Wir sind Tabellenführer und das bedeutet: Es ist Spitzenspiel-Zeit. Für das Duell gegen den Tabellendritten Hannover 96 haben wir uns Tobias (@runnertobi) vom 96-Podcast Hannoverliebt eingeladen und reden mit ihm über seine Roten, das Spiel am Montag und natürlich Martin Harnik.
Rund um den Brustring: Hallo Tobi, vielen Dank, dass Du Dir Zeit für dieses Interview genommen hast. Du betreibst den Podcast “Hannoverliebt”. Erzähl doch bitte mal ein wenig über Dich und Deinen Podcast.
Tobias: Hallo, Hannoverliebt ist der Podcast rund um Hannover 96 bei www.meinsportradio.de und im Januar 2017 feiern wir unseren 4. Geburtstag. Unter der Woche haben wir unsere 146. Ausgabe aufgenommen und natürlich drehte sich in der Sendung viel um das Spiel am kommenden Montag. Unsere Sendungen sind immer ein Mix aus einem Rückblick auf das letzte Spiel, aktuellen Themen der Woche und natürlich einer Vorschau auf die kommende Partie. Ich bin der Host der Sendung und habe größtenteils die leichte Aufgabe nur die Fragen zu stellen. Beantworten müssen diese Fragen meine Gäste, die sich aus Fans und Journalisten zusammensetzen.
Ich selber bin die letzten rund 25 meiner 34 Lebensjahre Anhänger von Hannover 96 und in diese Podcastgeschichte so reingerutscht und habe große Freude daran 😉
Rund um den Brustring: 96 und der VfB bewarben sich in der vergangenen Saison mit Erfolg um die Teilnahme an der zweiten Liga. Beim VfB war es ein Prozess über mehrere Jahre, der den Verein schließlich in die Zweitklassigkeit führte. Was waren bei Euch die Gründe für den Abstieg nach 14 Jahren Bundesliga?
Tobias: Wenn man bedenkt, dass wir in der Saison 2011/12 noch im Viertelfinale der Europa League standen und dort nur knapp am späteren Sieger Atlético Madrid gescheitert sind, war es bei uns vermutlich auch ein schleichender Prozess. Seit der Trennung von Mirko Slomka gab es auf der Trainerposition keine wirkliche Konstante mehr und es wurden besonders in der nahen Vergangenheit unglückliche Entscheidungen in diesem Bereich getroffen (Frontzeck behalten, Schaaf geholt). Vor zwei Jahren haben wir mit viel Glück am letzten Spieltag gegen Freiburg die Klasse gehalten und in der letzten Saison war dann auch das nicht mehr möglich. Ich denke Hannover 96 ist von den Grundvoraussetzungen eine Mannschaft, die i. d. R. zwischen Platz 9 der ersten und Platz 5 der zweiten Liga pendelt. Wir hatten 14 Jahre in der Bundesliga — teilweise mit Ausschlägen nach oben – aber irgendwann war es dann wohl mal an der Zeit, dass Einkäufe nicht wie gewünscht einschlagen, Verletzungen sich zu sehr auswirken und man letztlich nicht gut genug für die ersten 15 Plätze ist.
Rund um den Brustring: Viele VfB-Fans waren und sind vom Abstieg immer noch schockiert — man denke nur an den Platzsturm gegen Mainz -, gleichzeitig angesichts des ständigen Überlebenskampfes in der Bundesliga aber auch ein wenig erleichtert. Momentan fühlt man sich angesichts traditionsreicher Gegner und vieler Erfolge teilweise recht wohl in der Liga. Wie waren die Emotionen bei Euch, als der Abstieg feststand und gibt es diese Diskussion bei Euch — lieber nach Lautern und Dresden als nach Hoffenheim und Leipzig fahren — auch?
Tobias: Wir waren in der letzten Saison ja bereits zur Hälfte der Rückserie quasi abgestiegen (10 Niederlagen in den 11 Spielen unter Schaaf). Und da entwickelte sich eine etwas merkwürdige Stimmung. Die von dir angesprochene Wut gab es in dieser Form wenig bis gar nicht. Es herrschte eigentlich mehr ein Mix aus Galgenhumor und Selbstironie vor. Und mit dem zweiten Trainerwechsel der Saison von Schaaf zu Stendel wandelte sich diese Stimmung hin zu einer Euphorie. Hinten raus gab es tatsächlich noch mal gute Spiele und Siege und auf dem Platz befanden sich plötzlich Jugendspieler (Sarenren Bazee, Anton, Arkenberg), die vorher keine Rolle spielten. „Der vielleicht bestgelaunteste Absteiger aller Zeiten“ war ein damals nicht selten gehörter Satz.
