Der VfB tut sich beim Auswärtsspiel auf St. Pauli lange schwer, geht aber dank einer überragenden Einzelaktion im Duell mit dem Tabellenletzten als Sieger vom Platz. Von der in der Winterpause vermittelten Aufbruchsstimmung ist auf dem Platz wenig zu sehen.
Eines vorab: Wie schon häufiger in dieser Saison muss man festhalten, dass es eben jene Spiele sind, die wahrscheinlich am Ende den Unterschied machen werden. Spiele, die der VfB in den vergangenen Jahren noch vergeigt hätte und die er jetzt, warum auch immer, am Ende doch noch gewinnt. Man muss nicht so weit gehen, den VfBollywood auszurufen, wie es der Vertikalpass getan hat. Aber es stimmt schon. Eben weil man solche unansehnlichen Spiele gegen Abstiegskandidaten am Ende doch noch gewinnt, steht man am Ende (hoffentlich) so weit oben, dass es für den Aufstieg reicht.
Die stärkste Bank der Liga
Aber zum Spiel. Vor Anpfiff der Partie im nasskalten Hamburg waren sich nicht wenige VfB-Fans sicher, dass dort die stärkste Bank der Liga hinter der Seitenlinie stand. Wolf ließ, was sich bereits beim Testspiel gegen Luzern unter der Woche angedeutet hatte, Zimmer von Beginn an ran und auch sein Fast-Namensvetter Zmmermann stand in der Startaufstellung. Vorne machte Terodde, ebenfalls nicht unerwartet, den Alleinunterhalter. Wolfs Kalkül muss wohl gewesen sein, dem Gegner notfalls dadurch den Zahn zu ziehen, dass er im Wettbewerb mit Ewald Lienen zur Not die “Mein Mané, mein Ginczek, mein Maxim”-Karte spielen konnte, dem der Heimtrainer nur wenig entgegen zu setzen hätte.
Im Endeffekt ging das Kalkül des Trainers auch auf, die dazwischen liegenden 84 Minuten waren jedoch für die mitgereisten Anhänger des Brustrings mitunter schwer zu ertragen. Wie so häufig in dieser Saison — mittlerweile sind wir in der glücklichen Situation, das sagen zu können — lag es nicht am Einsatz der Mannschaft, dass wenig zusammen lief. In der Defensive machte Timo Baumgartl eine bockstarke Partie und einen weiteren Schritt in Richtung des Führungsspielers, den man beim VfB in der Abwehr so dringend vermisst. Dass am Ende die Null auf der Heimseite stand, lag auch an ihm, teilweise aber auch an der miserablen Chancenverwertung der Hamburger. So hatten sie Ende der ersten Halbzeit die seltene Gelegenheit, aus einer von drei aufeinanderfolgenden Ecken ein Tor zu erzielen. Mitch Langerak und seine Vorderleute machten sie alle mehr oder minder souverän zunichte.
Die Angst des Tormanns vorm Abstoss
Überhaupt Langerak: Zwischen einer starken Flugeinlage und vielen heruntergepflückten Flanken schimmerte bei ihm eine gewisse Unsicherheit durch. Zum einen bei der Eckenserie, als er die hereinfallenden Bälle nicht mit letzter Konsequenz gegen lauernde Stürmer verteidigte. Zum anderen aber, als die Torgefahr gebannt war und es an ihm lag, dass Angriffsspiel des VfB wieder anzukurbeln. Vielleicht lag es auch daran, dass sich keiner seiner Vorderleute umdrehte, aber immer wieder setzte er zum Abschlag an, um sich dann an das Hannover-Spiel zu erinnern und den Ball sicherheitshalber doch abzuwerfen oder abzurollen. Hat ihm die in der Winterpause geführte Debatte über seine Hinrundenpatzer gegen Hannover und in Berlin doch mehr zugesetzt?
Sollte dem so gewesen sein, wäre er nicht der einzige auf dem Platz gewesen. Die ganze Mannschaft stand spürbar unter Druck, sich nicht schon wieder von einem übermotivierten Heimteam überrennen zu lassen, so wie es in Würzburg der Fall gewesen war. Das ging leider in der ersten Halbzeit vor allem auf Kosten der Torgefahr, Anfang der zweiten Hälfte auf Kosten der Sicherheit. In beiden Fällen spielte das Mittelfeld eine entscheidende Rolle (von Taktik-Experte Jonas für die Stuttgarter Nachrichten gut beschrieben), welches zumindest bis zur Einwechslung von Mané ziemlich unterging. Vor allem Zimmer und Zimmermann sowie nach dessen verletzungsbedingter Auswechslung Grgic brachten nur wenig zustande, so dass Terodde ziemlich in der Luft hing. Ab und zu kamen zwar mal Angriffe über die Flügel, die aber allesamt kläglich vergeben wurden. Nach Wiederanpfiff wurde es dann noch ärger, als sich die Ballverluste im Mittelfeld in einem Maß häuften, dass man als Gästefan Angst vor dem Rückstand bekommen musste.
