Das zweite Heimspiel in Folge: Ein Vorteil im Abstiegskampf? Gegen Leverkusen vielleicht eher nicht. Wir haben mit Bayer-Experte Dorian (@Dorian1338) von der Rheinischen Post über das Spiel und die Lage in Leverkusen gesprochen.
Rund um den Brustring: Hallo Dorian, unsere Leser kennen Dich ja bereits von den Gegnerinterviews in der letzten Saison und von unsere Vorstellung von Tayfun Korkut, zu der Du etwas beigesteuert hast. Deswegen steigen wir doch gleich ein: Bayer Leverkusen steht nach 28 Spieltagen auf Platz 9, drei Punkte hinter den Europapokalrängen und hat die letzten drei Spiele verloren. Was glaubst Du ist in dieser Saison noch drin für den Club?
Dorian: Das ist unheimlich schwer zu sagen. Bis vor ein paar Wochen sah es so aus, als könnte die Werkself tatsächlich noch bis in die Top Vier vorstoßen, aber davon kann nach den Niederlagen gegen Bremen, Hoffenheim und Leipzig überhaupt keine Rede mehr sein. Ich denke, dass ein Europa-League-Platz in dieser Saison das höchste der Gefühle sein wird – und selbst der ist alles andere als leicht zu erreichen. Allerdings ist das Restprogramm recht gnädig für Leverkusen. Also sind Platz fünf oder sechs durchaus realistisch. Dabei helfen jetzt aber nur noch Punkte, Punkte, Punkte.
Peter Bosz hat in der Winterpause Heiko Herrlich als Trainer ersetzt. Wie bewertest Du seine Arbeit nach elf Rückrundenspielen? Hat sich der Trainerwechsel gelohnt?
Tabellarisch betrachtet kommt Bayer 04 auch unter Peter Bosz nicht vom Fleck, aber der Trainerwechsel hat der Mannschaft zumindest wieder eine erkennbare Spielidee beschert, nachdem in der Endphase unter Heiko Herrlich die Linie nach und nach verloren ging und keiner mehr so genau wusste, für was Leverkusen eigentlich steht: Offensivfußball, Defensivfußball, Ballbesitz, schnelles Umschaltspiel – irgendwie war da von allem ein bisschen dabei. Aber wenn man sich ganz nüchtern die Ergebnisse anschaut, muss man sagen, dass sich der Trainerwechsel nicht wirklich gelohnt hat. Der Start unter Bosz war eindrucksvoll, unter anderem wegen des 3:1‑Sieges gegen Bayern München und einer Phase kurz nach dem Rückrundenstart, in der die Werkself sowas wie das Team der Stunde war. Doch diese Aufbruchsstimmung ist längst verflogen und Leverkusen steht vor einem seit Jahren bekannten Problem: mangelnde Konstanz. Oft zeigt das Team eine gute Halbzeit, um danach dann einzuknicken. Oder es spielt richtig gut, verpasst es aber, die Tore zu machen und lässt sich dann relativ einfach auskontern. Das ist so in etwa das Bild der vergangenen Wochen. Auch Bosz hat darauf noch keine nachhaltige Antwort gefunden.
In der Europa League war in dieser Saison in der Zwischenrunde gegen Krasnodar Schluss. Wie enttäuscht war man in Leverkusen über das internationale Abschneiden und wie wichtig wäre eine erneute Qualifikation fürs den Europapokal?
Die Enttäuschung war natürlich groß, vor allem weil das Ausscheiden unnötig war. Es gehört im Grunde seit dem Jahrtausendwechsel zum Leverkusener Selbstverständnis, international zu spielen – und das idealerweise in der Champions League. Das war in den vergangenen beiden Dekaden auch ein wichtiger Grund für junge, talentierte Spieler zu Bayer 04 zu wechseln. Dieser Status hat in den vergangenen drei Spielzeiten mindestens einen Kratzer bekommen. Andere Teams haben zudem aufgeholt und der Konkurrenzdruck um die ersten fünf, sechs Plätze ist größer. Die erneute Qualifikation für den Europapokal ist wichtig für den Klub, nicht so sehr wegen der Einnahmen, sondern eher wegen des Prestiges – und als Argument bei etwaigen Transfers im Sommer, die sicherlich nötig sein werden, damit Bosz auch die Spieler hat, die ihm für sein System vorschweben. Bislang hatte er ja keinen Einfluss auf die Kaderplanung. Ich denke, Bayer wird im Sommer schon an einigen Stellschrauben drehen.
Im Saisonendspurt trifft Leverkusen nach dem Spiel am Samstag auf unsere direkten Konkurrenten aus Nürnberg, Augsburg und Schalke. Wie hat sich Leverkusen gegen die Mannschaften aus dem Tabellenkeller in dieser Saison geschlagen? Kannst Du uns Hoffnung machen?
Auch das lässt sich so klar nicht sagen, wobei die Ergebnisse gegen die Teams aus der unteren Tabellenhälfte in der Regel passen. Das ist aber schlicht und ergreifend der hohen individuellen Klasse des Kaders geschuldet. Wenn man mit der Mannschaft nicht Teams schlägt, die gegen den Abstieg spielen, läuft irgendwas gewaltig schief. Die Niederlagen zuletzt gegen Bremen, Hoffenheim und Leipzig werden aber auch die Teams aus den unteren Regionen der Tabelle aufmerksam verfolgt haben. In den drei Partien wurden die größten Mankos im Spiel der Werkself relativ gnadenlos offengelegt: hohe Konteranfälligkeit und mangelnde Chancenverwertung. Wenn die Mannschaft das nicht schnell in den Griff bekommt, wird sie noch einige Punkte liegen lassen. Auch gegen vermeintliche Außenseiter.
