Der VfB gewinnt auch sein zweites Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg. Trotz des schwachen Gegners ein hart erkämpfter und teuer erkaufter Sieg.
Eigentlich gäbe es über dieses Spiel viel Erfreuliches zu berichten. Das starke Startelf-Debüt von Santiago Ascacíbar zum Beispiel. Oder die Wucht, mit der Chadrac Akolo erneut das Offensivspiel des VfB ankurbelte und sich selbst zum Matchwinner machte. Oder die Tatsache, dass es nach Mainz 05 mit dem VfL Wolfsburg eine zweite Mannschaft in der Liga gibt, die, wenn auch ersatzgeschwächt, dem VfB deutlicher unterlegen ist, als es das Ergebnis aussagt. Dazu kommen wir auch noch, aber zunächst müssen wir die 84. Minute reden.
Erinnerungen an Stranzl und Reinke
Es ist zum Glück lange her, dass ein VfB-Spieler sich während eines Spiels so übel verletzte, wie es Christian Gentner tat. Nicht, dass es bei Spielern anderer Vereine weniger schlimm oder dass ein Kreuzbandriss weniger schmerzhaft wäre. Aber das schmerzverzerrte und blutverschmierte Gesicht des Kapitäns, dem man schon am Fernseher ansah, dass die Nase nicht mehr da war, wo sie sein sollte, ließ einem schon das Blut in den Adern gefrieren. Gentner schien zunächst gar nicht zu wissen, wie ihm geschehen war, aber schon als er sein rechtes Bein so unnatürlich anhob, war mir klar, dass das kein normaler Zusammenstoß gewesen sein konnte.
Die Szene mit Wolfsburg-Torwart Casteels und Gentner führt einem wieder vor Augen, dass dieser Sport, dem wir alle Woche für Woche zuschauen, wie jede Kontaktsportart, nicht nur schöne Bilder für die Werbung produziert, sondern eben auch solche Anblicke. Gerade im Zweikampf zwischen Torhüter und Feldspieler kommt es oft zu schwereren Verletzungen, als im Zweikampf zwischen zwei Feldspielern. Kein Wunder, denn während der eine versucht, den Ball eher mit der unteren Körperhälfte zu spielen, konzentriert sich der andere darauf, ihn mit der oberen Körperhälfte unter Kontrolle zu bringen. So kam es beispielsweise damals zum Zusammenstoß zwischen Martin Stranzl und Werder-Torwart Andreas Reinke und so kam es auch zum Zusammenprall zwischen Koen Casteels und Christian Gentner.
Absicht? Nein. Fahrlässig? Auch nicht.
Nachdem Schiedsrichter Guido Winkmann auch die verletzungsbedingten über acht Minuten Nachspielzeit abgepfiffen hatte, brandete sofort die Diskussion auf. Hätte Casteels, der nach einem Foul in der ersten Hälfte schon eine gelbe Karte auf dem Konto hatte, mit gelb-rot oder glatt rot vom Platz gestellt werden und dem VfB ein Elfmeter zugesprochen werden müssen? War es Absicht oder einfach nur fahrlässig, dass Casteels Gentner sein Knie ins Gesicht rammte? Hätten nicht Schiedsrichter Winkmann, dessen Linienrichter oder wenigstens der Videoschiedsrichter das Spiel sofort unterbrechen müssen?
Nun, zunächst mal sind wir uns glaube ich, hoffe ich, alle einig, dass man Casteels in dieser Szene keine Absicht unterstellen kann. Aogos sehr hohle Flanke segelt nicht weit von der 16-Meter-Linie in den Strafraum und Casteels versucht in diesem Moment, den Ball wegzufausten, da er ihn bei dieser Flugkurve nicht fangen kann, ohne Gefahr zu laufen, mit dem Ball den Strafraum zu verlassen. War es also fahrlässig, so in Richtung Ball zu gehen? Gentner machte Aogo kurz vor dessen Flanke noch auf sich aufmerksam und stürmte dann Richtung Strafraum. In der Szene selber sieht man, wie Beck und der Wolfsburg Gerhardt zwar die Augen auf dem Ball haben, aber zur Seite laufen. Gentner hingegen steht mit dem Rücken zu Casteels, in Erwartung einer Kopfballchance und sieht das herannahende Knie des Torwarts erst, als es zu spät ist.
Konnte Casteels Gentner sehen und nahm einen Zusammenprall in Kauf, um den Ball rausfausten zu können? Ich weiß es natürlich nicht mit absoluter Sicherheit, aber ich kann es mir nicht vorstellen. Er hat nur den Ball im Auge der zudem so hoch und lang fliegt, dass er davon ausgehen muss, dass Mit- und Gegenspieler damit rechnen, dass er heraus kommt. Was das Knie angeht: Jeder Torwart springt bei jedem hohen Ball in jedem Spiel so ab. Casteels vorzuwerfen, er hätte das Knie fahrlässig oder mit der Absicht, jemanden zu verletzen, hochgezogen, ist lächerlich. Und ein Torwart ist eben kein Feldspieler, schon allein weil, wie oben beschrieben, Feldspieler nicht mit der Intention, den Ball wegzufausten, abspringen. Die Verletzung von Christian Gentner ist schon schlimm genug, lasst uns da keine Hexenjagd auf einen Torwart draus machen, der seinen Job erledigt hat. So sah es im übrigen auch sein Gegenüber Ron-Robert Zieler.
