Que vergonha, amigo — Welche Schande, mein Freund!

Der VfB zeigt in Augs­burg das schlimms­te Spiel, an das sich vie­le von uns erin­nern kön­nen. Sport­lich und was die Ein­stel­lung betrifft: Eine Schan­de.

Ein schrei­en­der Kopf, ein Affe mit zuge­hal­te­nen Augen und ein Face­palm. Mehr Emo­jis brauch­te VfB-Legen­de Cacau nicht, um den Auf­tritt des VfB in Augs­burg bei Insta­gram tref­fend zusam­men­zu­fas­sen. Sein ehe­ma­li­ger Mann­schafts­ka­me­ra­de und ‑kapi­tän, Fer­nan­do Mei­ra, ergänz­te: “Que ver­gon­ha ami­go. Isso não é o VfB!!!”. Zu Deutsch: “Wel­che Schan­de, mein Freund. Das ist nicht der VfB”. Wir müs­sen lei­der fest­hal­ten: Ist er doch. Zumin­dest lie­fen die Ver­sa­ger von Augs­burg mit einem Brust­ring­tri­kot und dem Wap­pen des Ver­eins auf dem Her­zen über den Rasen und auch der Trai­ner an der Sei­ten­li­nie hat­te mei­nes Wis­sens nach zu die­sem Zeit­punkt noch einen Arbeits­ver­trag beim VfB. Doch, das war der VfB, der da in der schlech­tes­ten Bun­des­li­ga-Sai­son sei­ner Ver­eins­ge­schich­te das schlech­tes­te Bun­des­li­ga-Spiel ablie­fer­te, an das ich mich in den über 20 Jah­ren, seit ich mein Herz an die­sen Ver­ein ver­lo­ren habe, erin­nern kann. Der VfB an Ostern 2019: Ein Trüm­mer­hau­fen, für den man sich als Fan nur noch schä­men kann.

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Schlimmer geht immer

Ihr erwar­tet hof­fent­lich an die­ser Stel­le kei­ne tie­fer­ge­hen­de Ana­ly­se des Gemet­zels, wel­ches der FC Augs­burg, ein direk­ter Kon­kur­rent im Kampf um den Klas­sen­er­halt, mit der von allen guten Geis­tern und jeg­li­chem Anstand ver­las­se­nen Gäste-“Mannschaft” ver­an­stal­te­te. Dafür kann ich die Nicht-Leis­tung ein­fach nicht ernst genug neh­men. Über­haupt: Wir hat­ten das alles schon mal. Vor drei Jah­ren lie­ßen sich elf Spie­ler des VfB schon ein­mal von einem direk­ten Kon­kur­ren­ten um den Klas­sen­er­halt mit sechs Toren hin­rich­ten, es war der trau­ri­ge, end­gül­ti­ge Absturz nach einem jah­re­lan­gen, immer stei­ler wer­den­den Sink­flug. Nach dem 2:6 in Bre­men über­schrieb ich mei­nen Spiel­be­richt mit “Ich kann nicht mehr!”, in der Erwar­tung, dass eigent­lich kei­nen tie­fe­ren Tief­punkt mehr geben könn­te. Ich habe mich geirrt.

Es ist wirk­lich beein­dru­ckend, wie es den der­zeit beim VfB unter Ver­trag ste­hen­den Spie­lern gelingt, die Ent­täu­schun­gen der Abstiegs­sai­son 2015/2016 noch zu unter­bie­ten. Sport­lich sowie­so. Nie hat­ten wir eine mie­se­re Tor­dif­fe­renz, nie hat­ten wir weni­ger Punk­te, nie haben wir weni­ger Tore geschos­sen. Und nur noch zwölf Gegen­to­re feh­len uns zum größ­ten Scheu­nen­tor unse­rer Geschich­te, der VfB-Abwehr 1974/75. Aber dass “Ja zum Erfolg” vor allem das Ein­stel­len aller Nega­tiv­re­kor­de bedeu­tet, dar­an konn­ten wir uns in den letz­ten Wochen gewöh­nen. Dass eine Ansamm­lung von Spie­lern jedoch so wenig Sports­geist und Anstand im Lei­be hat, dass sie ein vor­ent­schei­den­des Spiel um den direk­ten Klas­sen­er­halt nicht nur ver­liert, son­dern ohne jeg­li­che Gegen­wehr abschenkt, damit konn­te nicht ein­mal der hart­ge­sot­tens­te VfB-Fan rech­nen. 

