Zum ersten Mal trifft der VfB Stuttgart den 1. FC Heidenheim in der Bundesliga. Über die Lage beim Bundesliga-Debütanten sprachen wir mit Heidenheim Fan Petra.
Rund um den Brustring: Hallo Petra, wie läuft die Saison für euch bis jetzt?
Petra: Als Aufsteiger, der zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte in der 1. Bundesliga spielt, bewertet man den bisherigen Saisonverlauf natürlich auf eine besondere Art und Weise Du startest mit einer großen Freude und Euphorie, alles ist historisch. Das erste Spiel überhaupt, das erste Tor, das erste Heimspiel, der erste Heimsieg. Unser erstes Bundesligaspiel war ein Auswärtsspiel in Wolfsburg und dann kam Hoffenheim. Das wünschst du dir natürlich nicht unbedingt, die Freude schmälerte es aber keineswegs. Am 4. Spieltag, einem Freitag, reisten 4500 Heidenheimer nach Dortmund ins Westfalenstadion. Und dann dieses Spektakel und der völlig unerwartete Punktgewinn. Nach 9 Spieltagen auf Tabellenplatz 13 zu stehen, wäre vor der Saison ein Grund zu grenzenlosem Optimismus gewesen. Jetzt muss man aber auch sagen, da war mehr drin. Die Mannschaft war nur in wenigen Partien klar unterlegen, und spielte bisher nur gegen ein Team, das in der Tabelle hinter Heidenheim steht. Allerdings wurden die letzten 4 Pflichtspiele verloren, wobei ich das Pokalspiel in Gladbach da so ein bisschen rausnehmen wollen würde, die Rotation war doch groß. Leider war man zuletzt Aufbaugegner, für bis dahin formschwache Augsburger und Gladbacher.
Wer ist der Spieler der bisherigen Saison für dich?
Diese Frage ist nicht eindeutig zu beantworten. Da die Leistungsträger alle gehalten werden konnten, war schon zu Beginn klar, wer unsere wichtigsten Spieler sein würden. Müller, Mainka, Maloney, Beste und Kleindienst waren bereits in der 2. Bundesliga die Stützen und Garanten für den Aufstieg und der Klassenerhalt geht nur über deren Leistung. Beim Rest der Mannschaft gab und gibt es ein paar Fragezeichen. Für einige scheint das Niveau der Bundesliga (noch) zu hoch, sie müssen immer über ihre Grenzen gehen. Der Kader ist eigentlich zu dünn, hauptsächlich im Defensivbereich. Jan Niklas Beste war bisher ein sehr wichtiger Faktor. Ich würde hier aber auch einen Neuzugang nennen wollen, Eren Dinkci, der von Werder Bremen ausgeliehen werden konnte. Dinkci stand von Beginn an in der Startelf. Der Angreifer ist einer der schnellsten Spieler der Liga und gibt der Mannschaft auf der rechten Außenbahn eine ganz neue Qualität und das nicht nur wegen seiner bereits erzielten Tore (5).
Württemberg-Duell gegen den VfB. Ist das ein besonderes Spiel für euch oder ein Spiel wie jedes andere?
Natürlich ist das kein Spiel wie jedes andere, hier muss man die Fanhistorie Heidenheims verstehen. Erstliga-Fußball gab es bisher nicht. Als der VfB das letzte Mal Deutscher Meister wurde, spielte der FCH noch in der Oberliga. Die Ostalb ist eine fußballbegeisterte Region. Die Sympathien für Erstliga-Vereine waren hier schon immer klar verteilt. Entweder warst du Bayern oder eben VfB Fan. Der Blick ging bewundernd in Richtung Cannstatt. Als man kurzzeitig in Liga 2 auf Augenhöhe war, veränderte das auch etwas unser Selbstverständnis. Der VfB stieg auf und wir verloren die Relegation gegen Bremen. Es bleibt ein sehr ungleiches Duell. Während Stuttgart 85 000 Mitglieder, einen Kaderwert von rund 123 Millionen Euro und einen Personaletat von ca. 90 Millionen Euro hat (Zahlen: DFL), spielt Heidenheim immer noch in einer anderen Liga. Waren es vor dem Aufstieg noch 3500 Mitglieder, sind es jetzt 8500. Der immense Anstieg für eine Stadt mit 50 000 Einwohnern, ist sicher darin begründet, dass nur Mitglieder eine Chance auf Dauerkarten und Heimspiel-Tickets haben. Der Kaderwert beläuft sich mittlerweile auf ca. 30 Millionen Euro, bei einem Personalaufwand von 18 Millionen Euro.
