Ein Auswärtsspiel wie gemalt: Ein Heimspiel auf den Rängen und ein Gegner, der sich der Überlegenheit des VfB kaum erwehren kann.
Irgendwann in den letzten zwanzig Minuten, als sich jegliche Nervosität, die schon in den 70 Minuten vorher angesichts der Dominanz der Brustringträger völlig unnötig war, endgültig gelegt hatte, ließ ich meinen Blick durchs nicht ganz so weite Rund und über das Meer in Rot gleiten. Auf Wikipedia hatten jemand scherzhaft das Stadion am Technikmuseum an der A6 schon zur Zweitspielstätte des VfB deklariert und genauso war es an diesem Samstagabend auch. Am Ende schwappte vom Stehblock aus sogar eine Welle über die Hintertor- und die Gegentribüne, nur in der “Südkurve” sowie auf der Haupttribüne konnten sich die teilweise passend zum Stadionsponsor in blaue und weiße Müllsäcke gehüllten Gastgeber noch in der Mehrheit halten. Auf dem grünen Rasen spielten die Brustringträger derweil ihre Gegner nach Strich und Faden auseinander, konnte Sebastian Hoeneß drei seiner vier deutschen Nationalspieler getrost nach und nach vom Feld nehmen und deren Kraft für die anstehende Länderspielpause reservieren. Es war genau so, wie ich es mir vorgestellt hatte.
Das kommt in dieser Saison ziemlich häufig vor und wäre der VfB nicht der Klepperlesverein, der er ist, könnten wir das ganze noch mehr genießen, anstatt darauf zu warten, dass mal jemand mit uns Mitgliedern und Fans spricht statt über oder an uns vorbei. Wer aber am Sonntagabend schon genug davon hat, dass sich, eben weil der VfB sportlich im Rampenlicht steht, jeder Hanswurst mit viel Meinung und wenig Ahnung von den Strukturen und der jüngeren Geschichte des VfB anschickt, seinen Senf zur aktuellen Situation abgibt, dem sei zur mentalen Erholung die Wiederholung oder auch nur die Zusammenfassung dieses Spiels ans Herz gelegt. Die Hoffenheimer entführten ja im Hinspiel mit gnadenloser Effizienz alle drei Punkte aus dem Neckarstadion und angesichts ersatzschwacher Abwehrreihen wäre ein torreicher Ausgang dieser Partie auch keine Überraschung gewesen. Gnadenlos aber war im Rückspiel nur der VfB.
Knoten in die Beine
Es dauerte bis zur 43. Minute, als Alexander Nübel das erste Mal einen Schuss der TSG parieren musste. Zu diesem Zeitpunkt führte seine Mannschaft aber bereits 1:0, weil Chris Führich, Serhou Guirassy, Enzo Millot und Deniz Undav der Hoffenheimer Ersatzabwehr einen Knoten in die Beine gespielt hatten und das davor und danach immer wieder taten. Der VfB war in diesen ersten 45 Minuten in jeder Disziplin haushoch überlegen. Hinten ließ die Mannschaft so gut wie nichts zu, eroberte hingegen immer wieder Bälle in kniffligen Situationen und schaltete dann sofort auf Angriff um. Das einzige was bis zum 22. Saisontreffer von Serhou Guirassy kurz vor Seitenwechsel nicht so richtig klappen wollte, war das Toreschießen. Was aber auch am ebenso starken wie seltsamerweise erneut mit Zeitspiel beschäftigten Oliver Baumann im Tor der Hoffenheimer lag, der immer wieder verhinderte, dass der VfB die “Hausherren” nicht schon vor dem Pausentee komplett hopps nahm.