Keine Lust und keine Ideen

Wie wenig Lust die Her­ren auf dem Feld hat­ten, die etwa 4.000 mit­ge­reis­ten Fans dafür zu beloh­nen, dass sie den Oster­sams­tag mit ihnen statt mit der Fami­lie im Gar­ten ver­brach­ten, wur­de schon nach weni­gen Minu­ten deut­lich und fand sei­ne Krö­nung in dem lach­haf­ten Füh­rungs­tref­fer von Rani Khe­di­ra. Emi­lia­no Insua stell­te ein­mal mehr unter Beweis, dass er in der zwei­ten Liga am Bes­ten auf­ge­ho­ben ist und in der Mit­te war es drei VfB-Spie­lern völ­lig egal wo die Flan­ke lan­de­te: Rani Khe­di­ra hät­te zwi­schen Ball­an­nah­me und Tor noch kurz mit sei­nem Bru­der in Turin tele­fo­nie­ren kön­nen. Und so ging es wei­ter, bis Augs­burg in knapp 70 Minu­ten wei­te­re fünf Tore erzielt hat­te und von sei­nem wehr- und lust­lo­sen Opfer abließ. Vom VfB kam nichts. Kein Wil­le zum Klas­sen­er­halt, kein Wil­le, sich und uns die­se Schan­de zu erspa­ren. Wie kaputt die Ein­stel­lung die­ser Mann­schaft ist, lässt sich schon dar­an able­sen, dass es schein­bar Spie­ler gab, die das Spiel schon zur Halb­zeit auf­ge­ge­ben hat­ten und den Pres­se­spre­cher baten, nach dem Spiel kei­ne Inter­views geben zu müs­sen. Nach­voll­zieh­bar, wenn man so beschis­sen spielt, dass einem selbst kei­ne Flos­keln mehr ein­fal­len, mit denen man sich raus­re­den kann.

Genau­so erbärm­lich wie die Her­an­ge­hens­wei­se der Mann­schaft waren die Schnaps­ideen, mit denen Mar­kus Wein­zierl, der selbst­ver­ständ­lich an nichts schuld ist, sie aufs Feld schick­te. Natür­lich muss­te er die Mann­schaft ver­än­dern, weil Ascací­bar sich gegen Lever­ku­sen sel­ber aus dem Kader nahm. Wer sei­ner Krea­ti­vi­tät aber mit dem stu­ren und unver­ständ­li­chen Fest­hal­ten am Stamm­platz von Alex­an­der Ess­wein Fes­seln anlegt, der darf sich über ein sol­ches Deba­kel nicht wun­dern. Wein­zier­ls Lieb­lings­spie­ler muss­te natür­lich auch im 13. Rück­run­den­spiel auf von Beginn an ran, dies­mal auf der Posi­ti­on des Außen­ver­tei­di­gers einer Fün­fer­ket­te bestehend aus Insua, Kempf, Pavard und Baum­gartl. Wer hier Ozan Kabak ver­misst, der sei beru­higt. Der 18jährige Innen­ver­tei­di­ger wur­de als Schwei­zer Taschen­mes­ser auf der Sech­ser­po­si­ti­on miss­braucht. Die Fol­ge die­ses Auf­stel­lungs-Hara­ki­ris: Sowohl Ess­wein als auch Kabak waren auf ihren Posi­tio­nen kom­plett über­for­dert. Und das, obwohl mit Den­nis Aogo jemand auf der Bank saß, der bei aller spie­le­ri­schen Limi­tie­rung immer­hin eine soli­de Sechs spie­len kann. Zum Glück war der Spuk bereits nach dem ers­ten Gegen­tor teil­wei­se been­det, als Wein­zierl auf Vie­rer­ket­te umstell­te. Respekt an Jonas von VfBtak­tisch, dass er die­ser tak­ti­schen Kern­schmel­ze eine aus­führ­li­che Ana­ly­se wid­met.

