Beim Heimspiel des VfB am gestrigen Abend sah es gehen den Hamburger SV lange so aus, als würden die Brustringträger von den Problemen der Hinrunde eingeholt. Dass trotz zahlreicher vergebener Chancen am Ende ein 2:1‑Sieg stand, tut gut. Und lässt Hoffnungen für die nächsten Spiele aufkeimen.Es war wieder wie verhext und so fühlten sich auch die VfB-Fans im mäßig gefüllten Neckarstadion: Der VfB dominierte wie schon zu Beginn der Hinrunde den Gegner, erarbeitete sich Chance um Chance, nur um diese dann genauso slapstick-mäßig zu vergeben, wie im August 2015. Timo Werner hätte den HSV gestern im Alleingang abschießen können. Schon zur Halbzeit machte sich in der Cannstatter Kurve die Befürchtung breit, wie so häufig in den zweiten 45 Minuten für die schlechte Chancenverwertung bestraft zu werden. Immerhin: Erneut konnte man der Mannschaft nicht mangelndes Engagement auf dem Platz vorwerfen, die vielen Torchancen waren ein Resultat der harten Arbeit der Brustringträger. Es offenbarte sich aber auch eine Schwäche, die der VfB immer noch hat: Gegen tiefstehende Mannschaften fehlt es an einem schlüssigen Konzept, wie man in aussichtsreicher Position vors Tor kommt. Sobald der HSV hinten zumachte, blieb den Brustringträgern nichts anderes übrig, als den Ball hin- und her zu schieben.
Nach der Pause nahm der Druck des VfB auf das Tor von Rene Adler noch zu und dann passierte etwas, das man fast schon als magisch bezeichnen konnte. Der ganze Druck auf das Tor, die ganze Anspannung bei Spielern und Fans entlud sich, als Daniel Didavi nach zigsten Ecke den Ball so energisch aufs Tor köpfte, dass Aaron Hunt sich diesen nur noch über die eigene Linie drücken konnte. Das Stadion explodierte und man hatte das Gefühl, dass es der VfB endlich wieder schafft, das Glück auf seine Seite zu zwingen. Noch in der Hinrunde wäre wahrscheinlich auch dieser Angriff verpufft und die Mannschaft in jene Lethargie verfallen, aus der späte Gegentreffer resultieren. Aber gerade in dem Moment, als man als Zuschauer befürchten musste, dass man für die Probleme der Hinrunde immer noch keine Lösung gefunden hatte, hatte der VfB eine Lösung parat.
Es läuft
Natürlich ist es nicht nur die pure Willensstärke der Mannschaft, die sich hier zweimal nicht mit einem Unentschieden zufrieden geben wollte. Genauso wichtig war, dass der VfB den Lauf, in dem er sich seit dem Wolfsburg-Spiel befindet, fortsetzen konnte. Drei verdiente Siege in Folge gab es zuletzt zum Ende der vergangenen Saison, insgesamt hat der VfB unter Kramny seit der Klatsche in Dortmund kein Spiel mehr verloren.
Und so passte es dann auch ins Narrativ und vor allem in den Lauf des VfB, dass der zuvor eingewechselte Maxim, der aufgrund Daniel Didavis überragender Leistungen viel Zeit auf der Bank verbringt, eine Zuckerflanke auf den Kopf des ebenfalls eingewechselten Artem Kravets schlug, dessen Kopfball immer länger wurde, sich schließlich unter der Querlatte ins Tor senkte und das Stadion zum zweiten Mal am Samstagabend explodieren ließ:
[soundcloud url=“https://api.soundcloud.com/tracks/244605088” params=“auto_play=false&hide_related=false&show_comments=true&show_user=true&show_reposts=false&visual=true” width=“100%” height=“450” iframe=“true” /]
Kramny hatte den Sieg eingewechselt. Wann ist das zuletzt einem VfB-Trainer gelungen?
Läuft’s so weiter?
Die aktuelle Situation ist außergewöhnlich. Nicht nur, weil der VfB mitten in der Saison und nicht erst gegen Ende der Spielzeit einen Lauf startet. Sondern auch weil Sachen gelingen, von denen der VfB-Fan kaum noch wusste, dass die Mannschaft dazu in der Lage ist. Der VfB dreht Spiele, der VfB trifft nach Standards, der VfB kontert. Nach all den gruseligen Spielen, die man in den letzen Jahren erdulden musste, nach dem ganzen Herzschmerz, der mit jeder Niederlage — egal ob verdient oder unverdient — einhergeht, lernt man als VfB jetzt wieder, sich nach einem Spiel seines Vereins gut zu fühlen.
Der VfB hat jetzt, gehen wir einmal davon aus, dass Hoppenheim heute nicht gegen die Bayern gewinnt, sieben Punkte Vorsprung auf einen direkten Abstiegsplatz und ist zudem punktgleich mit dem Tabellenmittelfeld. Natürlich steht der aktuelle Aufwärtstrend immer noch auf wackligen Beinen. Der Ausgleich der Hamburger, als weder Flankengeber noch Torschütze richtig attackiert wurde und die eine oder andere brenzlige Situation vor dem Tor von Przemyslaw Tyton lassen erahnen, was dem VfB gegen spielstärkere Mannschaft passieren kann: Kassiert man einen Gegentreffer und muss danach gegen eine gut gestaffelte Abwehr anlaufen, muss das nicht notwendigerweise so ausgehen wie in Köln oder gestern.
Es erwartet aber auch keiner, dass der VfB jetzt nach oben durchmarschiert. Wichtig ist es, sich in den Spielen gegen die direkten Konkurrenten langsam aus der Abstiegszone heraus zu arbeiten. Bereits am kommenden Wochenende hat man in Frankfurt erneut die Gelegenheit dazu. Was ich vor einer Woche schrieb, nämlich dass für einen Sieg gegen den HSV einiges zusammenkommen müsse, das gilt auch für das Eintracht-Spiel. Wie man zum Rückrundenbeginn sehen konnte, sind auch die Frankfurter in der Lage, gegen einen nominell überlegenen Gegner drei Punkte zu erzwingen.
Was einen aber als VfB-Fan jetzt wesentlich optimistischer stimmt, ist das Selbstvertrauen der Mannschaft. Und das Gesetz der Serie. Und vielleicht kommt ja wirklich noch ein Innenverteidiger, der den Laden hinten auch gegen schwieriger zu spielende Gegner zusammenhält. Wie auch immer: Die Sorgenfalten werden erstmal weniger.