Zur „lieber Dresden und Lautern als Hoffenheim und Leipzig“ Diskussion kann ich wenig Allgemeingültiges sagen. Ich persönlich finde es ganz angenehm auch mal wieder andere Stadien zu sehen auch wenn ich dauerhaft doch lieber nach Hamburg, Köln und München fahren würde.
Rund um den Brustring: Trainer Daniel Stendel wurde bereits in der Abstiegssaison installiert und trainiert die Mannschaft auch jetzt noch. Wie hast Du die Entscheidung damals gesehen und wie bewertest Du seine Arbeit heute?
Tobias: Tja, der Trainer. Sich damals von Thomas Schaaf zu trennen war vollkommen richtig und kam m. E. viel zu spät. Daniel Stendel für die letzten fünf Spiele zu installieren war eine naheliegende – weil auch kostengünstige – Lösung. Dafür war der Klassenerhalt einfach zu unrealistisch mit 10 Punkten Rückstand bei noch 6 verbleibenden Spielen. Anfangs noch als klare Übergangslösung bis zum Saisonende kommuniziert, bröckelte dieser Plan allerdings ob der entstandenen Euphorie und der gezeigten Leistungen nach und nach. Und weil man scheinbar aus der erfolglosen Weiterbeschäftigung von Frontzeck nicht schlau geworden ist, gab man Stendel doch einen Vertrag für die nächste Saison. Ok, das hört sich vielleicht ein bisschen zu böse an. Aber die Zielsetzung innerhalb des Vereins für die Zweitligasaison war klar: Direkter Wiederaufstieg. Aber in einer neuen Situation, in einer Liga, in der man über ein Jahrzehnt nicht mehr gespielt hat, mit einem Trainer, der bis dahin 6 Profispiele auf der Bank betreut hatte war das eine sehr riskante Entscheidung.
Rund um den Brustring: Ihr seid wie wir seit sechs Spielen ohne Niederlage und habt zwei Punkte Rückstand auf einen direkten Aufstiegsplatz. Bist Du mit der bisherigen Punkteausbeute zufrieden und wo siehst Du 96 am Saisonende?
Tobias: Nein. Ok, anders formuliert: Mit der Punkteausbeute muss man vermutlich zum jetzigen Zeitpunkt zufrieden sein. Dafür gab es einfach ein paar mehr Punkte, die man glücklich mitgenommen hat als unglücklich verlorene Punkte. Womit ich aber wirklich nicht zufrieden bin ist die fehlende Konstanz, Sicherheit und Stabilität. Wir spielen oft genug gegen vermeintlich schwächere Gegner nicht so wie man es von einer Mannschaft mit unserer Zielsetzung erwartet. Dazu gesellen sich leider immer wieder Halbzeiten, die irgendwo zwischen unansehnlich und grausam einzuordnen sind. Von der Instabilität in der Defensive möchte ich an dieser Stelle gar nicht anfangen. In den von dir angesprochenen sechs Spielen haben wir nur einmal zu Null gespielt (gegen Aue) und insgesamt 8 Gegentore kassiert.
Zum Saisonende sehe ich Hannover trotzdem auf einem der ersten beiden Plätze. Ich glaube an die individuelle Klasse dieser Mannschaft und daran, dass wir eine Rückrunde sehen werden, die besser läuft als die Hinrunde.
Rund um den Brustring: Martin Harnik spielte sechs Jahre lang beim VfB und wechselte nach Ablauf seines Vertrages im Sommer nach Hannover. Wie hast Du ihn vor dem Wechsel wahrgenommen und was hältst Du jetzt von ihm?
Tobias: Martin Harnik war nie ein Spieler, den ich übermäßig auf dem Radar hatte. Er hat glaube ich in seiner Zeit in Stuttgart insgesamt zwei Tore gegen uns geschossen und hatte bei mir immer den Stempel „solider Stürmer“. Als wir ihn im Sommer verpflichten konnten, habe ich mich allerdings gefreut. Ja, in seiner letzten Saison in Stuttgart lief es auch für ihn nicht sonderlich gut, aber für wen tat es das schon. Wir konnten mit Harnik einen ablösefreien erfahrenen Bundesligastürmer nach Hannover holen. Und das im Vorfeld auch noch völlig geräuschlos. Ich erinnere mich gerne daran wie 96 nur wenige Minuten nach der offiziellen Vorstellung von Niclas Füllkrug plötzlich auf den Social-Media-Kanälen mit „Ach, wisst Ihr was, einer geht noch! Wir präsentieren: Martin #Harnik!“ um die Ecke kam.