Zu spät reagiert

Dass Sport­vor­stand Tho­mas Hitzl­sper­ger ges­tern Abend dann doch noch sei­ne ers­te Trai­ner­ent­las­sung ver­kün­den muss­te, war so abseh­bar wie über­fäl­lig. Ohne damit die kata­stro­pha­le Ein­stel­lung, die die “Mann­schaft” an den Tag legt, rela­ti­vie­ren zu wol­len: Die­ser Schritt kommt knapp zwei Mona­te zu spät. Denn eigent­lich hät­te Wein­zierl schon nach dem desas­trö­sen 0:3 in Düs­sel­dorf — damals übri­gens auch noch direk­ter Kon­kur­rent, mitt­ler­wei­le dank unse­rer Nie­der­la­ge in Lever­ku­sen geret­tet — gehen müs­sen. Zu sei­nem Glück woll­te Wolf­gang Diet­rich wohl die drit­te Trai­ner­ent­las­sung in etwas mehr als zwei Jah­ren Amts­zeit ver­mei­den und setz­te statt­des­sen den Mann vor die Tür, den er 2017 sei­nem bes­ten Bud­dy und Vor­bild aus Mün­chen aus den Rip­pen gelei­ert hat­te. Dass Hitzl­sper­ger nach sei­ner über­ra­schen­den Beför­de­rung die kata­stro­pha­le Per­so­nal­po­li­tik sei­nes Chefs fort­führ­te, ist zunächst wenig über­ra­schend. Aber irgend­wann zwi­schen Anfang Febru­ar und Mit­te April hät­te auch ihm däm­mern müs­sen, dass der nach ihm benann­te Effekt ledig­lich ein Ali­bi für sei­ne Sorg­los-Trup­pe war. Wein­zierl hat­te schon lan­ge kei­ne Idee mehr, wie er der Mann­schaft mehr Offen­siv­kraft ver­lei­hen könn­te und die Spie­ler ruh­ten sich dar­auf aus. 

Also nein, lie­ber Mar­kus Wein­zierl: Du bist nicht schuld dar­an, dass Sant­ia­go Ascací­bar sich mit Anfang 20 ver­hält wie ein puber­tie­ren­der Jun­ge. Aber ja. Es ist auch Dei­ne Ver­ant­wor­tung, dass die Mann­schaft spie­le­risch, tabel­la­risch  und men­ta­li­täts­mä­ßig dort steht, wo sie steht. Und Du hast es im Grun­de nur dem schlech­tes­ten Prä­si­den­ten der letz­ten 20 Jah­re zu ver­dan­ken, dass Du in der schlech­tes­ten Sai­son der Ver­eins­ge­schich­te vor dem schlech­tes­ten Spiel seit lan­gem dei­ne in gro­ßen Tei­len pein­li­che Pres­se­kon­fe­renz abhal­ten durf­test. Wenn man woll­te, könn­te man eine direk­te Linie der Ver­ant­wor­tungs­lo­sig­kei­ten zie­hen. Von den Spie­lern auf dem Platz über den Trai­ner zum Prä­si­den­ten, des­sen Bilanz als Ver­eins­ober­haupt vor allem eine Geschich­te des Schei­terns ist.

Schande auf allen Ebenen

Denn unter sei­ner Füh­rung beschäf­tigt der VfB mit dem bemit­lei­dens­wer­ten Nico Wil­lig bereits den vier­ten Trai­ner, des­sen Vor­ge­setz­ter Tho­mas Hitzl­sper­ger ist der drit­te Sport­vor­stand seit dem 9. Okto­ber 2016. Jenem omi­nö­sen Tag als der Auf­sichts­rat unter güti­ger Mit­hil­fe eines Jour­na­lis­ten ihren Kan­di­da­ten ins Amt des VfB-Prä­si­den­ten durch­prü­gel­te. Ein Kan­di­dat, des­sen ein­zi­ge Auf­ga­be und ein­zi­ger Erfolg es war, dem Nach­barn mit dem Stern auf dem Dach mehr Ein­fluss beim Ver­ein zu ermög­li­chen, als es das bis­he­ri­ge Spon­so­ring zuließ. Dem dabei jedes Mit­tel recht war: Von der Dif­fa­mie­rung und der Belei­di­gung von Mit­glie­dern direkt nach sei­ner Wahl, über eine Aus­glie­de­rungs­kam­pa­gne jen­seits jeg­li­chen guten Umgangs­tons bis hin zu einer von per­sön­li­chen Eitel­kei­ten gepräg­ten Per­so­nal­po­li­tik und dem, was mitt­ler­wei­le von ver­schie­de­nen Sei­ten ver­nied­li­chend mit “Geschmäck­le” bezeich­net wird: Einem sehr locke­ren Umgang mit der Rich­tig­keit sei­ner getä­tig­ten Aus­sa­gen, oder um es mit einem sei­ner ehe­ma­li­gen Ange­stell­ten aus­zu­drü­cken, Wahr­heits­beu­gun­gen. Ob regio­na­le Inves­to­ren in der von ihm ver­ant­wor­te­ten Kam­pa­gne zur Aus­glie­de­rung eine Rol­le spiel­ten, dar­an kann oder will er sich nicht mehr erin­nern. Viel­leicht hat er auch ver­ges­sen, mit wel­cher sei­ner ver­schie­de­nen Fir­men er am Ende davon finan­zi­ell pro­fi­tie­ren wird, wenn Uni­on Ber­lin oder Hei­den­heim unse­re Trüm­mer­trup­pe in der Rele­ga­ti­on aus­ein­an­der nimmt.

