Über die Mitgliederversammlung des VfB ist heute schon viel geschrieben worden, die Wahlergebnisse und die Konfliktlinien sind scheinbar bekannt. Ich (Lennart) war gestern ebenfalls in der Hanns-Martin-Schleyer-Halle. Ein paar Gedanken zur vereinspolitischen Lage des Brustrings.
Eines steht fest: Mit Ruhm bekleckert hat sich der gesamte Verein gestern nicht. Sicherlich, man hat jetzt wieder einen Präsidenten und einen fast vollständigen Aufsichtsrat. Vorstand und Aufsichtsrat wurden wenig überraschend und schon fast traditionell nicht entlastet und die geplanten Satzungsänderungen kamen aus verschiedentlichen personellen wie auch inhaltlichen Gründen nicht durch. Was sich dazwischen abspielte, erinnerte jedoch eher an das, was man Eintracht Frankfurt früher nachsagte: Die Diva vom Neckar. Die Hauptprotagonisten des gestrigen Abends und ihre Rollen in dieser Tragikomödie namens #VfBMV:
Der Aufsichtsrat
Die drei Herren, nach dem Rücktritt des Präsidenten und dem Rauswurf des Sportvorstands nicht nur in der administrativen, sondern auch in der sportlichen Verantwortung, hatten diesen Sommer jede Menge zu tun. Gleichzeitig haben sie meiner Meinung nach, das habe ich schon öfters geschrieben, dabei nicht unbedingt ein glückliches Händchen gehabt. Warum man erst zwei Monate nach dem Abstieg einen vereinslosen Manager verpflichten konnte, vermochten sie ebenso wenig schlüssig zu erklären, wie die Tatsache, warum man unbedingt einen ehrenamtlichen Präsidenten braucht. Wäre nicht ein hauptamtlicher, bezahlter Präsident finanziell unabhängiger von äußeren Einflüssen? Entsprechend dieser Vorgabe war es natürlich für den Aufsichtsrat ein Leichtes zu argumentieren, man habe mit eben Wolfgang Dietrich den einzigen Kandidaten gefunden, der qualifiziert genug war und bereit, das Amt ehrenamtlich auszufüllen. An dieser Stelle formalistisch zu argumentieren, die Satzung ermögliche zwar zwei Kandidaten, schreibe sie aber nicht vor, ist schwach. Warum benutzt man die ganze Vereinsentwicklungs-Demokratisierungsrethorik, um dann eine Wahl ohne Auswahl durchzuführen?
Wobei: Die Wahl hatte man ja. Nun ja, zumindest theoretisch. In der Praxis unterstellte vor der Versammlung Aufsichtsratschef Schäfer jedem, der Dietrich nicht wählen wollte, er würde, beziehungsweise wolle den Verein zumindest teilweise in Schutt und Asche legen. Die Rhetorik wirkte: Der Antrag, die Abwahl des Aufsichtsrates auf die Tagesordnung zu setzen, wurde abgelehnt. Seien wir ganz ehrlich: Es ist vielleicht besser so, hätte es die Versammlung wahrscheinlich nur noch mehr aufgeheizt, ohne erkennbaren Mehrwert. So weit, so glimpflich.
Was sich aber der Aufsichtsrat in der Folge leistete, war nicht nur unprofessionell, sondern einfach nur beschämend. Ja, die Spruchbänder der Ultragruppen waren eindeutig. Der Aufsichtsrat solle sich “verpissen”, Dietrich, der “Spalter”, müsse “verhindert” werden. Da wurden eindeutig die großen Geschütze aufgefahren und ich kann nachvollziehen, dass sich die vier Herren dadurch persönlich angegriffen fühlten. Was aber gar nicht geht: Jedem, der Kritik an ihnen übt, vorzuwerfen, dies aus blinder Zerstörungslust zu tun. Die Formulierung, wer den Aufsichtsrat abwähle, lege den VfB in Schutt und Asche war ja schon völlig daneben. Aber dann auch noch jegliche Opposition zum Aufsichtsrat als unkonstruktiv, zerstörungswütig und vereinsschädigend zu brandmarken, ist inakzeptabel.