Funfact: der gemeinsame Sponsor. MHP löste vor 2,5 Jahren, den bisherigen Haupt und Trikotsponsor, die Paul-Hartmann AG ab. Als Alexander Wehrle dann im Juni 2023, den Einstieg der Porsche-Tochter verkündetet, war das wohl kein Grund, um in Heidenheim Champagnerflaschen zu öffnen. Der Vertrag mit MHP läuft bis 2024 und beim FCH ging man vermutlich von einer Verlängerung aus. Wehrles Aufruf zum Schmieden eines Bündnisses aus der Region und für die Region, ist für den anderen Erstligisten Ostwürttembergs, doch eher kein Grund für überquellende Freude.
Wie würdest du euren Fußball beschreiben? Was sind eure Stärken und Schwächen?
In erster Linie zählt das Kollektiv. In den meisten Bereichen sind uns 15 von 18 Mannschaften überlegen. Heidenheim kommt über mannschaftliche Geschlossenheit, Kampfgeist und Fitness. Auch in der 1. Liga laufen wir die meisten Kilometer. Bei Sprints und intensiven Läufen liegen wir auf Platz 3. Frank Schmidt spielt mit 4er-Kette, wahlweise mit einem oder zwei Sechsern. Es soll immer um das nächste zu erzielende Tor gehen, egal bei welchem Spielstand. Das zeigt auch unser Torverhältnis. Die beiden schnellen Flügelspieler Jan Niklas Beste und Eren Dinkci sind schwer zu verteidigen. Tim Kleindienst als wuchtiger Mittelstürmer, ist zugleich erster Verteidiger. Sehr unangenehm zu bespielen, wenn ihm auch in dieser Saison noch die Effizienz vor dem Tor fehlt, die ihn in der Aufstiegssaison so ausgezeichnet hat. Die viel zitierten parkenden Busse gibt es nicht. Unsere größte Stärke ist derzeit leider auch unsere größte Schwäche. Standards. Diese waren der Hauptgrund für bisher 22 Gegentore. Das ist zu viel. Die 4er-Kette ist momentan die Schwachstelle im Kader, zu viele individuelle Fehler. Die Reaktionen einen Tick zu langsam, meist einen Schritt zu spät. Fehlt der Zugriff im Mittelfeld, ist man mit der Angriffswelle überfordert. Was zu diesem Zeitpunkt in der Saison doch Hoffnung macht? Die Luft nach oben. Die Mannschaft scheint noch nicht an ihrem Limit angekommen, die Probleme, die es gibt, resultieren nicht aus einem grundsätzlich ungenügenden Niveau heraus, sondern sind eher auf mangelnde Konzentration und Abstimmung zurückzuführen. Allerdings bleibt die mangelnde Kader-Tiefe ein großes Problem. Zu viele Spieler sind nicht ersetzbar, Einwechslungen selten ein Benefit. Ich hoffe sehr, dass Holger Sanwald im Winter unser Porto-Kässle ein wenig öffnet und wir noch einen weiteren Sechser und einen Innenverteidiger verpflichten.
Wo siehst du Heidenheim und den VfB am Ende der Saison?
Stuttgart spielt bisher eine tolle Saison, der Fußball macht Spaß und ich würde Euch wünschen im ersten Drittel der Tabelle bleiben zu können. Wie konstant das ist, muss man abwarten, bislang läuft alles optimal und man spielt sicher am Leistungslimit. VfB International wäre das, was ich mir für die Fans wünsche. Deren Unterstützung war und ist herausragend, egal in welcher schwierigen Situation man sich befand. Den Zieleinlauf sehe ich zwischen Platz 10 und 6, aber mit Tendenz zu 6. Alles dazwischen wäre ein Erfolg, bedenkt man die Relegation, aus der man kommt. Heidenheim spielt um den Klassenerhalt, der ein noch größerer Erfolg als der Aufstieg wäre. Gelingt das nicht, wäre wohl niemand überrascht, zu weit auseinander geht die Schere inzwischen in der Bundesliga. Das wird eine ganz harte Nummer. Aber der Glaube ist groß. Läuft alles optimal, ist Platz 15 möglich.
Dein Tipp und Gefühl für das Spiel?
Derzeit spricht nicht viel für uns, eigentlich nur das Heimspiel. Der VfB kommt mit sprichwörtlich breiter Brust, Heidenheim dagegen mit angeknackstem Selbstvertrauen. Schafft der FCH es, in allen Mannschaftsteilen ans Limit zu gehen und jedes Herz auf dem Platz zu lassen, könnte es ein hart umkämpftes Spiel werden. Voraussetzung dafür: keine Ausfälle. Es kann aber für uns auch ganz böse ausgehen, aber ich tippe nie gegen meinen Verein:
Wir behalten einen Punkt auf dem Schlossberg: 2:2!
Titelbild: © Sebastian Widmann/Getty Images