Der VfB hat seine Mitglieder für heute zur Mitgliederversammlung geladen. Der ersten nach der von vielen Nebengeräusche begleiteten Wiederwahl Claus Vogts. Es könnte mal wieder eine ruhigere Veranstaltung werden, auch wenn schon wieder große Themen am Horizont auftauchen.
Berichte, Abstimmungen über Entlastungen, Aussprache, Anträge. So sieht die Tagesordnung für die Mitgliederversammlung des VfB Stuttgart 1893 e.V. am heutigen Sonntag grob zusammengefasst aus. So weit, so unspektakulär. Vielleicht gibt es nochmal eine Zusammenfassung vom 2:2 in München, ansonsten wird sich der Entertainmentfaktor wohl eher in Grenzen halten. Denn es gibt durchaus Wichtiges, wenn auch nicht Kontroverses zu berichten. Der Einblick in die Finanzen und die Marketingaktivitäten der AG sowie der Finanzen des Vereins dürfte aufschlussreich sein, wenn auch nicht bahnbrechend neu. Die sportliche Bilanz und allerlei Aktivitäten abseits des Rasens kennen wir, ich gehe nicht davon aus, dass irgendjemand die Entlastung verweigert wird.
Denn anders als in den letzten Jahren blieben die großen Aufregerthemen Im vergangenen Jahr aus, mit einer Ausnahme, zu der ich gleich komme. Zunächst aber zu den Satzungsänderungen, die den e.V. strukturell stärken und deshalb ohne Ausnahme zustimmungswürdig sind. Sie sind die Fortsetzung der Änderungen der letzten Mitgliederversammlung und über was da abgestimmt werden soll, rückt die Arbeit der Satzungskommission durchaus in ein positives Licht. Schließlich ist es auch kein Kinderspiel, die für die Ausgliederung eilig zusammengeklöppelten Änderungen der Vereinssatzung zu reparieren.
50+1 und Gremienarbeit
Da ist das klare Bekenntnis zu 50+1, welches auch schon im neulich veröffentlichten festgehalten ist. Ein Bekenntnis, dem sich Wolfgang Dietrich unter dem fadenscheinigen Verweis auf die in der Satzung festgelegten 75,1 Prozent stets verweigerte. Wie sinnvoll und richtig ein solches Bekenntnis ist, zeigt gerade die Haltung des Kartellamts, auch wenn man hier in der Liga, auch mit dem VfB, sicher ein erneutes Schlupfloch für jene findet, die die Regel umgehen.
Außerdem soll es festgeschriebene Regelungen zur Vergütung, beziehungsweise Entschädigung von Gremienmitgliedern geben, die ich angesichts des Zeitaufwands, einen Verein dieser Größe zu führen, beziehungsweise dessen Mitglieder zu vertreten, durchausfür angemessen halt. Dass es bisher noch keine Geschäftsordnung für die Sitzungen des Präsidiums und des Vereinsbeirats gab, überrascht etwas, dabei verbessern solche Ordnungen durchaus die Zusammenarbeit in und zwischen den Gremien. Vielleicht liegt die Erklärung in der Person Wolfgang Dietrich und ihren Führungsstil deren Auswirkungen sich noch Anfang 2021 zeigten und vielleicht hätte damals eine Geschäftsordnung etwas bewirkt.
CSR und Qualifikationen
Weiter im Text: Der 2021 von Ron Merz eingebrachte Satzungsänderungantrag, der seitdem erfolgreich verhindert, dass Beschäftigte der AG für leitende Ämter im Verein kandidieren können, soll noch Einmal angepasst werden, um AG-Beschäftigen die Mitarbeit in einer noch zu gründenden Stiftung zu ermöglichen. Denn scheinbar gibt es Gedankenspiele, das Thema Corporate Social Responsibility (CSR), also soziale Verantwortung, im eine solche Stiftung auszulagern. Ob es dafür auch finanzielle Gründe gibt, weiß ich nicht, es zeigt aber, dass das gesellschaftliche Engagement des VfB auch in Zukunft nicht nur so nebenher laufen wird.
Spannender als die Regelung, wo Ergebnisse von Mitgliederbefragungen bekannt gegeben werden sollen, ist die neue Formulierung, die die Qualifikation für Ämter im e.V. beschreibt. Der völlig missverständliche Passus “mindestens zehnjährige Erfahrung in wirtschaftlichen Angelegenheiten in einer hohen Managementposition oder in einer vergleichbaren Führungsposition und/ oder im aktiven Leistungssport”, an dem besonders das “und/oder” irritiert, wird ersetzt durch ” oder eine mindestens zehnjährige Karriere im Profi- oder Leistungssport” als Alternative zur Management-Erfahrung. Von Führungserfahrung im Profisport ist keine Rede mehr. Was das Kandidatenfeld bei der nächsten Wahl 2025 weitet, aber auch Ex-Spielern Tür und Tor öffnet. Muss jeder selber wissen, was er davon hält.
Zum Abschluss, neben neuen Aufgaben für den Vereinsbeirat noch drei wichtige Änderungsanträge für die Geschäftsordnung der Mitgliederversammlung. Erstens, dass angenommene Anträge zum Ende der Debatte erst nach der 20. redenden Person greifen sollen. Nach den viel zu früh abgebrochenen Aussprachen der letzten Jahre ein sinnvolles Werkzeug. Zweitens, dass die Mitgliederversammlung nicht nur auf dem veralteten Tonband, sondern auch im Bild aufgezeichnet wird und drittens, dass dieses Bild auch gestreamt werden darf, so dass nur VfB-Mitglieder Zugriff haben. Solange man für die Umsetzung nicht VfBtv verwendet, eine wirklich wichtige Änderung und das sage ich nicht nur, weil ich auch dieses Mal wie die letzten Jahre persönlich verhindert bin. Deswegen meine Bitte an die Anwesenden: Nehmt diese Anträge an.
