Die Entlassung von Tayfun Korkut war notwendig und richtig. Und wirft doch ein schlechtes Licht auf die Vereinsführung.
Ich hatte wirklich gehofft, dass ich mich irren würde. Dass die Trennung von Hannes Wolf ein notwendiges Übel war und dass der VfB mit Tayfun Korkut endlich den Trainer gefunden hatte, mit dem er in eine erfolgreiche Zukunft blicken kann. Oder der zumindest mal 34 Bundesliga-Spieltage übersteht. Ein Punkteschnitt von 1,0 bei seinen bisherigen Trainerstationen? Vielleicht kriegt er ja beim VfB endlich die Kurve und findet den Verein, der wie für ihn geschaffen ist.
Acht Monate später sind wir alle klüger. Dass die Entscheidung, Korkut nach dem 1:3 in Hannover zu entlassen, richtig ist, habe ich bereits gestern Abend aufgeschrieben. Leider stellt sich als zutreffend heraus, was viele von uns schon im Januar befürchtet und im Mai vorsichtig angemerkt haben: Korkut ist nicht in der Lage, eine Mannschaft und ein erfolgreiches Spielsystem zu entwickeln. Er ist ein fähiger Feuerwehrmann, aber kein Trainer für mehr als eine Rückrunde. Kein Wunder, dass der VfB bei seiner Vorstellung vor allem seinen derzeitigen Wohnsitz und seinen Geburtsort als Argument für die Verpflichtung anführte. Bessere Argumente gab und gibt es nicht. Dabei soll nicht unter den Tisch fallen, dass ich mich über die Leistungen der von Korkut trainierten Mannschaft in diesen 14 Rückrundenspielen nicht auch häufig gefreut habe. Wir können das natürlich immer so machen: zu Weihnachten den Trainer wechseln und rauschende Rückrundenparties feiern.
Kontinuiät und Glaubwürdigkeit?
Das ist aber natürlich nicht der Anspruch, den unsere Vereinführung hat und haben sollte. Stattdessen sollte unter Präsident Wolfgang Dietrich endlich Kontinuität herrschen in Bad Cannstatt. Ja zum Erfolg statt einfach weiterwurschteln. Oder wie es Dietrich selber in einem “Dunkelroten Steilpass” nach der Entlassung von Hannes Wolf formulierte:
Als Präsident stand und stehe ich, gemeinsam mit allen Gremien unseres VfB Stuttgart, für einen Weg, der auf mehreren tragenden Säulen fußt: Zum einen sind das Kontinuität und Glaubwürdigkeit.
Eine Trainerentlassung später muss man feststellen, dass die Säule “Kontinuität und Glaubwürdigkeit” etwas brüchig und wackelig ist. Auch unter Wolfgang Dietrich und nach der von ihm als Rettung des Vereins angepriesenen Ausgliederung hat sich beim VfB nicht viel verändert. Sicherlich: Wir haben jetzt das Geld, damit Michael Reschke einen Kader zusammenstellen kann, den ich immer noch für sehr vielversprechend halte. Der uns aber nichts bringt, wenn die sportliche Führung nicht in der Lage ist, einen Trainer zu verpflichten, der mit diesem Kader etwas anfangen kann. Oder wenn der Präsident nicht in der Lage ist, einen Sportdirektor zu verpflichten, der dazu in der Lage ist einen solchen Trainer zu verpflichten.
Die Verpflichtung von Korkut war ein Fehler
Klammern wir die Entlassung von Hannes Wolf mal aus. Ganz unabhängig davon muss man feststellen: Die Verpflichtung von Tayfun Korkut war ein Fehler. Genauso wie die Vertragsverlängerung bis 2020 im Nachhinein als Fehler betrachtet werden muss. Nimmt man den unwürdigen Umgang Reschkes mit den Verantwortlichen und Spielern der zweiten Mannschaft in der letzten Saison dazu, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Reschke zwar ein fähiger Kaderplaner ist, aber als sportliche Führungskraft seinen Eignungstest noch bestehen muss. Vor allem seine zweite Trainerentlassung seit dem Amtsantritt vor 14 Monaten war das Ergebnis einer fatalen Fehleinschätzung.
