An jedem der ersten vier Tage der vergangenen Woche gab der VfB einen Transfer bekannt — und am Samstag: Jeff Chabot wechselt von Absteiger Köln zum VfB. Wir haben uns beim FC, aber auch bei seinen vorherigen Stationen in Italien über ihn erkundigt.
Dass der VfB bereits so früh in der Sommerpause, nämlich zwei Tage nach dem letzten Spieltag, erste Transfers bekanntgeben kann, ist außergewöhnlich und der Tatsache geschuldet, dass man schon eine ganze Weile mit dem Europapokal und immerhin auch schon seit ein paar Wochen mit der Champions League planen kann. Das letzte Mal, als ich so viele Spieler in so kurzer Zeit hier vorgestellt habe, war Michael Reschke gerade mit den Daimler-Millionen shoppen gegangen. Ganz anders diesmal: Drei der Neuzugänge kommen ablösefrei, für einen zahlt der VfB vermutlich nicht viel Ablöse und derjenige, um den es in diesem Artikel gehen soll, kommt auch für die vertretbare Summe von etwa vier Millionen Euro an den Neckar: Innenverteidiger Jeff Chabot vom 1. FC Köln. Die anderen Neuen — Nick Woltemade, Jannik Keitel, Justin Diel und Stefan Drljača — werden wir in den kommenden Tagen näher beleuchten. Nun soll es aber erstmal um den Mann gehen, der Serhou Guirassy in beiden Spielen der abgelaufenen Saison erfolgreich am Toreschießen hinderte.
Jeff, der eigentlich Julian Jeffrey Gaston heißt, aber nur Jeff genannt werden möchte, wurde am 12. Februar 1998 im südhessischen Hanau geboren und ging seine ersten fußballerischen Schritte im Rhein-Main-Gebiet in Darmstadt und Frankfurt. Nach einem Jahr in Nürnberg kehrte er zurück nach Frankfurt, wechselte ins NLZ des Leipziger Getränkemarkts und lief einmal für deren zweite Mannschaft auf. Es folgten zwei Jahre in den Niederlanden, je eins bei Sparta Rotterdam und eins beim FC Groningen, bevor er — mit 21 Jahren und einer dafür beachtlichen Anzahl an Vereinen in seiner Vita — in die Serie A zu Sampdoria Genua wechselte. In Genua sei er nicht als Stammspieler eingeplant gewesen, wurde aber dennoch als vielversprechender U21-Nationalspieler angesehen, erklärt Sampdoria-Experte und Journalist Stephen Kasiewicz. In der Saison 2019/2020 kam er nur auf acht Einsätze für Sampdoria, davon immerhin fünf über 90 Minuten. Bei diesen Einsätzen habe er vor allem Tempoprobleme gehabt, erklärt Stephen, besonders heftig sei die 1:5‑Klatsche bei Lazio im Januar 2020 gewesen. Ciro Immobile habe ihn komplett auseinandergespielt, zu allem Überfluss flog er nach 73 Minuten mit Rot vom Platz. Sampdoria beendete die Saison auf Platz 15 und Chabot wurde zu Aufsteiger Spezia Calcio ausgeliehen.
Im Abstiegskampf
In La Spezia, ungefähr auf halbem Weg zwischen Genua und Florenz an der ligurischen Küste gelegen, gehen die Meinungen zu Chabot bei unseren Experten auseinander. Luca Vaccaro von der Gazetta della Spezia berichtet, dass der erstmalige Aufsteiger in die Serie A damals nur wenig Zeit hatte, um eine erstligareife Mannschaft zusammenzustellen und deshalb Chabot aus Genua geliehen habe. Auch hier habe ihm sein mangelndes Tempo Probleme bereitet, trotz insgesamt 25 Einsätzen in der Serie A und zwei in der Coppa. Spezia-Fan und -YouTuber Matteo hat wesentlich bessere Erinnerungen an Chabot, auch wenn er ebenfalls die selben Schwächen anspricht. Spezia, die in der gerade abgelaufenen Saison in der Serie B gegen den Abstieg kämpften, galten damals als Abstiegskandidat Nummer 1, berichtet er, und hätte Schwierigkeiten gehabt, gestandene Serie A‑Spieler zu verpflichten. Vor allem Chabots Körperlichkeit habe Matteo davon überzeugt, dass er Spezia bei ihrem Erstliga-Debüt helfen könne. Am Ende erreichte die Mannschaft auch dank Chabot den gleichen Platz wie Sampdoria im Jahr zuvor, nämlich Platz 15, was für Spezia ein großer Erfolg war. Gegen Ende der Saison wurde Spezia an einen neuen Besitzer verkauft, der auch im sportlichen Bereich vieles umkrempelte. Matteo ist sich nicht sicher, ob die alten Besitzer willens gewesen wären, die Ablöse für Chabot zu zahlen, die neuen waren es jedenfalls nicht, so dass er nach Genua zurückkehrte.
