Die Mitglieder des VfB Stuttgart haben sich für eine Ausgliederung der Fußballabteilung in eine AG entschlossen. Was sich ändert und was sich ändern muss.
Über 80 Prozent stimmten am Ende dem Vorschlag des VfB-Vorstands zur Ausgliederung zu. Dass die Zustimmung so deutlich werden würde, damit hätten wohl die wenigsten gerechnet. Auch wenn ich damit überstimmt wurde, akzeptiere ich selbstverständlich die demokratische Entscheidung der Mitgliederversammlung. Wer weiß, vielleicht sind ja alle meine Bedenken, die wir letzte Woche geäußert haben, völlig grundlos. Realistischer ist, dass wir das erst in ein paar Jahren wissen werden. Auch wenn die Rahmenbedingungen und handelnde Personen andere sind: Im blauen München hätte damals wahrscheinlich auch niemand damit gerechnet, dass man im Jahr 2017 vor einem Scherbenhaufen steht, der einem noch nicht einmal selber gehört. Kurzfristig scheinen die Folgen dieser Entscheidung überschaubar: Der VfB erhält von Daimler 41,5 Millionen, von denen er angeblich 10 Millionen direkt in Transfers investieren kann und möchte.
Und nun?
Was ändert sich für uns Mitglieder und Fans? Von verschiedenen Seiten habe ich bereits Austrittsankündigungen vernommen. Das kann ich sehr gut nachvollziehen, schließlich sind die meisten von uns wegen des Herrenfußballs Mitglied geworden. Der Verein hat jetzt aber keine Herren-Fußballabteilung mehr. Der Einfluss auf diese Abteilung wird nun noch geringer, als er es vorher schon war. Ich werde trotzdem Mitglied bleiben, um mir zumindest das kleine bisschen Einfluss zu erhalten, dem Präsidenten als einzigen Bindeglied zur AG auf die Finger schauen zu können. Auch am Support im Stadion wird sich nichts ändern, weder von meiner Seite noch in der Kurve im Allgemeinen, wie man im Brustring-Talk hören konnte.
Ändert sich für mich persönlich was? Irgendwie schon. Ich war bisher stolz auf meinen VfB, dass er nicht den gleichen Versuchungen unterlegen war, wie die Konkurrenz. Der VfB Stuttgart 1893 e.V. hatte es auch so geschafft, hatte den ganzen Konzernmannschaften und anderen mal mehr, mal weniger dubios extern finanzierten Vereinen die Stirn geboten. Der VfB brauchte keinen Mäzen, er brauchte keinen zweifelhaften Sponsor aus Russland. Er war zwar nicht so reich wie die Bayern, aber das gehörte irgendwie zum Club dazu. Natürlich hatte auch der VfB Sponsoren, auf die ich verzichten könnte — die Werbung auf dem Brustring meines Meira-Trikots von 2006/2007 ist glücklicherweise größtenteils abgeblättert — aber auch Sponsoringverträge sind immer nur temporär.
Kein Alleinstellungsmerkmal mehr
Jetzt nimmt auch mein Verein externe Hilfe in Anspruch. Es wurde ein Teil aus dem Verein herausgenommen und ein Teil davon wiederum gehört nicht mehr zum Verein. Auch wenn die Spieler die gleichen Trikots tragen und wir die gleichen Lieder singen, gehört die Fußballabteilung jetzt nicht mehr ausschließlich den Fans und Mitgliedern, sondern auch einem Unternehmen, für welches ich, vielleicht auch weil ich nicht aus Stuttgart komme, keine besonderen Sympathien hege. Schließlich profitiert Daimler schon seit den frühen 90ern davon, dass damals Namenssponsoring von Stadien kaum verbreitet und der VfB der Ansicht war, er hätte einen super Deal damit gemacht, den Namen des Neckarstadions für eine einmalige Summe zu verhökern. Und auch in den Jahren danach trat der Konzern mit dem Stern außer versteckt im Stadionnamen kaum wahrnehmbar in Erscheinung. Was einem ja durchaus recht sein kann, aber nichts mit der beschworenen langjährigen engen Partnerschaft zu tun hat.
Aber die Diskussionen sind ja alle schon geführt worden. Ich werde also Mitglied bleiben und erwarte jetzt, dass die vollmundigen Ankündigungen auch umgesetzt werden. Innerhalb von vier Jahren wolle man den Personaletat auf 100 Millionen Euro hochfahren und wieder international spielen. Außerdem sollten die Jugendmannschaften wieder zur nationalen Spitze zählen. Natürlich braucht man ambitionierte Ziele und ich bin der letzte, der sich dagegen wehrt, dass beim VfB wieder eine Siegermentalität einkehrt. Aber dann muss auch die Leistungskultur dazu passen. Kein Durchwurschteln wie nach dem Pokalfinale 2013, als man nach der erreichten Europapokalteilnahme davon ausging, es müsse sich nichts ändern. Und dabei übersah, dass man eigentlich nur international spielte, weil man ein paar Zweitligisten besiegt hatte.
Zum Erfolg verdammt
Jan Schindelmeiser macht bisher, in dem Umfeld, in dem sich der VfB seit seinem Amtsantritt bewegt hat, gute Arbeit. Wird er auch in den nächsten vier Jahren in der Bundesliga gute Arbeit? Wir wissen es nicht, aber er muss es. Von nun an gibt es keine Ausreden mehr für nicht erreichte Ziele. Kein “Weiter so”, wenn ein Teilziel nicht erreicht wurde. Der VfB ist jetzt zu guter Arbeit und zum Erfolg verdammt. Zumindest in meiner Wahrnehmung. Das hat auch mit der geschürten Erwartungshaltung zu tun. Die geht diesmal nicht notwendigerweise von den Fans und Mitgliedern aus. Wer die Ausgliederung als einzigen Weg zum Erfolg ausgibt, der muss auch die Verantwortung dafür übernehmen, wenn sich der Erfolg nicht einstellt. Ja zum Erfolg heißt auch: Eine Mannschaft haben, die sich nicht beim ersten Anzeichen von Erfolg aus diesem ausruht.