Wo man auch hin­blickt beim VfB an die­sem Oster­wo­chen­en­de: Eine ein­zi­ge Schan­de. Eine leb- und lust­lo­se Mann­schaft, die den Klas­sen­er­halt eigent­lich nicht mehr ver­dient hat. Ein Trai­ner, der für sei­ne ideen­lo­se Arbeit kei­ne Ver­ant­wor­tung über­neh­men möch­te und eine Ver­eins­füh­rung, die mit dem Füh­ren des Ver­eins (und der dazu­ge­hö­ri­gen AG) schein­bar über­for­dert ist. Ja, das war jetzt der ganz gro­be Besen und Tho­mas Hitzl­sper­ger wird in Zukunft hof­fent­lich viel mehr rich­tig machen, als er bis­lang falsch gemacht hat. Aber alle oben genann­ten haben den VfB Stutt­gart in die­se desas­trö­se Lage manö­vriert, die hat­ten mehr Anteil dar­an, die ande­ren mit weni­ger.

Schutt und Asche

Die Iro­nie an die­ser Kata­stro­phe ist ja, dass unse­re Trüm­mer­trup­pe die Sai­son theo­re­tisch am Ende sogar noch ret­ten könn­te und mit einem Sieg in der Rele­ga­ti­on den Super­su­per-GAU eines zwei­ten Abstiegs in drei Jah­ren ver­hin­dern könn­te. Denn noch­mal zu Mit­schrei­ben: Der ers­te Abstieg war die logi­sche Fol­ge von jah­re­lan­ger Miss­wirt­schaft und dem Durch­schlep­pen frag­wür­di­ger Spie­ler­cha­rak­te­re. Ein zwei­ter Abstieg, dies­mal einer AG, an der man bereits erfolg­los Antei­le ver­kauft hat, wäre eine nur schwer zu ver­kraf­ten­de Kata­stro­phe. Denn um die finan­zi­el­len Aus­wir­kun­gen eines Abstiegs abzu­fe­dern und nach einem mög­li­chen Wie­der­auf­stieg wie­der wett­be­werbs­fä­hig im Sin­ne von Diet­richs abstru­sem Fünf-Jah­res-Plan zu sein müss­te man nicht nur Spie­ler ver­kau­fen, son­dern auch wei­te­re Antei­le. Jun­ge, bin ich froh, dass wir den VfB im Herbst 2016 nicht in Schutt und Asche gelegt haben, wie es Ex-Auf­sichts­rats­chef Mar­tin Schä­fer für den Fall sei­ner Abwahl und der Nicht-Wahl von sei­nes Kan­di­da­ten pro­phe­zei­te, son­dern das Wolf­gang Diet­rich über­las­sen haben.

So, das muss­te jetzt mal raus. Ich dach­te eigent­lich, ich hät­te mich vor drei Jah­ren emo­tio­nal schon völ­lig an die­sem Ver­ein ver­aus­gabt. Aber der VfB schafft es wirk­lich noch noch den letz­ten Trop­fen Ver­bit­te­rung und Ent­täu­schung aus einem her­aus­zu­pres­sen. Auch sehr lesens­wert dazu: Der Ver­ti­kal­pass, der eben­so von einer Schan­de spricht und Chris­tof Kne­er in der Süd­deut­schen Zei­tung, der den VfB schon lan­ge beglei­tet und den Auf­tritt als “Ver­lust von Anstand und Serio­si­tät” bezeich­net.

Foto: © Dani­el Pal­fi

 

 

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