Mir wurde gestern abend sowieso viel zu viel in Lagerkategorien gedacht: Du siehst den Aufsichtsrat und den Präsidentschaftskandidaten kritisch? Dann bist Du bestimmt ein Ultra, der Pyro zündet, Menschen verprügelt und die Macht im Verein an sich reißen will. In der Süddeutschen Zeitung gab es zu dieser Geisteshaltung vor kurzem eine lesenswerte Kolumne. Ich bin auch weder vom Aufsichtsrat, noch von Dietrich sonderlich begeistert. Trotzdem bin ich kein Ultra und würde, malte ich ein Spruchband, auch nicht diese Worte wählen.
Aber wie gesagt, die Stimmung war aufgeheizt und Martin Schäfer war unprofessionell genug, sich davon mitreißen zu lassen. Aber er war nicht der einzige.
Die Medien
Nein, das wird hier kein Medienbashing. Sowohl der Aufsichtsrat, als auch der Präsidentschaftskandidat wurden im Vorhinein durchaus hinterfragt, wenn auch nicht so gründlich wie von manchen Bloggern. Die Stuttgarter Zeitung handelte sich sogar eine einstweilige Anordnung ein, musste zwei Formulierungen über Dietrich streichen, viele andere kritische blieben bestehen. Was aber diese Zeitung und im Speziellen Gunter Barner in den Tagen vor der Versammlung ablieferten, war ziemlich peinlich.
Den Anfang machte ein Portrait des Aufsichtsratsvorsitzenden, welches sich nicht anders als mit “Bunte-Homestory” beschreiben lässt. Sicherlich: Schäfer stand und steht im Fokus und im medialen Interesse. Einen solch zentralen Mann der VfB-Welt zu porträtieren ist für sich nicht verwerflich. Aber die Art und Weise, ohne ein einziges kritisches Wort — die Wortwahl, von der man auch als Außenstehender bereits eine Kostprobe erhalten hatte, wird als Authentizität ausgelegt — ist einer neutralen Berichterstattung im Vorfeld der Mitgliederversammlung nicht würdig. Gunter Barners hohe Meinung von Schäfer ist ihm ungenommen. Mit gutem Journalismus hat das allerdings wenig zu tun.
Es war aber erst der Auftakt für die Hintergrundmusik zu Schäfers “Schutt-und-Asche”-Kampagne. Unter dem melodramatischen Titel “Tag der Abrechnung” rechnete Barner ab, vor allem mit den Ultras, denen er eiskalte Machtpolitik vorwirft, eine Kritik, von der er alle anderen Beteiligten ausnimmt:
Die Party der Ultras
Beseelt von der romantischen Vorstellung, dass die Postkutschen schon wieder fahren werden, wenn sie man es nur lange genug fordern, wüten Teile der Ultra-Szene um Commando Cannstatt gegen alles, was nach Kommerz riecht, genießen im Stadion aber die Vorzüge der Moderne und feiern nebenbei ihre ganz eigene Party: Mit preisgünstigen Tickets – und wenn es sein muss auch mit Pyros, Krawall-Einlagen und schmähenden Internet-Posts, die Verletzungen der Anstandsregeln als taktisches Foul tolerieren. Da kann es schon mal passieren, dass man den Präsidentschafts-Kandidaten als „kriminellen Vollidioten“ apostrophiert. Und die Sponsoren-Vertreter im Aufsichtsrat aus der Cannstatter Kurve der unsportliche Ratschlag ereilt: „Verpisst euch!“
Im steten Verlangen, dem Präsidentschafts-Kandidaten irgendwas ans Bein zu binden, das ihn noch verhindern könnte, malen seine Kritiker Szenarien ins Web, die ihm genau das zum Vorwurf machen, was sie selbst all die Jahre von einem VfB-Präsidenten gefordert haben: Kenntnis der Branchengesetze, ein funktionierendes Netzwerk und Durchsetzungsvermögen gegenüber Aufsichtsrat, Medien und dem restlichen Begleittross im Circus Maximus.