Im Winter kam mit Innenverteidiger Jan Boller lediglich ein interner Neuzugang zur Mannschaft. Hättest Du weitere Verstärkungen für sinnvoll gehalten?
Das Wintertransferfenster ist eine ambivalente Sache. Nur selten findet man bezahlbare Spieler, die einen auch wirklich weiterbringen. Rudi Völler als Sportgeschäftsführer und Simon Rolfes als Sportdirektor betonen aber immer wieder, dass sie nur Transfers tätigen, wenn sie Sinn ergeben und das Team verstärken. Wenn man sich den Kader genau anschaut, sieht man, dass eigentlich auf wenigen Positionen akuter Handlungsbedarf besteht. Die Außenverteidiger machen viele Beobachter als Schwachstelle aus. Viele Fans wünschen sich zudem einen echten “Knipser”, der auch mal aus einer halben Chance ein Tor macht. Abgesehen davon ist der Kader objektiv betrachtet mindestens einer der sechs am besten besetzten der Liga.
Apropos Transfers: Neben Kevin Volland ist Kai Havertz mit zwölf Treffern der erfolgreichste Torschütze im Bayer-Trikot. Meinst Du, der Verein kann ihn in der Sommerpause halten?
Rudi Völler hat sich da ungewöhnlich klar positioniert. Havertz wird demnach auch über den Sommer hinaus in Leverkusen bleiben, selbst wenn der internationale Wettbewerb verpasst wird. Er hat einen langfristigen Vertrag ohne Ausstiegsklausel und als klassisches “Eigengewächs”, das alle Jugendteams des Klubs durchlaufen hat, natürlich eine besondere Bindung zu Bayer 04. Allerdings hat er auch bereits angedeutet, dass er nicht ewig für Leverkusen spielen will. Ich würde meine Hand aber nicht dafür ins Feuer legen, dass Völler und Co. bei einem Angebot jenseits der 100-Millionnen-Euro-Marke nicht doch schwach werden könnten. Wer die Entwicklung von Havertz beobachtet hat weiß, dass das keine überzogene Vorstellung ist. Er ist ein Ausnahmetalent und für einen 19-Jährigen bereits erstaunlich weit. Wenn er so weiter macht, wird er einer der prägenden deutschen Spieler seiner Generation. Bei seinem Kumpel Julian Brandt, der eine Ausstiegsklausel in seinem Vertrag hat und angeblich im Sommer für 25 Millionen Euro wechseln kann, sieht die Sache anders aus. Gut möglich, dass er sich entscheidet, nach fünf Jahren in Leverkusen woanders den nächsten Schritt zu machen. Interessenten gibt es dem Vernehmen nach mehr als genug.
Ein ehemaliger VfB-Torhüter ging zu Saisonbeginn, einer kam: Was gibt es von Thorsten Kirschbaum zu berichten?
Eigentlich nicht besonders viel. Er ist hinter dem gesetzten Lukas Hradecky und dessen Vertreter Ramazan Özcan eine zuverlässige und ruhige Nummer drei. Bayer 04 hatte auch schon zu Bernd Lenos Zeiten eine klare Torwarthierarchie. Daran hat sich nichts geändert. In der öffentlichen Wahrnehmung hat Thorsten Kirschbaum eine untergeordnete Rolle.
Wenn Du Die Saison von Bayer Leverkusen mit einem Song beschreiben müsstet, welcher wäre das und warum?
Puh. Das ist eine lustige Frage. Vielleicht “Stress” von Justice, weil es eine permanente Achterbahnfahrt mit Bayer 04 ist, die sich einfach nicht auf einem normalen Maß einpendeln will. Oder “Should I Stay or Shoult I Go” von The Clash, weil es im Grunde seit Monaten Transfergerüchte und Spekulationen um Havertz, Brandt und auch Jonathan Tah gibt. Vielleicht ist es auch einfach ganz platt “Up & Down” von den Vengaboys. Ja, das trifft es wohl am besten – auch, wenn es musikalisch natürlich komplett grauenhaft ist.
Wo liegen die Stärken der Bayer-Elf und welche Schwächen könnte der VfB vielleicht am Samstag nutzen?
Konteranfälligkeit und mangelnder Killerinstinkt hatte ich ja bereits als Schwächen genannt. Hinzu kommt, dass Bayer relativ schnell die Ordnung verliert, wenn sich der Gegner dem auf Ballbesitz und Gegenpressing beruhenden und sehr offensiven Ansatz von Bosz weitgehend entzieht und beispielsweise viele weite Diagonalbälle spielt, oder bei Ballgewinnen schnell umschaltet und die extrem hoch stehende Viererkette überrumpelt. Allerdings ist es auch so, dass Bayer 04 beinahe jeden Gegner dominieren kann, wenn das System des Trainers aufgeht und sich jeder Spieler diszipliniert an den Plan hält. Dann wird es auch für den VfB sehr, sehr schwer, gut auszusehen.
Zum Schluss: Dein Tipp fürs Spiel?
Alles andere als ein Sieg wäre eine erneute herbe Enttäuschung. 4:2 für Leverkusen.