Zu dumm für die Liga

Und wei­ter geht’s. Gegen Lever­ku­sen setz­te es für den VfB die nächs­te Nie­der­la­ge. Ver­dient, denn wer sich so bescheu­ert anstellt, steht zurecht auf Platz 16.

Natür­lich könn­te ich mir, weil ich am Sams­tag unter­wegs war, das Spiel im reli­ve auf VfBtv anschau­en, dazu noch drei Zusam­men­fas­sun­gen und die ein­schlä­gi­gen Sta­tis­tik­sei­ten. Ehr­lich gesagt reich­te mir schon wäh­rend des Spiels ein Blick auf den Live­ti­cker und die rudi­men­tärs­ten Sta­tis­ti­ken, damit sich vor mei­nem geis­ti­gen Auge eine Visi­on auf­tat, so deut­lich als säße ich neben Mar­kus Wein­zierl auf der Trai­ner­bank: Der VfB besinnt sich auf das Ein­zi­ge, was er in die­ser Sai­son halb­wegs unfall­frei hin­kriegt, näm­lich kom­pakt zu ver­tei­di­gen, und hofft, dass vor­ne irgend­wie aus Ver­se­hen einer rein­geht. Wenn dann das unver­meid­li­che Gegen­tor fällt, sind Trai­ner und Trup­pe auf­ge­schmis­sen, denn ein Kon­zept für einen Rück­stand hat kei­ner. Was macht man, wenn die geg­ne­ri­sche Mann­schaft sich mit dem einen geschos­se­nen Tor zufrie­den gibt, weil sie von der Offen­siv­ab­tei­lung des VfB eh nichts zu befürch­ten hat? Dann kann man ja noch nicht mal mehr Kon­ter schlecht aus­spie­len, weil man dafür kei­nen Raum mehr kriegt. Was einen selbst­re­dend nicht dar­an hin­dert, Alex­an­der Ess­wein und Ste­ven Zuber, fast kom­plett durch­spie­len zu las­sen — der eine der Inbe­griff von Inef­fek­ti­vi­tät, der ande­re wie­der so unsicht­bar wie zu Beginn der Hin­run­de.

Kein Konzept, nur Gewohnheit

Wenn ich mich nicht irre, lag ich mit mei­ner Vor­stel­lung des Gesche­hens auf dem Rasen im Neckar­sta­di­on nicht völ­lig dane­ben. Woher die hell­se­he­ri­schen Fähig­kei­ten? Lei­der nicht, weil ich als Kind in den Zau­ber­trank gefal­len bin. Son­dern weil der VfB mit einer Vor­her­seh­bar­keit auf den Abgrund zutau­melt, dass man es sich eigent­lich spa­ren könn­te, das Elend live am Fern­se­her oder im Sta­di­on zu ver­fol­gen. Wie will man denn auch den furcht­bar bril­li­an­ten Plan unse­res Prä­si­den­ten, ein­fach mal so alle Heim­spie­le zu gewin­nen, umset­zen, wenn man nur etwas mehr als 30 Pro­zent Ball­be­sitz hat, nur halb so vie­le Päs­se spielt wie der Geg­ner und vor allem kaum etwas brauch­ba­res aufs Tor bringt?

Jeder Woche der gleiche Mist. So auch dieses Mal,
Jeder Woche der glei­che Mist. So auch die­ses Mal,

Aber das ist beim VfB lei­der nichts Neu­es, die Spie­le gegen Leip­zig, Dort­mund oder Bay­ern wur­den nach einem ähn­li­chen Sche­ma ange­gan­gen, mit ähn­li­chen Wer­ten und einem ähn­li­chen Aus­gang. Zum Glück für die Tor­dif­fe­renz des VfB hat Lever­ku­sen nicht ganz die Qua­li­tät die­ser Mann­schaf­ten, aber das Grund­pro­blem bleibt: Der VfB ist zu dumm für den Abstiegs­kampf und ehr­lich gesagt auch zu dumm für die Liga.

