Zum Auftakt der Zweitliga-Saison trifft der VfB am Montagabend auf den FC St. Pauli. Zuletzt spielten wir im Oktober 2012 im Pokal gegen die Hamburger, das letzte Ligaspiel liegt bereits fünf Jahre zurück. Höchste Zeit also, sich bezüglich der Braun-Weißen auf den neuesten Stand bringen zu lassen.
Wer könnte das besser, als ein Fan des FC St. Pauli? Daher haben wir Michael vom Millernton-Podcast elf Fragen über seinen Verein und das Spiel am Montag gestellt.
Rund um den Brustring: Hallo Michael, vielen Dank, dass Du Dir die Zeit genommen hast, unsere Fragen zu beantworten. Wenn ich das richtig verstanden habe, ist der Millernton aus dem Übersteiger-Blog entstanden, der wiederum das seit 1993 erscheinende Fanzine ergänzt. Für die jüngeren Leser, erzähl doch bitte kurz, was ein Fanzine ist und wie Ihr dazu gekommen seid, über den FC St. Pauli nicht nur zu schreiben, sondern auch zu sprechen.
Michael: Da kann ich leider auch nur aus der Sicht des Beobachters antworten, da ich nie für den Übersteiger tätig war. Allerdings gehe ich schon seit 27 Jahren ans Millerntor, genau genommen seit der Saison 1989/90 und hab’ natürlich das Entstehen des Fanzines mitbekommen. Der Übersteiger gilt ja als der Nachfolger des “Millerntor Roars”, der wohl als das erste Fanzine im Fußballbereich im deutschsprachigen Raum bezeichnet werden kann. Hier gibt es eine schöne kleine Zusammenfassung.
Rund um den Brustring: St. Pauli gilt als der etwas “andere Club”. Ist das immer noch so oder müsst auch ihr euch langsam den Gesetzen des Profifußballs beugen? Beispielsweise werdet ihr seit dieser Saison von Under Armour ausgeerüstet, der laut dieses Spiegel-Artikels beispielsweise eng mit der US Army zusammen arbeitet. Wie kam das in der Fanszene an?
Michael: Selbstverständlich sind wir noch der etwas andere Club. Und ja, na klar spielen wir Profifußball und müssen uns gewissen Gesetzmäßigkeiten unterwerfen. Das bedeutet aber nicht, dass man gewisse Trends ungebeugt mitmacht. Ich sehe St. Pauli zuallererst einmal als kulturellen Zusammenschluss, der dann aber eben auch guten und erfolgreichen Fußball spielen möchte. Ich denke, das, was hier tagtäglich viele verschiedenen Gruppen, Menschen, Funktionäre stemmen ist sicherlich einzigartig. Da wird hier das Stadion in Eigenregie von den Fans mit Unterstützung des Vereins verschönert, da wird dort jedes Jahr eine eigene Gallery im Stadion veranstaltet, die für „sauberes Wasser für alle“ wirbt. Da wird sich hier für Integration und Gemeinschaft eingebracht und dort nimmt man sich anderen Problemen an. Die Liste ist endlos lang. Ich weiß nicht, wie das bei anderen Vereinen ist, aber ich glaube, dass es hier immer noch einzigartig ist. Zum Thema Under Armour kann ich nur Opa zitieren: „Woanders is auch Scheiße“. Ich weiß noch nicht, wie sich diese Partnerschaft inhaltlich auf Dauer auswirkt. Daher möchte ich unseren Präsidenten sprechen lassen, der en détail erklärt, wie es zu der Partnerschaft kam und wie sie in Zukunft aussehen kann: Millernton Folge 25
Rund um den Brustring: Im Mai 2014 habt ihr gerade so den Klassenerhalt geschafft, letztes Jahr wurdet ihr dann plötzlich Vierter. Was ist in den 12 Monaten dazwischen passiert, dass Ihr Euch so verbessert habt?