Auch im zweiten Anlauf lief es in der Saison 2021/2022 nicht wirklich besser. Er sammelte in elf Spielen für Sampdoria fünf gelbe Karten und stand nur vier Mal in der Startelf. Die vielen Niederlagen in einer Saison, die für Sampdoria erneut auf Platz 15 endete, kratzten vermutlich zusätzlich an seinem Selbstbewusstsein, vermutet Stephen, zumal gegnerische Trainer seiner Meinung nach Chabot als Schwachpunkt in der Abwehr ausmachten. Alles in allem habe es für Chabot in der Serie A trotz der relativ erfolgreichen Leihe nach La Spezia nicht gereicht, so Stephen, ob wegen taktischer Schwächen oder weil er sich in Italien nicht wohl fühlte. Der Wechsel zurück nach Deutschland habe ihm, in der Retrospektive, offensichtlich geholfen. Sampdoria-Fans, deren Club 2023 mit existenziellen finanziellen Problemen als Tabellenletzter in die Serie B abstieg und auch dort lange gegen den Abstieg kämpfte, bevor sie in den Aufstiegsplayoffs früh scheiterten, hätten also keine großen Erinnerungen an Chabot.
Ganz anders ist das offensichtlich beim 1. FC Köln, der Chabot im Januar 2022 für eineinhalb Jahre auslieh. Wer mehr über Chabots Zeit vor dem Wechsel nach Köln lesen möchte, dem empfehle ich diesen Artikel auf effzeh.com von Thomas Reinscheid, mit dem ich auch für dieses Portrait über Chabot gesprochen habe. In Köln wechselte Rafael Czichos damals zu Chicago Fire in die USA, Chabot wurde zunächst als Ergänzungsspieler hinter den in der Innenverteidigung gesetzten Luca Kilian und Timo Hübers geholt. Die Erwartungen seien eher gering gewesen, so Thomas gleichzeitig habe die 18-monatige Leihe Chabot genug Zeit zur Eingewöhnung ermöglicht. Und so kam er dann in der Rückrunde, in der der FC trotz der Niederlage am letzten Spieltag in Stuttgart einen Platz in der Conference League erreichte, nur vier Mal zum Einsatz. Er habe zudem auch in der Bundesliga sehr schwerfällig gewirkt, wiederholt Thomas die bereits in Italien geäußerte Kritik und haben in den wenigen Einsätzen nicht überzeugt.
Vom Ergänzungsspieler zum Türsteher
Es wurde zunächst nicht besser für Chabot: In der Conference League-Qualifikation flog er nach 20 Minuten wegen einer unnötigen Notbremse vom Platz — wie schon mit Genua gegen Lazio damals — und verletzte sich zu allem Überfluss beim 0:0 gegen den VfB noch am Sprunggelenk. Dadurch verpasste er nicht nur einen die Europapokal-Spiele des FC, sondern fast die komplette restliche Hinrunde, kurz vor der WM-Pause kehrte er Anfang November in den Kader zurück. In der langen Vorbereitung auf die Restrunde gelang ihm jedoch die Verwandlung zu, wie Thomas es ausdrückt, “Chabot 2.0, denn das war plötzlich ein gänzlich anderer Spieler. Zweikampfstark am Boden und in der Luft, mit dem richtigen Gespür fürs Herausrücken, fußballerisch ansprechend: Diesen Innenverteidiger hatte man sich wohl bei der Verpflichtung erträumt und nun bekommen.” Er verdrängte Luca Kilian aus der Startelf und war laut Thomas gemeinsam mit Torwart Marvin Schwäbe dafür verantwortlich, dass Köln zu keiner Zeit in Abstiegsgefahr geriet, so erarbeitete er sich auch den Spitznamen Türsteher, weil an ihm kaum jemand vorbei kam. Den diesjährigen Abstieg konnte er allerdings nicht verhindern, auch wenn er der einzige Feldspieler gewesen sei, der durchgängig Bundesliga-Niveau abgerufen habe, so Thomas. Außerdem habe er sich als Führungsspieler etabliert, fehlte nur zwei Mal wegen Sperren gefehlt und sei auch auf dem Platz vorangegangen, teilweise auch mit Ausflügen nach vorne. Den Wechsel nach dem Abstieg nehme ihm in Köln also kaum jemand übel.