Verträge und Investoren
Bleibt also noch die allgemeine Aussprache, die sich traditionell neben einigen wilden Ausritten weniger mit der Vereinspolitik und mehr mit dem sportlichen Geschehen beschäftigen. Denn zum einen wartet ein Teil der VfB-Fans sehnsüchtig darauf, dass sich AG-Vorstandsvorsitzenden Alexander Wehrle und Sportdirektor Sven Mislintat an einen Tisch setzen. Ein grundlegend nachvollziehbares Anliegen, dem auch bald nachgekommen werden sollte, will Wehrle nicht die kommunikativen Fehler Vogts vom Ende letzten Jahres wiederholen. Ich kann und will mir aber nicht vorstellen, dass man beim VfB im Jahr 2022 so unprofessionell handelt und warte deshalb mit einer Bewertung, bis es soweit ist.
Zum anderen musste ein Carlos Ubina tun, was ein Carlos Ubina tun muss und lieferte am Freitag vor der Versammlung ein Stück über den möglichen Ausstieg des Daimlers als Trikotsponsor. Subtext: Nachdem mit Porth wegen der Wiederwahl Vogts jemand, der trotz aller Ungeheuerlichkeiten VfB-Fan war, nicht mehr im Aufsichtsrat sitzt, wurde der liebe Nachbar nun völlig vergrault. Man sollte also nicht glauben, dass die Zeit der sachfremden Kampagnen beim VfB vorbei ist und das gilt nicht nur für Twitter. Ansonsten wüsste Carlos Ubina nicht, dass der VfB in den Finanzplanungen des Daimlers für 2023 aktuell nicht auftaucht. Auch das Thema Investoren und warum außer Ausrüster Jako noch kein weiterer hinzugekommen ist und warum Jako mit seinem Prozent Anteile angeblich trotzdem einen Aufsichtsrat-Posten bekommen soll, wird sicher Thema werden.
Ehrlich machen
Wobei man sich dabei vielleicht sowohl als Verantwortlicher, als auch als Fan mal ehrlich machen sollte: Dass der Daimler investierte war ja irgendwie in dieser ganzen Ausgliederungs-Chose impliziert. Dass man mit Jako eng verbunden ist und ihnen immerhin ein paar Millionen und einen langfristigen Ausrüstervertrag aus den Rippen leiern konnte, ist aller Ehren wert. Aber für Unternehmen oder Einzelpersonen, die nicht schon mit dem VfB verbunden und dazu seriöser als mancher Haupt- oder Hafenstadt-Investor sind und gleichzeitig nicht ein Konstrukt wie in Augsburg anstreben, gibt es keinen Grund in einen Fußballclub zu investieren, von den man, anders als bei den Bayern nicht davon ausgehen kann, dass sie jedes Jahr für die nächsten zehn Jahre Bundesliga, geschweige denn Europapokal spielen werden. Und man braucht auch in Stuttgart nicht so zu tun, als würde man es einfach besser können als der Rest der Republik. Weil das Thema 50+1 sowieso gerade wieder hochkocht, nochmal zum Mitschreiben:
Es gibt im Profifußball vier Aktiengesellschaften: Bei der Eintracht haben Freundesvereine geringe Anteilspakete übernommen, 67 Prozent hält der e.V. Der HSV wird de facto von einem Investor mit 15 Prozent Anteilen am Nasenring durch die Manege geführt. Der FC Bayern wäre wahrscheinlich auch ohne Investoren in den letzten 10 Jahren neun Mal Meister geworden. Und eben der VfB. Es gibt sechs GmbH, von denen fünf — Hoffenheim, Ingolstadt, Leipzig, Leverkusen und Wolfsburg — Konzervereine sind, während die sechste — Borussia Mönchengladbach — komplett im Besitz des e.V. ist und damit sportlich auch nicht ganz schlecht fährt. Bleiben noch die GmbH & Co. KgaA. In Augsburg hat der e.V. zwar die Stimmenmehrheit, hält aber nur noch 0,6 Prozent der Anteile, der größte Batzen gehört dem jetzt ehemaligen Präsidenten und einem Investoren aus den USA, dem man vermutlich die ganzen unlustigen Pepi-Geschichten zu verdanken hat. Über Hertha und Hannover erübrigt sich jedes weitere Wort, die Arminia aus Bielefeld hat es mit einem Konsortium aus lokalen, kleinen Investoren in die Bundesliga geschafft, Bochum, Bremen, Fürth, Karlsruhe, Köln und Paderborn haben keine Anteile verkauft, Regensburg und Rostock haben Investoren, reißen damit aber auch keine Bäume aus. Achja und dann ist da noch der an der Börse notierte BVB. Warum sollte irgendjemand beim VfB investieren, wenn er schon den genannten anderen Verein der gleichen Gewichtsklasse nicht unbedingt die Türen einrennt? Und kommt mir bitte nicht mit der Wirtschaftsregion.
Ich hoffe, dass trotz der erhitzten Gemüter zu diesen beiden Themen trotzdem in der Sache hart, im Ton aber fair diskutiert wird heute. Auch das wäre wichtig für einen VfB, der sich in letzter Zeit auf so vielen Ebenen weiterentwickelt hat.
Titelbild: © Christian Kaspar-Bartke/Getty Images