Es muss sich also einiges ändern beim VfB. Aber nicht nur auf dem Rasen, sondern auch auf den Rängen und in den “oberen Etagen”. Denn nachdem man mit Dieter Hundt den letzten Patriarchen los geworden war, hatte ich das Gefühl, der VfB nähere sich wieder an seine Mitglieder und Fans an. Nach dem letzten halben Jahr muss ich leider konstatieren: Die alte Top-Down-Mentalität ist wieder da am Wasen, nur hat sie jetzt einen Hashtag. Das offenbarte sich schon im Vorfeld der Mitgliederversammlung im vergangenen Herbst, als man den Mitgliedern nur einen Kandidaten vorschlug und hinterher den Untergang des Vereins beschwor, sollte dieser nicht gewählt und die ihn Vorschlagenden abgewählt werden. Und es setzte sich in einer PR-Kampagne fort, die die Mitglieder nicht mal ansatzweise für voll nahm.
Der 35. Spieltag
Der Krönung dieser Kampagne konnte man am vergangenen Donnerstag beiwohnen. Ich möchte keinesfalls 85 Prozent der anwesenden Mitglieder unterstellen, dass sie nur aufgrund dieser Kampagne für die Ausgliederung gestimmt haben. Aber schon allein der Versuch des VfB, beziehungsweise die Entscheidung, zu solchen Mitteln zu greifen, ist erbärmlich. Die außerordentliche Mitgliederversammlung war eine perfekt choreographierte Fortsetzung der Aufstiegsfeier. Wie schon bei der Wahl Dietrichs im Herbst mussten Trainer und Mannschaft als Stimmungsanheizer herhalten. Als hätten wir uns nicht die letzten Monate den Kopf über Vereinsstrukturen und Finanzrecht den Kopf zerbrochen. Der auch in dieser Funktion unsägliche Holger Laser präsentierte die Mitgliederversammlung wie den 35. Spieltag. Und die Leute machten mit.
Als hätte Wolfgang Dietrich gerade einen Ball per Fallrückzieher im Tor versenkt, erhob sich die Haupttribüne nach der Abstimmung über die Ausgliederung von ihren Plätzen und stimmte den alten “Ich kann mir sonst keinen Text merken”-Gassenhauer “Ja der VfB” an. Als erneut jemand der Meinung war, die da oben werden schon wissen was sie tun und wir sollten jetzt mal aufhören darüber zu diskutieren, wurde die Annahme des Antrags auf Ende der Aussprache von einigen gefeiert wie ein Führungstreffer in der 89, Minute. Mindestens genauso befremdlich waren die negativen Emotionsausbrüche, sowohl gegenüber Befüwortern, als auch gegenüber Gegnern der Ausgliederung. Wie schon im Herbst wurden Vereinsmitglieder ausgepfiffen und niedergebrüllt, als würden sie gerade von der Cannstatter Kurve einen Elfmeter gegen den VfB im Tor versenken wollen.
Ein schlechtes Vorbild
Ist das das Miteinander, welches wir im Verein haben wollen? Aber wen wundert es, wenn die Vereinsführung ihre Vorschläge als alternativlos darstellt, andere Sichtweisen in Trump-Manier als “Fake” hinstellt und Präsident Dietrich, wie schon im Herbst, irgendwann anfängt, Kritiker persönlich anzugreifen, anstatt auf ihre Kritik inhaltlich einzugehen? Wenn er behauptet, es wäre die stets schwelende Diskussion über die Ausgliederung gewesen, die den Verein in den letzten Jahten gehemmt hätte, und nicht die fehlende Kontinuität und Kompetenz in der Vereinsführung? Wenn er Mitglieder wissen lässt, wem der VfB wichtig genug sei, der nehme sich halt mal einen Tag frei. Als ob sich Fans und Mitglieder wegen des Abstiegs ihres Vereins nicht schon genug Urlaubstage hätten nehmen müssen. Mir ist völlig klar, warum man sich im Aufsichtsrat für Wolfgang Dietrich entschieden hat: Um ein kontroverses und mit Widerständen behaftetes Projekt durchzuboxen, das sein Vorgänger in Gefahr gebracht hatte. Statt Zukunftswerkstätten auf Augenhöhe redete der Vorstand jetzt im Dialog von einem Podest herunter und konnte seine vorgefertigten Antworten auf die Suggestivfragen des Moderators herunterspulen.
Beim VfB muss man sich überlegen, ob man diese Art der Kommunikation so weiterführen will. Natürlich waren auch die unter Bernd Wahler initiierten Regionalversammlungen und Zukunftswerkstätten nur Mittel zum Zweck, machen wir uns nichts vor. Wahrscheinlich steht auch für uns Mitglieder nie wieder eine Entscheidung an, die so wichtig ist, dass der VfB zu solchen Mitteln greifen muss. Aber ich bin als Fan und Mitglied nicht nur da, um schöne Lieder über die Mannschaft zu singen und der AG mein Geld in den Rachen zu schmeißen. Die letzten Monate haben die positive Meinung, die ich von meinem Verein abseits der sportlichen Entwicklung hatte, wieder ein bisschen eingetrübt. Mir ist klar, dass wir den Angestellten eines mittelständischen Unternehmens beim Kicken zuschaue. Aber hört auf, uns als die dummen Fußballfans zu behandeln, für die ihr uns haltet.