Dass Chabot sich erst Anfang 2023, also mit knapp 25 Jahren, zu einem Stamm- und Führungsspieler in der Bundesliga entwickelte, ist ein schönes Beispiel dafür, dass man Spieler nicht bereits mit 20 Jahren abschreiben sollte, wenn sie sich noch nicht in der Bundesliga etablieren. Spannend ist die Entwicklung von der physisch präsenten Abwehrkante zum Verteidiger mit Raumgefühl auf jeden Fall. Stephen attestierte ihm in Genua noch Schwächen im Stellungsspiel und auch die neun gelben Karten sowie eine gelbrote Karte und die unnötigen Platzverweise deuten daraufhin, dass er fehlendes Tempo und die falsche Position lange nur mit Fouls kaschieren konnte. Sicherlich fehlte ihm in den eineinhalb Saison in Genua auch die Spielpraxis, genauso wie in den ersten zwölf Monaten in Köln bis zur WM-Pause. Als Stärke bezeichnen alle Experten das Kopfballspiel, was bei einem Innenverteidiger mit 195 cm nicht überraschend kommt, wenngleich er offensiv damit in Köln kaum in Erscheinung trat. Sowohl in der Luft als auch am Boden war Chabot in der vergangenen Saison einer der zweikampfstärksten Spieler, dabei steigerte er seine Zweikampfquote in den letzten Jahren kontinuierlich. Aufgrund seiner nach vorne orientierten Art des Verteidigens müsse er aber auch viele Zweikämpfe gewinnen, um einen Ballbesitz zu erzielen, so Thomas. Auch sein Passquote stieg in den letzten Spielzeiten auf zuletzt 90 Prozent, vor allem bei kurzen und mittleren Pässen. Seine Stärken und Schwächen lassen sich auch gut in dieser Grafik von FBref.com ablesen:
Verbesserungspotenzial bewiesen
Wie geeignet ist er also für den unter Hoeneß praktizierten Spielaufbau, der mit kurzen und teilweise riskanten Pässen zwischen Torwart und Abwehr den Gegner ins Pressing locken soll? Unter Druck gerate Chabot durchaus in Bedrängnis, erklärt Thomas, mit etwas mehr Zeit finde er aber häufig gute und progressive Lösungen. Das könne sich aber mit besseren Mitspielern auch ändern. Zudem ist Chabot, was ich noch nicht erwähnt habe, Linksfuß — eine Eigenschaft, über die in der Innenverteidigung sonst nur Hiroki Ito verfügt. In Köln habe Chabot fast ausschließlich in einer Viererkette gespielt, erklärt Thomas, er traue ihm aber auch die Rolle des linken Verteidigers in einer Dreierkette zu. Auch in La Spezia war Chabot Teil einer Viererkette, die gegen den Ball sehr hoch verteidigte und den Spielaufbau viel über die Innenverteidiger laufen ließ. Matteo ist sich auch sicher, dass ihm die Zeit bei Spezia Calcio in seiner Entwicklung geholfen habe und hebt wie auch Thomas Chabots Mentalität vor, nennt ihn einen “ernsthaften” Spieler. Thomas traut ihm aufgrund seiner Qualitäten und seiner Mentalität auch zu, sich beim VfB zu etablieren, trotz des größeren Konkurrenzkampfes.
Wie groß der wirklich ist, wird sich zeigen, denn schließlich muss der VfB auch in dieser Transferperiode Erlöse erzielen und Hiroki Ito wird hier immer wieder als Verkaufskandidat genannt. Angesichts der Tatsache, dass Ito auch mal Maxi Mittelstädt als Linkverteidiger vertrat, besteht also auf der linken Abwehrseite beim VfB so oder so Bedarf, eventuell auch nach der Verpflichtung Chabots. Ob es so kommt, werden wir im Laufe des Sommers erfahren. Unabhängig davon ist der Transfer aus vielerlei Gründen definitiv sinnvoll. Wohlgemuth stärkt damit für eine überschaubare Ablösesumme die linke Abwehrseite nicht nur quantitativ, sondern mit einem Spieler, der sich in den letzten 18 Monaten zu einem etablierten Bundesliga-Akteur entwickelt hat. Er bringt wie schon beispielsweise Maxi Mittelstädt eine Mischung aus Erfahrung — auch in persönlich schwierigen Situationen — und Führungsstärke sowie Entwicklungsmöglichkeiten mit. Auch wenn er vielleicht nicht das Potenzial wie beispielsweise ein Jamie Leweling hat, hat die Entwicklung in Köln gezeigt, dass er in der Lage ist, sich zu verbessern. Und wer wäre aktuell besser geeignet, Chabots Potenzial zu heben als ein Trainer, der in den vergangenen 13 Monaten so viele Spieler beim VfB aus ihrem leistungsmäßigen Dornröschenschlaf geweckt hat? Natürlich gibt es keine Garantie, dass ihm das auch in der kommenden Saison gelingt. Die Voraussetzungen bringt Chabot aber mit.
Titelbild: © Leon Kuegeler/Getty Images