Hilflos

Das trifft, auf einer grö­ße­ren Ska­la, vor allem auf Mar­kus Wein­zierl und Tho­mas Hitzl­sper­ger zu. Denn dass Wein­zierl kein Kon­zept, son­dern nur eine Gewohn­heit hat, haben wir in den letz­ten Wochen genug the­ma­ti­siert. Fast jede Mann­schaft außer Han­no­ver und uns ist in der Lage, im Abstiegs­kampf über­ra­schend Punk­te ein­zu­fah­ren. Zuletzt hat das Augs­burg am Sonn­tag­abend bei aus­ge­rech­net jener Ein­tracht bewie­sen, der der VfB nach einem Rück­stand völ­lig über­for­dert eine Halb­zeit lang hin­ter­her lief — übri­gens auch nach Rück­stand. In Bad Cannstatt zählt man statt­des­sen die Minu­ten, in denen man in jedem Spiel “mit­ge­hal­ten” und “gut ver­tei­digt” hat und ist stolz dar­auf, dass man gegen den Tabel­len­vor­letz­ten nicht ver­lo­ren hat. Eine Idee, wie man selbst gegen Geg­ner, die ver­meint­lich auf Augen­hö­he sind, ein Tor schießt? Fehl­an­zei­ge.

Dummheit Nr. 1: Castro verschenkt Elfmeter.
Dumm­heit Nr. 1: Cas­tro ver­schenkt Elf­me­ter.

Dass Trai­ner­wech­sel in der Mehr­zahl der Fäl­le kei­nen posi­ti­ven Effekt haben, ist sta­tis­tisch nach­ge­wie­sen. Das heißt nicht, dass es nicht im Ein­zel­fall doch funk­tio­nie­ren kann. Nach dem Nürn­berg-Spiel war ich ja noch der Mei­nung, es mache sowie­so kei­nen Unter­schied mehr, weil der Rele­ga­ti­ons­platz schon fest gebucht sei. Nach dem Auf­tritt gegen Lever­ku­sen kann man sich nicht ein­mal mehr des­sen sicher sein. Dass Hitzl­sper­ger sich aus­ge­rech­net jetzt das “Keep calm and car­ry on”-Pla­kat ins Büro hängt, ist ein Feh­ler. Die­se Mann­schaft braucht noch irgend­ei­nen Impuls, und sei es das nie­der­schmet­tern­de Gefühl, schon den zwei­ten Trai­ner in die­ser Sai­son auf dem Gewis­sen zu haben. Hitzl­sper­gers Marsch­rou­te ist vor allem ein Aus­druck der Hilf­lo­sig­keit.

Nicht abstiegskampftauglich

Aber nicht nur Trai­ner und Sport­vor­stand las­sen der­zeit die Qua­li­fi­ka­ti­on für den Abstiegs­kampf ver­mis­sen. Viel mehr trifft das noch auf die Spie­ler zu, ins­be­son­de­re auf zwei: Gon­za­lo Cas­tro und Sant­ia­go Ascací­bar. Dem einen gelingt es, trotz sei­ner Erfah­rung von über 300 Bun­des­li­ga-Spie­len, zwei­mal inner­halb weni­ger Wochen einen Elf­me­ter zu ver­ur­sa­chen, in dem er einen Spie­ler foult, der den Straf­raum gera­de ver­lässt. Bei­des Elf­me­ter, die durch­aus spiel­be­ein­flus­send, wenn nicht sogar ‑ent­schei­dend waren. Eigent­lich hat­te Cas­tro nach sei­ner unter­ir­di­schen Hin­run­de ja wie­der in die Spur gefun­den. Mit solch dum­men Fouls macht er sei­ne auf­stei­gen­den spie­le­ri­schen Leis­tun­gen wie­der zunich­te.