Weil der überwiegende Teil der Ultras sich darin gefällt, gegen jeden und alles zu sein, entrollten sie zuletzt Transparente, die ihre Ambivalenz aufs Feinste entlarven: „Demokratiesierungs-Paket ablehnen“ stand zu lesen und: „Wir sind der Verein.“
Was in den Ohren der Normalos ziemlich überheblich klingt ist auch deshalb ein grobes Missverständnis, weil sich unter den nunmehr bald 48 000 VfB-Mitgliedern nur bestenfalls 1500 den Ultras zurechnen. Das Satzungspaket, das der Verein an diesem Sonntag zur Abstimmung vorlegt, sieht vor, künftige Abstimmungen auch jenen allerorten zur ermöglichen, die nicht an einer Mitgliederversammlung teilnehmen können oder wollen. Etwa per Briefwahl oder online.
Machtproben
Der Ultra verspürt aber generell wenig Verlangen, seine Macht mit den anderen Mitgliedern zu teilen. Und womöglich schwant dem einen oder anderen, dass ihm unter einem Präsidenten Wolfgang Dietrich nicht so ohne weiteres der rote Teppich ausgerollt werden könnte.
Geht es vielleicht noch ein wenig pauschaler, Herr Barner? Wie schon gesagt: Man kann Kritik an der Wortwahl der Ultras üben, man kann ihnen inhaltlich widersprechen, man muss sie auch nicht gut finden. Aber hier Gewalt, Pyrotechnik und vereinsinterne Opposition zusammen zu schmeißen und über einen Kamm zu scheren ist, wie schon das Verhalten seines Interviewpartners auf der Mitgliederversammlung vor allem eins: Höchst unprofessionell. Immerhin: Im Laufe des Tages setzte sich wohl in der Redaktion die Erkenntnis durch, dass man den Artikel auf Facebook-Pöbel-Niveau nicht einfach ungesehen machen konnte, dass ein klassischer Bericht aber vielleicht nicht das richtige Genre für eine solche Schimpftirade ist. Weswegen Barner später noch einen Kommentar mit fast identischem Inhalt nachschob. Sogar so identisch, dass er erneut eine entlarvende Formulierung wählte: “gegen alles und jeden”. Diese hatte interessanterweise schon Dirk Preiß in einem anderen Artikel verwendet, Barner griff sie jetzt auf. Was ist denn das für eine Argumentation? Weil man gegen Dietrich und den Aufsichtsrat ist, ist man gegen alles und jeden? Auch hier wurden die größtmöglichen Geschütze aufgefahren.
Und es wirkte.
Die Mitglieder
Die Mitglieder, wir alle, gaben an diesem Tag kein gutes Bild ab. Natürlich verläuft eine solche Mitgliederversammlung im Abstiegsjahr nicht ohne Zwischenrufe. Dass Redner aber regelrecht niedergebrüllt werden, kratzt schon hart an der Grenze zur Meinungsfreiheit. Und nein, es war nicht nur Wolfgang Dietrich, der minutenlang nicht zu Wort kam. Es waren auch jene, die sich kritisch über Präsidentschaftskandidat und Aufsichtsrat äußerten. Dass der Versuch, den Aufsichtsrat abzuwählen, schon in der Vorstufe scheiterte, ist wie gesagt nachvollziehbar. Die nicht erfolgte Entlastung und nach der allgemeinen Stimmung die Wahl Dietrichs war irgendwie auch absehbar. Es gab jedoch zwei Abstimmungen, die mich an meinen Mit-Mitgliedern verzweifeln lassen.