Da muss man sich natürlich auch fragen, ob man Reschke nicht lieber als Kaderplaner im Hintergrund hätte verpflichten sollen, anstatt als Sportdirektor, der in der Öffentlichkeit steht und solch schwierige Personalentscheidungen wie die für oder gegen einen Trainer treffen muss. Ich bin nach wie vor überzeugt von seinem Kader und hoffe, dass er jetzt auch den richtigen Trainer dafür findet. Aber sollte er erneut eine Fehlentscheidung treffen, wird es problematisch. Der VfB spielt derzeit noch mit geliehenem Geld und kann es sich nicht leisten, dieses durch ständige Personalwechsel zu verbrennen.
Hochmut und Fall
Ich bin zufrieden mit der Entlassung von Tayfun Korkut. Da hört es dann aber auch schon auf. Ich wünschte, ich müsste Wolfgang Dietrich seine überhebliche und herablassende Basta-Vereinspolitik nicht schon wieder vorhalten. Ich möchte dem VfB-Präsidenten keine lange Nase drehen und “Siehst Du, ich wusste es besser” entgegenrufen. Mir bereitet die Situation meines Vereins keine Freude. Ich kritisiere Wolfgang Dietrich und in Teilen Michael Reschke nicht aus Lust am Bruddeln. Sondern weil sie Teil des Problems sind.
Das bedeutet niicht, dass ich von beiden den sofortigen Rücktritt fordere. Reschke kann gerne weiter den Kader planen. Aber beide müssen in sich gehen und überlegen, ob es nicht in Zukunft vielleicht besser wäre, den Hochmut runterzufahren, damit der Fall nicht ganz so tief ist.
Besser wissen
Noch ein Wort zur öffentlichen Wahrnehmung des VfB. Carlos Ubina hat in der Stuttgarter Zeitung Mitte März einen beachtlichen Artikel geschrieben, aus dem ich etwas länger zitieren möchte:
Pragmatismus pur. Das tut dem VfB momentan gut, da sich seit seinem Amtsantritt vor sieben Wochen auch die öffentliche Wahrnehmung Korkuts verändert hat. Er selbst ist in seiner unaufgeregten Art aber derselbe geblieben. Für viele Fans kam er am 29. Januar als Verlierer, nun ist er auf dem besten Weg, ein Siegertyp zu werden. Das offenbart, wie schnelllebig das Fußballgeschäft ist. Es zeigt aber auch die gedankliche Elastizität vieler Kritiker, die alle vorher gewusst haben, wie gut der Trainer ist.
Muss sich da jemand entschuldigen?
Doch der Imagewandel hat sich nur mit dem Erfolg vollzogen – und noch immer behalten sich viele Schwaben eine Portion Skepsis vor. Zu oft sind sie enttäuscht worden, nach anfänglichen Trainererfolgen. Im Fall Korkut waren die großen Diskussionen von einer kleinen Zahl bestimmt: 1,08 Punkte pro Erstligaspiel im Schnitt hatte die Statistik auf seinen Stationen in Hannover und Leverkusen ausgewiesen. Mehr nicht. Mehr brauchte es in den sozialen Netzwerken auch nicht, um ein vernichtendes Urteil zu fällen.
Jetzt sind es vor dem Baden-Württemberg-Derby an diesem Freitagabend beim SC Freiburg in sechs Spielen bereits 14 Punkte unter Korkut für den VfB. Unbesiegt ist der Trainer bislang mit seinem Team, auf dem besten Weg, das Saisonziel zu erreichen, und im Vergleich mit seinem Vorgänger Hannes Wolf (Punkteschnitt in der ersten Liga 1,0) sogar ein Punktekönig. Da könnten die Verantwortlichen auf der Geschäftsstelle schon einmal auf die Idee kommen, vor der Tür nach einer Menschenschlange der Fans zu suchen, die Einlass gewährt, um bei Präsident Wolfgang Dietrich und Sportvorstand Michael Reschke Abbitte zu leisten.