Das glei­che könn­te man über Ascací­bar sagen. Des­sen Spiel besteht zwar größ­ten­teils aus Ren­nen, Grät­schen und gel­ben Kar­ten sam­meln, aber immer­hin konn­te man ihm dabei in der Ver­gan­gen­heit zugu­te hal­ten, dass das der Mann­schaft im Abstiegs­kampf hilft. Auf sei­nen Aus­ras­ter kurz vor Ende des Spiels trifft das lei­der nicht zu. Selbst wenn sein Spu­cken eine Kurz­schluss­re­ak­ti­on auf eine Pro­vo­ka­ti­on von Havertz gewe­sen ist — was ich nicht aus­schlie­ßen mag, denn anders als die fünf Lever­ku­sen-Fans in Deutsch­land und diver­se Bou­le­vard- und ver­meint­lich ernst­zu­neh­men­de Blät­ter es behaup­ten, ist so ein Ver­hal­ten nicht typisch für ihn — muss er Pro­fi genug sein, um es bes­ser zu wis­sen, auch mit Anfang 20. Das hat auch nichts mit har­tem Spiel zu tun, es ist ein­fach nur eine unrei­fe Art der Frust­be­wäl­ti­gung. Denn es ist davon aus­zu­ge­hen, dass der DFB ihn auch auf­grund sei­ner Kar­ten­sta­tis­tik nicht mit Samt­hand­schu­hen anfas­sen wird und er womög­lich für den Rest der regu­lä­ren Sai­son auf der Tri­bü­ne sitzt.

Dummheit Nr. 2: Santi brennen die Sicherungen durch.
Dumm­heit Nr. 2: San­ti bren­nen die Siche­run­gen durch.

Kein Sündenbock

Ver­band­straf­recht­lich ist das völ­lig in Ord­nung, auf der per­sön­li­chen Ebe­ne wäre, wenn nicht unbe­dingt Samt­hand­schu­he, ein biß­chen Mäßi­gung im Umgang mit ihm ange­bracht. Auf das Grund­übel des deut­schen Sport­jour­na­lis­mus, aus­län­di­sche Spie­ler grund­sätz­lich immer mit ihrer Natio­na­li­tät und mög­lichst noch einem ent­spre­chen­den Kli­schee zu attri­bu­tie­ren, will ich hier aus Platz­grün­den gar nicht groß ein­ge­hen. Aber es ist schon etwas sehr platt, wenn man Ascací­bars unbe­streit­ba­re Hitz­köp­fig­keit dar­auf zurück­führt, dass er aus Argen­ti­ni­en kommt, die­sem wil­den unbe­kann­ten Land auf der ande­ren Sei­te des Atlan­tiks, meint Ihr nicht? Nein, es geht mir viel mehr um die Empö­rung, die sich nach Abpfiff Bahn brach. Teils berech­tigt, teils weit über das Ziel hin­aus.

Dass Ascací­bars Ver­hal­ten unsport­lich und eklig war — gar kei­ne Fra­ge.  Dass die Geld­stra­fe des VfB und die Spiel­sper­re des Ver­bands berech­tigt sind — dito. Wenn aber der mora­li­sche Zei­ge­fin­ger so hoch gehal­ten wird, dass man in Berei­che von “braucht man in der Bun­des­li­ga nicht” (Voll­and), “das Schlimms­te was man machen kann” (Bosz) kommt, dann hört es irgend­wann auf. Natür­lich braucht man jetzt nicht ande­re bru­ta­le Fouls oder das Phan­tom­tor von Bay­er-Legen­de Kieß­ling dage­gen auf­zu­rech­nen. What­a­bou­tism hilft da nichts. Aber “das Schlimms­te” ist es mit Sicher­heit nicht und mir fal­len eini­ge Spie­ler ein, die auf­grund ihrer grund­sätz­li­chen Ein­stel­lung zur Fair­ness und zum Sport — und nicht wegen eines Aus­ras­ters — viel weni­ger in die­ser Liga ver­lo­ren haben. Ascací­bar wird die­se Sper­re sel­ber am Meis­ten belas­ten (sie­he oben). Hel­fen wird sie uns im Abstiegs­kampf auch nicht, aber wir soll­ten uns hüten, ihn wie damals Ibi­se­vic zum Sün­den­bock für das Ver­sa­gen der gesam­ten Mann­schaft zu machen.

Jetzt habe ich zu die­sem in sei­ner Beschis­sen­heit doch ziem­lich aus­tausch­ba­ren Spiel doch mehr geschrie­ben als ich woll­te. Es fühlt sich lei­der wie­der alles sehr wie 2016 an: Die Unfä­hig­keit, Spie­le zu gewin­nen, die Art und Wei­se, wie sich der VfB Woche für Woche sel­ber schlägt oder zumin­dest ein Bein stellt und die Selbst­zu­frie­den­heit, mit der das alles hin­ge­nom­men wird. Zum Kot­zen.

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