Ach, wisst Ihr was, einer geht noch! Wir präsentieren: Martin #Harnik! https://t.co/0aiCZU4SLH #H96 #NiemalsAllein pic.twitter.com/ivtuuZpMWH
— Hannover 96 (@Hannover96) July 18, 2016
Jetzt nach 15 Spieltagen fällt es mir leicht zu sagen, dass Martin Harnik unser wichtigster Mann ist. Trotz der ein oder andere kleinen Verletzung ist er inzwischen bei sieben Toren in der Liga angelangt und bei 96 der Spieler, auf den wir aktuell am wenigsten verzichten könnten. Und vielleicht kommt am Montag in seiner alten Heimat ja noch ein weiterer Treffer dazu.
Rund um den Brustring: Bei uns gab es nach der Saison und dem Abstieg einen großen personellen Umbruch. Wie sah das bei Euch aus?
Tobias: Ein Abstieg geht glaube ich immer mit einem mehr oder weniger großen Umbruch einher. Bei uns fand ich ihn allerdings eher weniger groß. Es gab Spieler, bei denen der Abschied aufgrund von bestehenden Ausstiegsklauseln schon längere Zeit feststand (Ron-Robert Zieler, Hiroshi Kiyotake) und auch der ein oder andere langjährige Spieler hat den Verein verlassen (Christian Schulz, Leon Andreasen, Hiroki Sakai). Aber insgesamt hat man viele wichtige Spieler überzeugen können (bzw. im Fall Salif Sane sich einfach durchgesetzt) mit in Liga 2 zu gehen. Wenn man sich die Aufstellung vom ersten Spieltag gegen Kaiserslautern anguckt, sieht man, dass 9 der 11 Spieler bereits in der Vorsaison im Kader von Hannover standen. Inzwischen sind aber auch einige Neuzugänge (z. B. Martin Harnik, Stefan Strandberg, Marvin Bakalorz) fester Bestandteil der Mannschaft geworden.
Rund um den Brustring: Neben Harnik und seinen sieben Toren: Was sind die Stärken von 96? Wovor muss sich der VfB am Montag in acht nehmen?
Tobias: Wenn man unserer Mannschaft etwas nicht in Abrede stellen kann, dann ist es der Wille und der Kampfgeist. Rückstände, Platzverweise oder Verletzungen; alles kein Grund uns abzuschreiben. Außerdem haben wir mit Spielern wie Martin Harnik, Kenan Karaman, Felix Klaus, Noah Joel Sarenren Bazee und auch Salif Sane Spieler in unserer Mannschaft, die aufgrund ihrer individuellen Fähigkeiten ein Spiel entscheiden können. Ein Blick auf die Tabelle zeigt, dass wir mit 29 geschossenen Toren sicherlich unsere größte Stärke im Angriff haben.
Rund um den Brustring: Und was sind die Schwächen des Teams?
Tobias: Was den spielerischen Teil angeht ist es bei uns oft noch tagesformabhängig bzw. hängt auch viel von den aufgestellten Spielern ab. Der Trainer wechselt die Startformation (teils freiwillig, teils gezwungenermaßen) noch sehr häufig durch. Eine wirkliche Stammelf ist auch nach 15 Spieltagen nicht auszumachen. Das geht häufig zu Lasten der defensiven Stabilität und leider zu häufig auch zu Lasten eines kreativen Spielaufbaus. Es ist so ein bisschen das Prinzip Wundertüte.
Rund um den Brustring: Wie ist denn derzeit die Stimmung zwischen den Ultras und Martin Kind?
Tobias: Ich bin kein Teil der Ultraszene und kann daher lediglich beurteilen wie es nach außen auf mich wirkt. Es gab in der näheren Vergangenheit viele offen ausgetragene Meinungsverschiedenheiten zwischen Ultras bzw. organisierter Fanszene auf der einen und Martin Kind bzw. dem Verein auf der anderen Seite. Das hat sich in den letzten Monaten definitiv beruhigt. Die „Kind muss weg“ Rufe sind nicht mehr zu hören und von der Gegenseite kommen auch nach Pyro-Aktionen wie in Berlin nicht mehr öffentliche Statements als zwingend notwendig. Es ist angenehm ruhig in Hannover.
Rund um den Brustring: Dein Tipp fürs Spiel?
Tobias: Die oben angesprochene Wundertüte gilt vermutlich auch für das Spiel am Montag in Stuttgart. Ich denke in Hannover ist sich jeder der Bedeutung dieses Spiels für die Tabelle, für die Stimmung und einige Entscheidungen in der Winterpause bewusst. Ich hoffe, dass dieser Druck die Mannschaft nicht verkrampfen lässt. Bringen wir das auf den Rasen, was in dieser Mannschaft steckt, kann es auch gegen den Tabellenführer einen Sieg geben. Da wir hinten aber einfach sehr instabil sind, tippe ich auf ein 3:2 Sieg für Hannover.
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