Der Unterschied zwischen richtig und rechtens
Betrachten wir lieber, was im Nachhinein wirklich schief gelaufen ist. Unabhängig davon, wie die Szene regeltechnisch zu ahnden ist, muss irgendwer dem Schiedsrichter, der mit den Augen schon wieder beim durch die Faustabwehr Casteels eingeleiteten Gegenangriff war, Bescheid sagen, damit dieser das Spiel unterbricht. Entweder der Linienrichter auf der Seite oder der Videoschiedsrichter, die sehen, wie die medizinische Abteilung des VfB aufs Feld stürmt. Oder der vierte Offizielle. Die zweite Halbzeit begann schon verspätet, weil das Funkequipment des Schiedrichterteams nicht richtig funktionierte. Hatte es in der 84. Minute auch einen Aussetzer? Dafür, dass die Schiedsrichter technisch so vernetzt sind, ist es erstaunlich, wie schlecht diese Situation gehandhabt wurde.
Was mich aber richtiggehend ankotzt, ist die Tatsache, dass kein Wolfsburger es für nötig hielt, den Ball ins Aus zu spielen, obwohl die halbe VfB-Mannschaft wild mit den Armen ruderte. Natürlich verhielten sich die Gästespieler hier regelkonform, denn seid dieser Saison sind die Spieler angehalten, den Ball nicht mehr ins Aus zu spielen, sondern auf einen Pfiff des Schiedsrichters zu warten. Aber richtig und rechtens ist nicht immer das gleiche. Denn offensichtlich versagte, warum auch immer, in dieser Szene die Rückfallebene Schiedsrichter. Hätte Beck den Ball nicht ins Aus gegrätscht, nachdem die Wolfsburger gar versucht hatten, sich an der Außenlinie durchzudribbeln, es hätte wohl noch länger gedauert, bis die Sanitäter sich um Gentner hätten kümmern können.
Die Regeländerung trat in Kraft, nachdem im Jahr 2016 gleich bei zwei Spielen an einem Bundesliga-Spieltag Tore erzielt wurden, während ein Spieler verletzt am Boden lag. Die damals darauf folgende Diskussion und deren Fazit brannte sich in die Köpfe aller Beteiligten ein: Wer den Ball rausspielt, ist der Dumme. Also spiel weiter, wird schon nicht so schlimm sein. Schon alleine diese Abwägung, so berechtigt sie in manchen Szenen sein mag, ist ist grenzwertig. Ist jede Chance ein Tor zu erzielen, und sei sie auch noch so klein, wichtiger als die möglicherweise schwere Verletzung eines Spielers? Andererseits sind es eben auch solche Spieler, die diese Abwägungen und entsprechende Regeländerungen scheinbar notwendig machen:
Akolo, Ascacíbar und Donis entscheiden das Spiel
Kommen wir abschließend noch zu den bereits angesprochen positiven Aspekten dieses Samstagnachmittags. Der VfB hätte Wolfsburg auch gut und gerne mit einer höheren Niederlage nach Hause schicken können. Vor allem Chadrac Akolo tauchte immer wieder vorm gegnerischen Tor auf und brachte sich mit seiner Chancenverwertung um mindestens einen weiteren Treffer. Dabei soll aber nicht vergessen werden, wie er sich vor dem 1:0 die abgefälschte Flanke von Anastasios Donis selber auflegte und dann im zweiten Versuch auch versenkte. Da fällt es fast nicht ins Gewicht, dass Simon Terodde erneut wenig Land sah. Denn offensiv konnte man dem VfB, bis auf die Chancenverwertung, in diesem Spiel wenig Vorwürfe machen. Beeindruckend auch die Entschlossenheit, mit der die Mannschaft die drei Punkte in Unterzahl über die Zeit brachte.
Wolfsburg-Experte Leonard Hartmann hatte es in der Vorschau bereits angedeutet: Auf den Flügeln sind die VW-Städter defensiv schwach und Donis nutzte dies mit mehreren Flanken weidlich aus, genauso wie Takuma Asano nach dessen Einwechslung. Wolfsburg hingegen fand, inklusive Daniel Didavi bei seiner Rückkehr ins Neckarstadion, kaum statt. Erst als der VfB durch Gentners Verletzung nur noch zu zehnt auf dem Feld stand, brandete wirklich noch einmal so etwas wie Torgefahr auf. Das hatte auch mit Santiago Ascacíbar zu tun. Der Neuzugang aus Argentinien gewann bei seinem Startelfdebüt fast alle seine Zweikämpfe. Auch der Rest der Mannschaft zeigte sich zweikampfstark und spielbestimmend, ohne dass sich das, wie gegen Schalke, in mehr Ballbesitz oder einer höheren Passquote ausdrückte.
Verletzungssorgen vor der englischen Woche
Jetzt steht am Dienstag erneut ein schweres Auswärtsspiel an, dass der VfB zudem ohne Christian Gentner und wahrscheinlich auch ohne Chadrac Akolo bestreiten muss. Ich bin gespannt, wen Hannes Wolf auf der Doppelsechs, wahrscheinlich neben Ascacíbar aufbietet. Auswahl hat er genug, schließlich tummeln sich mit Mangala, Grgic, Ofori und Burnic genügend defensive Mittelfeldspieler im Kader. Ich vermute, dass die Wahl auf Ofori fallen wird, trotz dessen schwachen Auftritts im Pokal. Er ist von den vier Spielern der älteste, zudem hat Grgic kaum Spielpraxis. Ofori hingegen könnte besser hinter einem wirbelnden Ascacíbar absichern als die stürmischen Burnic und Mangala. Wie man hingegen Chadrac Akolo offensiv ersetzen will, ist mir noch schleierhaft. Brekalo und Asano fehlt der Zug zum Tor, den Akolo hat. Hoffen wir, dass es beim kommenden Auswärtsspiel trotzdem besser läuft als beim letzten.
Zum Schluss: Gute Besserung, Christian! Und danke an Mannschaftsärzte und Sanitäter für Ihren Einsatz.