu Null. Vom mutigen, vertikalen Ballbesitzspiel mit Risikotoleranz der Vergangenheit ist allerdings kaum noch etwas zu sehen.
Dass die Konkurrenz dem erneut enttäuschenden Treiben der Brustringträger nicht jedes Wochenende tatenlos zuschauen würde, war klar und so findet sich der VfB plötzlich in der Situation des Jägers wieder, der unbedingt drei Punkte braucht und dem ein weiteres Unentschieden nichts bringt — erst recht nicht gegen den um einen Punkt besseren Tabellennachbarn aus Berlin. Im Olympiastadion werden wir wieder mutiger auftreten müssen als zuletzt. Gerade gegen eine Mannschaft, die selber unter Druck steht, uns von der Qualität her aber deutlich näher ist als Dortmund oder Mainz. Der Einsatz stimmt weiterhin, das zeigte auch eine erste Halbzeit in Mainz, in der man den Gastgebern ähnlich auf die Nerven ging, wie dieses es im Hinspiel uns hatten angedeihen lassen. Aber wir müssen im Aufbau und im Abschluss endlich einen kühlen Kopf bewahren. Füt Hitzigkeit und Nervosität wird der Gästeblock wie schon in Mainz schon sorgen.
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Titelbild: © Simon Hofmann/Getty Images