Michael: Im Dezember 2014 hat das damals gerade neu gewählte Präsidium um Oke Göttlich Ewald Lienen als Trainer engagiert. Wir waren zu dem Zeitpunkt sehr weit weg vom Klassenerhalt. Wir haben eine wahnsinnige Rückrunde mit viel Leidenschaft, Emotionen und knappen Siegen gefeiert. Das war der Klassenerhalt, der letztlich auf das Konto aller geht, die im Verein das Sagen haben. Vom Trainer bis zum Platzwart. Anders kann ich das nicht beschreiben. Wir haben dann ja am letzten Spieltag mit 0–1 in Darmstadt verloren und trotzdem die Klasse gehalten. Das war eines dieser Erfolgserlebnisse, die sich bis in eine neue Saison verlängern können. Was wir dann ja auch so passiert ist. Über eine stabile Abwehr haben wir dann letztendlich erfolgreichen Fußball gespielt, der in einem vierten Tabellenplatz endete. Nicht umsonst haben wir zweimal Leipzig und einmal Freiburg geschlagen.
Rund um den Brustring: Ihr seid 2011 abgestiegen, wart danach zweimal Vierter. Wie groß ist in St. Pauli die Sehnsucht nach der Bundesliga? Und wie schätzt Du Eure Chancen dieses Jahr ein?
Michael: Ich denke, nicht besonders groß. Auch wenn ich hier nicht falsch verstanden werden möchte. Ich persönlich möchte natürlich möglichst jedes Jahr um den Aufstieg mitspielen und dann auch mal wieder hochgehen. Da wir aber ein etablierter Zweitligist sind, wäre die Erste Liga eher als Bonbon zu verstehen. Und man hätte hier die Chance, seine finanziellen Möglichkeiten zu erweitern, was dir auch dabei hilft, dann vermutlich irgendwann mal wieder in der Zweiten Liga eine wichtige Rolle zu spielen, wenn es eben wieder runter geht. Das sieht man ja auch am Etat von Hannover und vom VfB.
Rund um den Brustring: Auf welchen Eurer Neuzugänge freust Du Dich, welchem Abgang trauerst Du hinterher?
Michael: Ganz besonders freue ich mich auf Ryo Miyaichi. Der ja eigentlich kein Neuzugang ist, da er schon letzte Saison zu uns gewechselt war. In der Sommerpause 2015 hatte er sich dann im Vorbereitungsspiel gegen Rayo Vallecano einen Kreuzbandriss zugezogen. Er fiel dann fast die ganze Saison aus und konnte aber am letzten Spieltag noch mal zeigen, was wir vielleicht in der Zukunft von ihm erwarten dürfen. Auf ihn bin ich sehr gespannt und hoffe, dass die Knochen und Sehnen bei ihm halten. Ich bin bei Abgängen eher nicht so emotional und trauere einem gewissen Spieler hinterher. Ein bisschen schade finde ich den Abgang Marc Rzatkowski, der ja wohl auch beim VfB Stuttgart im Gespräch war – jedenfalls für die 1. Liga. Der hat sich bei St. Pauli, insbesondere in der abgelaufenen Saison, prächtig entwickelt. Gutes Auge, Spielwitz und was ich aber noch viel toller an ihm fand; er hat sich bedingungslos in jeden Zweikampf geworfen. Das man da automatisch viel Pluspunkte bei den Fans sammelt, ist klar.
Rund um den Brustring: Das letzte Mal wart ihr 2012 zum Pokalspiel im Neckarstadion, zuvor gab es zahlreiche Bundesligapartien gegeneinander. Was verbindest Du mit Spielen gegen und vor allem in Stuttgart?
Michael: Im Prinzip nichts Besonderes. Mir fällt da sofort André Golke ein, den ich als Kind und in meiner Jugend bewundert habe. Der ist ja nach unserem Abstieg in der Saison 1991 zum 1. FC Nürnberg und danach zu euch. Einer der wenigen St. Pauli Spieler in meiner Jugend, der dann auch irgendwie Karriere gemacht hat. Er hat dann ja in dem ominösen Entscheidungsspiel für die Hauptrunde der Champions League gegen Leeds United ein Tor geschossen. Der VfB war weiter und doch wieder nicht. Tragisch!
