Auch im dritten Anlauf kann der VfB den neuen deutschen Meister aus Leverkusen nichts schlagen. Aber er war verdammt nah dran.
Vor ziemlich genau einem Jahr schied der VfB, mitten im Abstiegskampf, gegen Eintracht Frankfurt aus dem DFB-Pokal-Halbfinale aus. In einem packenden Spiel, das hin und her wogte, lagen die Brustringträger kurz vor Ende in Rückstand, als der Frankfurter Buta eine Hereingabe von Hiroki Ito an die Hand bekam. Man muss dem damaligen Schiedsrichter Daniel Schlager zugute halten, dass er sich die Szene nochmal anschaute, nur um dann zu der Entscheidung zu kommen, dass die Kugel im großen Handspielregel-Roulette für den VfB auf die falsche Zahl gefallen war. Abenteuerlich und vielsagend war jedoch die Begründung, dies habe auch mit der Tragweite seiner Entscheidung zu tun gehabt. Eine ähnliche Tragweite hat derzeit die auch nach dem 31. Spieltag anhaltende Serie ungeschlagener Spiele der Bayer AG. Und der war sich natürlich auch der frühere Linienrichter von Robert Hoyzer bewusst — nur besaß er anders als Schlager nicht einmal die Größe, zwei entscheidende Beurteilungen am Bildschirm zu überprüfen.
Nicht falsch verstehen: Auch wenn die sportlich beste Mannschaft der Liga finanziell mit Netz und doppeltem Boden agiert, beschuldige ich weder Daniel Schlager, der den VfB im Februar erneut spielentscheidend benachteiligte, noch Felix Zwayer, drei oder mehrere hundert Euro angenommen zu haben. Korruption ist ein schwerer Vorwurf und konnte einwandfrei immerhin nur einem ehemaligen Schiedsrichter nachgewiesen werden. Nein, der Fehler liegt in den Ansetzungen und in den oberen Etagen des Schiedsrichterwesens. Man muss Manuel Gräfes Gestänker auf Twitter nicht für bare Münze nehmen, schließlich hat der aus Altersgründen in den Ruhestand verabschiedete Schiedsrichter seine eigene Agenda gegenüber dem DFB. Aber er ist nicht der einzige, der die Strukturen der Unparteilichen-Elite kritisiert. Zurecht, denn das unsägliche Statement, in dem Zwayer, wie jeder andere Schiedsrichter auch, von jeglichen Fehlern freigesprochen wird, ist das eine. Dass aber jener Zwayer, der immer wieder von nationalen Spitzenspielen überfordert ist, erst in der Vorwoche als VAR bei einem VfB-Spiel im Einsatz war und gegen Leverkusen die Pfeife selber im Mund hatte, ist genauso unsäglich wie die Ansetzung Schlagers für das Duell im Pokal. Da deutsche Schiedsrichter aber grundsätzlich keine Fehler machen, erkennt man beim DFB natürlich auch diese Brisanz nicht. Es bleibt zu hoffen, dass sich der VfB in Zukunft eine ähnliche Lobby aufbauen kann wie der BVB, der sich auf Kosten einer Geldstrafe für Jude Bellingham seit ein paar Jahren nicht mehr mit Zwayer herumschlagen muss.
Kaum Fehler gemacht
Warum ich mich, anders als sonst, so lange am Schiedsrichter aufhalte? Nun, weil ich der VfB-Mannschaft, die ohne Mittelfeld-Dirigent Angelo Stiller antreten musste, in dieser Partie nur wenig Vorwürfe machen kann — mal ganz abgesehen davon, dass selbst ein Unentschieden gegen eine solch spielstarke Mannschaft kein Grund zur Kritik ist, vor allem nicht als so gut wie feststehender Champions League-Teilnehmer. In der ersten Halbzeit neutralisierten sich beide Mannschaften mehr oder minder, direkt nach dem Seitenwechsel überrumpelte der VfB die Gastgeber, weil er vor dem Tor wacher war. Hätte Stergiou vor dem Treffer von Adli dessen Schussbahn blockieren, statt eine Überzahl auf der rechten Strafraumseite schaffen sollen? Sicherlich. Hätte Wunderstürmer Serhou Guirassy mindestens eine seiner vier hochkarätigen Chancen zum vermutlichen Siegtreffer nutzen sollen? Auf jeden Fall. Der VfB verpasste es nicht zum ersten Mal in dieser Saison, den Sack zuzumachen und musste bis tief in die Nachspielzeit hinein zittern und bangen. Oft genug ging es gut, diesmal eben nicht.
Und auch wenn das Zustandekommen dieses sehr, sehr, sehr späten Ausgleichs tief blicken lässt — siehe oben — kann ich unter dem Strich mit dem Spiel leben, weil die Leistung und die Haltung der Brustringträger zu diesem Topspiel die richtige war. Während in der Vorwoche in Bremen vieles zusammen kam — neben einem erneut schwachen Schiedsrichter auch der fehlende Biss und die mangelnde Chancenverwertung — zeigte sich der VfB am Samstagabend hochkonzentriert und immer auf der Höhe. Serhou Guirassy traf zwar nicht, spulte aber ein unglaubliches Pensum ab, Chris Führich setzte sein Tempo bei mehreren Ballgewinnen auch in der Rückwärtsbewegung ein, Alex Nübel bewies, warum er in München perspektivisch Manuel Neuer beerben soll und Jamie Leweling ließ mit der Absicherung einer Viererkette hinter ihm wieder die Stärke der letzten Wochen aufblitzen. Dass der VfB mit 20 Saisonsiegen und dieser Punktzahl nicht mal annähernd um die Meisterschaft mitspielt zeigte sich symbolisch in diesem Spiel, das sehr, sehr gut lief, aber eben nicht perfekt.
Klagen auf höchstem Niveau
Aber nochmal: Das ist Klagen auf höchstem Niveau. Als ich am Sonntagnachmittag sah, wie Mainz mit seiner Führung zwischenzeitlich beinahe zwei Konkurrenten mehr oder minder direkt in die zweite Liga geschickt hätte, war ich erleichtert, mir ein solches Drama in dieser Saison aus der Ferne anschauen zu können. Zwayer hin, die obligatorische Niederlage des schwarz-gelben Fallobstes gegen die sächsische Softdrink-Dependance her: Wir spielen nächste Saison nach elf Jahren endlich wieder international, wir haben Dortmund drei Mal geschlagen, Angstgegner Union Berlin ebenso und brachten Leverkusen bis an den Rand einer Niederlage. Unser bester Stürmer hat 25 Tore geschossen, unser zweitbester 18 — das sind zusammen mehr als die gesamten Mannschaften von acht Konkurrenten. Wir erleben, wenn auch nichts für den Briefkopf hängen bleibt, den besten VfB aller Zeiten. Und eine Rechnung haben wir in dieser Saison noch offen.
Zum Weiterlesen: Der Vertikalpass garniert seinen Spielbericht mit allerlei Zwayfelhaften Wortspielen und konstatiert: “Das Happy End blieb aus, aber es bleibt auch das gute Gefühl, dass der VfB in dieser Saison der einzige Club ist, der in allen Spielen die schier übermächtigen Leverkusener am Rand einer Niederlage hatte.” Und Stuttgart.international unterstreicht: “Die Fans dürfen sich wieder auf Spiele ihrer Mannschaft freuen. Das ist nach einem Jahrzehnt der Enttäuschungen bedeutsamer als ein dummes Gegentor in der Nachspielzeit.”
Titelbild: © INA FASSBENDER/AFP via Getty Images