Bis zur Mercedesstraße hinaus müsste eigentlich die Schar derer reichen, die sich schon seit Tagen anstellen – so viel verbale Prügel musste das Führungsduo nach der Trennung von Hannes Wolf und der Verpflichtung von Tayfun Korkut einstecken. „Wir wussten, dass es für die Entscheidung Kritik hageln würde, aber wir haben sie aus Überzeugung getroffen und nicht, um Applaus zu bekommen“, sagt Michael Reschke. Auf allen Kanälen wurde dabei die Grenze des Zumutbaren ausgetestet und häufiger auch überschritten.
Korkuts Berufung: das Ende einer romantischen Idee
Das hat wehgetan, und es schmerzt Wolfgang Dietrich noch immer, dass ihm und seinen Leuten nicht zugetraut wurde, verantwortungsvoll im Sinne des VfB zu handeln. Nach den aufregenden, aber auch anstrengenden Monaten des Aufstiegs und der Ausgliederung spürte der Vereinschef auf einmal, wie rasch der zuvor angehäufte Kredit bei den Anhängern und Mitgliedern wieder verspielt ist. Von Wort- und Vertrauensbruch war die Rede, weil der bei den Fans beliebte und in Fachkreisen geschätzte Hannes Wolf gehen musste.
Unzählige Anhänger kündigten an, ihre Dauerkarten nicht mehr nutzen zu wollen. Viele Mitglieder wollten wieder aus dem Verein austreten, weil sie sich verraten und verkauft fühlten – den sieben Niederlagen in den acht zuvor absolvierten Ligapartien zum Trotz. Es schien das Ende zwischen dem VfB und jenem Teil der Fans, welcher der romantischen Idee anhing, ihr Lieblingsclub werde mit einem jungen Coach an der Seitenlinie und einer jungen Elf auf dem Rasen die Herzen, zumindest aber die Bundesliga, im Sturm erobern.
Die Fakten lesen sich seither anders: Tabellenrang zehn mit neun Punkten Vorsprung auf den Relegationsplatz, etwa 300 Mitglieder sind in der heißen Phase ausgetreten, im gleichen Zeitraum kamen aber 700 neue hinzu. Von zurückgeschickten Dauerkarten weiß auf der Geschäftsstelle niemand etwas, aber davon, dass einige Austritte zurückgenommen wurden. Die Hochkonjunktur der Schwarzmalerei unter dem weiß-roten Anhang ist vorerst passé. Mit groben Strichen hatten die Fans ein düsteres Bild gepinselt und den VfB der zweiten Liga entgegentaumeln sehen. Jetzt erstrahlt die Zukunft wieder in Weiß, weil Korkut dem VfB innerhalb kurzer Zeit gegeben hat, was ein Verein in aufgeregten Tagen immer gut gebrauchen kann: Ruhe.
Muss sich da jemand entschuldigen? Ja. Derjenige nämlich, der den Skeptikern und Kritikern “gedankliche Elastizität” vorwirft und meint, es sei mit “groben Strichen ein düsteres Bild gepinselt” worden. Eine lange Schlange an Menschen, die sich bei Dietrich und Reschke entschuldigt haben, hat auch niemand gesehen. Sie wäre auch nicht angebracht gewesen. Denn jeder, der sich ein wenig mit der jüngeren Geschichte des VfB beschäftigt hat, müsste es besser wissen, als das er bereits sechs Wochen nach Korkuts Amtsantritt ein solch undifferenziertes Bild mit noch gröberen Strichen malt. Denn scheinbar kam der schleche Punkteschnitt Korkuts nicht von irgendwoher. Aber das alles passt ja nicht in das Motiv des schwierigen Umfeldses so gekommen ist. Aber es war absehbar.