Rund um den Brustring: Hat Dich der Abstieg des VfB überrascht und was traust Du uns in dieser Saison zu?
Michael: Ja, irgendwie war es schon sehr überraschend für mich. Nicht, dass es nicht schon in den letzten Jahren hätte passieren können. Vielmehr wundert mich der Umstand, dass der VfB im Frühjahr ja schon fast wieder an den internationalen Rängen geschnuppert hat und mit dem Abstieg im Prinzip nichts mehr zu tun hatte. Und dann der böse Abrutsch – da waren sich wohl einige zu sicher. Ich traue euch einen Platz zwischen eins und sieben zu.
Rund um den Brustring: Bernd Nehrig galt einmal bei uns als das Sturmtalent, seit drei Jahren spielt er bei Euch im defensiven Mittelfeld. Wie hat er sich gemacht?
Michael: Der war mal Stürmer? 😉 Bernd ist bei uns und er ist wichtig für das Team, auch aufgrund seiner Erfahrung. Unser Trainer Ewald Lienen baut ihn gern in seine verschiedenen taktische Varianten ein. Er ist vielseitig und spielt dann meistens auf der Doppelsechs, kann aber auch auf rechts oder links hinten spielen. Wenn er fit bleibt und in einen gewissen Spielmodus kommt, kann er für das Team unverzichtbar sein. Schauen wir, wie er mitmischen kann und sich gegen Avevor, der wohl gerade sein größter Konkurrent sein dürfte, durchsetzen kann.
Rund um den Brustring: Klar, es ist das erste Saisonspiel und vieles lässt sich noch nicht einschätzen. Aber vor welchem Eurer Spieler müssen wir uns in Acht nehmen? Wie wird der FCSP deiner Meinung nach versuchen, den VfB zu schlagen und wie könnte es gelingen?
Michael: Das unsere Abwehr ganz gut steht, ist ja schon von der letzten Saison her bekannt. Himmelmann hat sechzehnmal zu Null gespielt und Ziereis und Sobiech sind die besten Zweitliga-Innenverteidiger. Dazu kommen dann noch auf den Außen Hornschuh und Buballa. Also fünf Leute die perfekt eingespielt sind. Da bin ich gespannt, wie ihr die aushebeln wollt. Miyaichi hatte ich schon erwähnt und ich denke, dass wir mit Aziz Bouhaddouz einen sehr guten Stürmer in unseren Reihen haben. Es ist sicherlich kein Nachteil, wenn wir gleich am ersten Spieltag auf euch treffen. Meines Erachtens seid ihr die Favoriten, wenn es um den Aufstieg geht, schon aufgrund eures Etats und dem damit verbundenen Kader. Ihr müsst euch aber erst mal an die Liga gewöhnen und wir können frei aufspielen. Wir werden sehr kompakt in der Defensive stehen und unsere Chancen nach vorn über Konter suchen. Diese taktische Ausrichtung war auch schon in der letzten Saison auswärts sehr erfolgreich. Ich gehe aber davon aus, dass es ein 0–0 oder 1–1 wird.
Rund um den Brustring: Und welcher unserer Spieler könnte Euch gefährlich werden?
Michael: Natürlich Simon Terodde. Das er einer der perfektesten Zweitligastürmer ist, wird ja wohl kaum jemand bestreiten. Zusammen mit Daniel Ginczek könntest das der gefährlichste Sturm der kommen Zweitliga-Saison werden.
Rund um den Brustring: Wir waren lange nicht mehr am Millerntor, dessen Umbau 2015 abgeschlossen wurde. Worauf können wir uns beim Rückspiel freuen?
Michael: Das Millerntor ist auch nach dem Umbau das einzige Profistadion des Landes, das direkt im Herzen einer GroßStadt steht. Ihr dürft euch also weiterhin darauf freuen, nicht mit irgendeiner S‑Bahn auf die nasse Wiese oder das trockene Feld fahren zu müssen. 🙂
Rund um den Brustring: Vielen Dank für das Gespräch, Michael!