Zum Glück war es “nur” St. Pauli
Die Hamburger investierten viel in das Spiel und die Hoffnung auf einen Heimsieg, der VfB konnte gerade so viel dagegen halten, dass er nicht in Rückstand geriet. Als man sich in der Nordkurve im Hamburger Schietwetter schon fast mit einem 0:0 arrangiert hatte, kam dann doch die Erlösung. In Duellen mit spielerisch auf dem Papier unter‑, aber kämpferisch überlegenen Gegnern sind es häufig Spieler von der Qualität eines Carlos Mané, die die eine Großchance nutzen. Terodde schickte einen Pass auf die Reise, der von Sobiech so unglücklich abgefälscht wurde, dass Mané aus einer optimalen Schußposition heraus ein überragendes Tor erzielte.
Was nimmt man als VfB aus diesem Spiel mit? Einerseits, dass man in der Lage ist, hochmotivierten Gegnern aufgrund der individuellen Qualität der Mannschaft den Wind aus den Segeln nehmen zu können. Andererseits, dass ein solcher Auftritt zwar gegen den Tabellenletzten für einen glücklichen Auswärtssieg reicht, dass effektivere Mannschaften aber viel mehr Kapital aus den Schwächen des VfB schlagen können und werden. Es erschließt sich mir beispielsweise schon seit Jahren nicht, warum man hohe Bälle beim VfB grundsätzlich unkontrolliert mit dem Kopf weiterleitet und damit Ballverluste verursacht, anstatt Platz und Zeit, die häufig genug vorhanden sind, nutzt, um einen kontrollierten flachen Pass zu spielen.
Frustreaktionen
Der nächste Gegner des VfB, die Fortuna aus Düsseldorf, verlor am Wochenende mit 0:3 gegen Sandhausen und wird dementsprechend angefressen sein. Wie schwer dieser Mannschaft offensiv beizukommen ist, mussten wir schon bei der Hinspiel-Niederlage schmerzlich erfahren.
Apropos angefressen:
Ok, mein Mann wurde gerade gebeten, seinen VfB-Schal abzunehmen. Ich steh hier seit 17 Jahren und kotze im Strahl @fcsp #fcspvfb
— Ayla Mayer (@santapauli1980) January 29, 2017
Dieser und ähnliche Vorfälle wurden heute in den sozialen Netzen kommentiert. Ich halte es da ehrlich gesagt wie der Übersteiger: Wenn ich auswärts im Stadion bin und mich nicht gerade mitten im Gästeblock befinde, halte ich mich halt etwas zurück. Das gilt für die Tribünen, aber vor allem für die Heimkurve. Was genau vorgefallen ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Aber wenn ich mich direkt hinter einem Heimblock aufhalte, der grade in den Abgrund dritte Liga starrt, dann muss ich, so sehr ich mich über den späten Siegtreffer freue, den Siegesjubel auf die Heimfahrt verschieben. Natürlich rechtfertigt das keine Gewalt und die Business-Seats über der Südkurve sind ein ziemlich bescheuerter Aspekt eines ansonsten sehr schön umgebauten Millerntor-Stadions, aber man darf sich dann halt nicht über eine entsprechende Reaktion wundern.
Das läuft übrigens in Stuttgart nicht anders. Man erinnere sich nur einmal an Heimspiele gegen die Bayern, bei denen man nach jedem Bayern-Treffer beobachten konnte, wie übers Stadion verteilt übermütig jubelnde Bayern-Fans in Konflikte mit gefrusteten Stuttgartern gerieten. Da empfinde ich die Aufforderung, einen Schal einzupacken, zwar nicht als das Nonplusultra der Konfliktlösung, aber auch nicht als Eklat. Es hat schon seinen Grund, warum ich bei Auswärtsspielen erst am Stadion als VfB-Fan erkennbar bin. Wobei das viele, die wahrscheinlich schon seit Freitagabend VfB-Lieder grölend durch Hamburg zogen, wahrscheinlich anders sehen.
Noch ein kurzer Blick in den Gästeblock. Es ist mir schleierhaft, warum man sich an Vereinen abarbeitet, gegen die man nur alle Jubeljahre mal oder vielleicht sogar zum ersten Mal spielt. Schon das “Scheiß Berliner” gegen eine Fanszene, die der Hertha genauso wenig abgewinnen kann wie die unsere, war unfassbar albern. Was einem St. Pauli nun genau getan, dass man die Mannschaft beim Auslaufen noch lauthals anpöbelt…keine Ahnung.
Beim nächsten Heimspiel, mal wieder am ungeliebten Montag sollte es solche Probleme hoffentlich nicht geben. Hoffen wir, dass es eine rundum erfreulichere Partie wird.