Zum ersten Mal seit grauer Vorzeit gewinnt der VfB wiedeär ein Heimspiel gegen den FC Bayern. Es ist nur einer von 21 Saisonsiegen, aber einer mit großer Strahlkraft.
Ja, ich weiß. Die Bayern waren ersatzgeschwächt und mit den Gedanken sowieso schon in Madrid. Genauso wie die anderen 16 Bundesligisten ausgerechnet gegen uns immer einen schlechten Tag hatten, außer wenn sie uns Punkte abknöpften. Komisch. Nee, nee, diesen Heimsieg gegen den alten Südgipfel-Rivalen, mit dem wir zum ersten Mal seit über zehn Jahren zumindest aktuell wieder auf Augenhöhe konkurrieren, lasse ich mir nicht kleinreden. Schon allein, weil die Mannschaft von Sebastian Hoeneß nicht nur den späten Schock in Leverkusen bravourös weggesteckt. sondern auch aus dem Hinspiel gelernt hat. Damals überließen die Bayern den Brustringträgern das Feld und konterten sie zu Hause eiskalt aus. Im Neckarstadion hingegen ließ sich der VfB auf solche Spielchen gar nicht erst ein, drückte zwar aufs Tor von Manuel Neuer, ließen sich aber in der letzten Reihe nicht überrumpeln.
Und selbst wenn das nicht die besten Bayern, gegen die wir hätten antreten können: In der derzeitigen Verfassung kann es unsere Mannschaft mit jedem Gegner in der Liga aufnehmen. Leverkusen brauchte viel Abschlusspech seitens des VfB und einen überforderten Schiedsrichter, um zu einem Unentschieden zu kommen und auch die Bayern profitierten von der Aversion des sonst souveränen Schiedsrichters Welz, die eigene Entscheidung am Bildschirm zu überprüfen und zu korrigieren. Der VfB ließ sich aber davon und von den Schauspielkünsten seines ehemaligen Nachwuchsspielers nicht aus der Ruhe bringen und spielte auch nach dem Ausgleich weiter konzentriert nach vorne. Die ein oder andere defensive Schrecksekunde war dabei durchaus einkalkuliert, aber mit etwas Glück und viel Übersicht blieb der Elfmeter von Harry Kane der einzige Treffer der Gäste am Samstagnachmittag, so dass wir jetzt sogar insgesamt ein Tor weniger kassiert haben als die Bayern.
Unerwartete Helden
Aber reden wir nicht von den Bayern und ihren halbherzigen Versuchen, diesen Südgipfel für sich zu entscheiden, reden wir von den Toren des VfB. Es passt irgendwie zu dieser Saison, dass in diesem Spiel nicht der 43-Tore-Sturm ins Rampenlicht trat, sondern andere Spieler. Leonidas Stergiou zum Beispiel, der sich durch die Ausfälle von Josha Vagnoman, Dan-Axel Zagadou und zeitweise auch Anthony Rouault seinen Stammplatz auf der rechten Abwehrseite erkämpft hat und nicht zum ersten Mal seine Offensivqualitäten unter Beweis stellte und im Doppelpass mit Deniz Undav die Bayern-Abwehr düpierte. Oder Jeong Woo-yeong, der in dieser Saison gefühlt mehr bei der koreanischen Nationalmannschaft weilte und auch deswegen vor allem als Einwechselspieler als Erscheinung trat — und zum ersten Mal seit eineinhalb Jahren wieder als Torschütze. Und natürlich Silas, der gegen die Bayern eine Renaissance sondergleichen erlebte, den umjubelten Führungstreffer mit einer präzisen Flanke vorbereitete und mit einem platzierten Schuss die Cannstatter Kurve zum Explodieren brachte. Und erwähnte ich schon, dass dem VfB mit Maxi Mittelstädt und Enzo Millot zwei wichtige Spieler fehlten? Nein? Dann liegt das daran, dass die Mannschaft in der Lage war, auch das zu kompensieren.
Dieses Spiel, diese Saison strotzt nur so von wunderbaren Geschichten wie diesen. Mit 21 Saisonsiegen hat der VfB einen weiteren Rekord eingestellt und sich nicht nur auf dem Sofa, sondern auch auf dem Platz für die Champions League qualifiziert. Das nahm Trainer Sebastian Hoeneß zum Anlass, sein im Dezember gegen Augsburg gegebenes Versprechen einzulösen und Kurve und Mannschaft vom Zaun aus, also am Vorsängerpodest stehend, zu adressieren. Wann hat es das zuletzt gegeben? Vermutlich ist es ähnlich lange her wie ein Heimsieg gegen die Bayern, 73 Tore in 32 Spielen oder der Ausblick auf die Vizemeisterschaft. Denn auch wenn dieses Spiel die vorläufige Krönung einer phänomenalen Saison war, kann die Mannschaft immer noch einen draufsetzen. Mit einem Sieg im Freitagabend-Spiel gegen immer noch nach Europa schielende Augsburger wäre Platz 3 eingetütet und bis die Bayern am Sonntagnachmittag spielen wäre man sogar auf Platz 2. Dass sich der Rekordmeister die Blöße gibt, gegen Wolfsburg und Hoffenheim Punkte liegen zu lassen, kann ich mir noch nicht recht vorstellen. Aber nachdem nun auch die Mannschaft per T‑Shirt ihre Reise gebucht hat (siehe oben), ist Platz 2 ein schöner Anreiz für die letzten beiden Partien.
Zurück an der Spitze
Und selbst wenn es nicht klappen sollte, werden es noch zwei Feiertage für VfB-Fans. Die letzten beiden Schritte auf einem unglaublichen Weg zurück an die Spitze des deutschen Fußballs. Vermutlich nur vorübergehend, denn selbst wenn Fabian Wohlgemuth und Sebastian Hoeneß es im Sommer geschickt anstellen und es ihnen gelingt, den Erfolg einigermaßen zu konservieren, wird es eine solche Saison so schnell nicht wieder geben. Was bleibt, ist die Erinnerung an Tage wie den 4. Mai 2024, als für uns mal wieder alles gepasst hat.
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Titelbild: © Alex Grimm/Getty Images