Dass eine Mannschaft im Brustring einen so berauschenden, aber auch dominanten Fußball spielen kann, ist unglaublich. Wirklich schier unglaublich. Auch nach 26 Spielen muss ich mich immer noch kneifen, dass der Verein, der mir in den letzten zehn Jahren so viel sportlichen Kummer bereitet, zu so etwas imstande ist. Jamie Leweling machte dann mit seinem dritten Rückrundentor endgültig das Spiel zu, der Lattentreffer von — natürlich — Andrej Kramaric ließ dann nur noch die Augenbrauen hochzucken, mehr aber auch nicht. Ein bisschen bissiger wurden Matarazzos Schützlinge nach der Pause zwar schon, zur Not klärte aber der so unbeschäftigte wie erneut überragende Alex Nübel eben einen Ball im eigenen Strafraum in Innenverteidiger-Manier. Der VfB geht in die Länderspielpause mit einer Brust, wie sie breiter nicht sein könnte. Bereits 21 Punkte beträgt der Vorsprung auf Platz 7, ein Sieg im Heimspiel gegen Heidenheim am Ostersonntag könnte angesichts der Tatsache, dass der VfB mit 60 fast doppelt so viele Tore geschossen wie kassiert hat, schon dafür sorgen, dass wir nach all der Scheiße dann auch wirklich die Reise buchen können — oder zumindest schon mal den Rahmenterminkalender der kommenden Saison studieren, um zu wissen, in welche Wochen man sich freihalten sollte.
Destruktive Keile
Wie bereits angedeutet kann es auch auf anderer Ebene in zwei Wochen spannend werden. Diese Zeit will die organisierte Fanszene den Vereinsoberen lassen, um den Fehler der Abwahl des e.V.-Präsidenten aus dem Amt des Aufsichtsratsvorsitzenden zu korrigieren. Ob der von Alex Wehrle gegründete Arbeitskreis so schnell Erfolg haben wird und das Ergebnis für die Cannstatter Kurve zufriedenstellend ist, wird sich zeigen. Immerhin wäre die angekündigte transparente Kommunikation ein erster Schritt. Ob jedoch diejenigen, die mit Porsche am Verhandlungstisch saßen, in der Lage sind, zu begreifen, was der Einstieg des Autobauers neben den finanziellen Vorzügen der ersten Tranche angerichtet hat, darf bezweifelt werden. Dass eine solche Statement-Kaskade wie die der vergangenen Woche wieder zum Tagesgeschäft der Kommunikationsabteilung gehört, ist jedenfalls ein Armutszeugnis für alle Beteiligten.
Es kotzt mich an, dass ich mich schon wieder mit sowas beschäftigen muss, auch wenn ich die konstruktiven Diskussionen unter meinem Artikel zu dem Thema sowie auf verschiedenen sozialen Netzwerken sehr geschätzt habe. Aber wie immer, wenn es in Stuttgart um Vereinspolitik geht, ist eben auch viel unkonstruktives, gar destruktives dabei: Neben dem Umgangston und dem Einteilen von Fans in Lager und Schubladen ist mit am unerträglichsten, wie versucht wird, Mannschaft und Trainer in diese Diskussion hineinzuziehen. Sei es durch Fragen an in der Mixed Zone an Sebastian Hoeneß zehn Minuten nach dem Abpfiff oder bei der ziemlich wirklichkeitsfremden Vorstellung, Fans würden ihrem Protest ab jetzt immer mit Tennisbällen Ausdruck verleihen und Spiele unterbrechen, weil sie das ja zuletzt getan haben. Dass sich die Protestform in der Vergangenheit immer dem Protestgrund angepasst hat — unterbrochene Spiele schaden dem zu vermarktenden Premiumprodukt — scheint die Vorstellungskraft vieler Kommentatoren zu übersteigen. Gleichzeitig wird versucht, ein Keil zwischen die Fans zu treiben und jene, die “nur” Fußball schauen wollen gegen jene aufzubringen, die die Kurve wie schon immer auch als Protestplattform nutzen. Der Versuch ist schon 2019 gescheitert, als wir noch nicht mir 13.000 Menschen fremde Stadien übernommen haben und er wird auch jetzt nicht fruchten.
Was auch immer in zwei Wochen passiert: Im Herbst geh’n wir auf die Reise und abgerechnet wird spätestens bei der Mitgliederversammlung.
Zum Weiterlesen: Der Vertikalpass feiert die vier Nationalspieler und beschreibt noch einmal, wie der VfB die Hoffenheimer hergespielt und aus dem Stadion geschossen hat. Stuttgart.international feiert Enzo Millot und prophezeit, dass es manchem Funktionär bald ähnlich ergehen könnte wie den Hoffenheimern.
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