Zum einen die Aussprache: Es ist nun mal die Möglichkeit für die Mitglieder, direkt zum Plenum und zur Vereinsführung zu sprechen. Man erhält als Mitglied ohne Amt eine Bühne, die sonst nur gewählten Vereinsvertretern offen steht. Manche nutzen diese Bühne gut, wie der von mir bei Twitter häufig kritisierte Christian Prechtl, andere weniger gut, wie der völlig zusammenhanglos redende Betriebsratschef von Porsche. Geschenkt, jeder blamiert sich, so gut er kann. Aber es soll halt auch jeder die Möglichkeit haben. Vielleicht nicht 15, 20 Minuten lang. Eine Redezeitbegrenzung kann durchaus sinnvoll sein, zwingt sie doch den Redner, seinen Inhalt prägnant und ohne Abschweifungen rüberzubringen. Was überhaupt nicht sinnvoll ist: Die Debatte nach einem Fünftel der Redebeiträge abzubrechen. Sicherlich, auch ich musste lange nach Hause fahren. Aber Redebeiträge gehören zu einer Aussprache dazu. Ich hatte mich drauf eingestellt und war gespannt, was dort alles zur Sprache kommen würde, selbst wenn sich manches wiederholt. Und wenn es 25 Redebeiträge sind, dann sind es eben 25. Dass dann trotzdem ein Großteil der Anwesenden für ein Ende der Debatte votierte, schockierte mich dann schon ziemlich.
Vielleicht hing es auch damit zusammen, dass die Präsidentschaftswahl noch ausstand. Für viele schien dies der Hauptgrund ihrer Anwesenheit zu sein. Anders lässt sich der massenhafte Exodus nach diesem Tagesordnungspunkt nicht erklären. Der letzte Punkt auf der Tagesordnung, die angekündigten Satzungsänderungen, schienen vielen nicht so wichtig zu sein. Paragraphen sind auch schwerer zu verstehen, als der schon oft gehörte Satz vom Dienen und Verdienen. Nachdem auch das sogenannte “Demokratisierungspaket” eng mit dem Namen von Dietrich verknüpft war, hätte man bei einer gleichbleibenden Zusammensetzung des Plenums eigentlich davon ausgehen können, dass auch dieses Paket durchkäme. Stattdessen drehte sich die Stimmung und das Wahlergebnis, die Vereinsführung erhielt zum zweiten Mal an diesem Abend nicht das gewünschte Ergebnis. Ich finde es nach wie vor schade, dass man nicht die großen Punkte der Satzungsänderung, lassen wir redaktionelle Änderungen mal außen vor, jeweils einzeln zur Abstimmung stellte. Mindestens genauso schade finde ich es, dass diese weitreichenden Änderungen an der Grundstruktur des Vereins gefühlt der Hälfte der anwesenden Mitglieder am Allerwertesten vorbei ging.
Und jetzt?
Bei allem Ärger über Wortwahl, Pöbel-Journalismus und fragwürdigen Abstimmungsergebnisse bleibt eines festzuhalten: Die demokratisch getroffenen Entscheidungen sind zu respektieren. Es würden alle gut daran tun, mal wieder ein paar Gänge runterzuschalten und rhetorisch etwas abzurüsten, davon nehme ich mich nicht aus. Gleichzeitig sollten aber diejenigen, die am Sonntag überstimmt wurden, sich jetzt nicht vom Verein abwenden oder gar ihre Meinung ändern. Stattdessen sollten alle Seiten, alle Meinungen im Verein, jetzt konstruktiv zusammenarbeiten. Dabei muss auch weiterhin die Vereinsführung, erst recht nach dem Auftritt auf dem Podium, weiterhin unter kritischer Beobachtung bleiben. Ein Wahlergebnis von unter 60 Prozent ist nicht gerade ein Vertrauensvorschuss. Aber alle Seiten müssen mit den getroffenen Entscheidungen leben und in der weiteren Vereinspolitik arbeiten. Denn mit der anstehenden Entscheidung über eine mögliche Ausgliederung steht uns allen noch ein hartes Stück Arbeit bevor.
Bild: © Rund um den Brustring