Der Kandidat

Der VfB-Auf­sichts­rat hat Wolf­gang Diet­rich, vor allem bekannt als ehe­ma­li­ger Spre­cher von Stuttgart21, als Prä­si­dent­schafts­kan­di­dat aus­er­ko­ren. Eine Ent­schei­dung, die den VfB-Fans und ‑Mit­glie­dern aus ver­schie­de­nen Grün­den eine unru­hi­ge Sai­son besche­ren wird.

Am Mon­tag­mor­gen flat­ter­te den VfB-Mit­glie­dern eine E‑Mail des Auf­sichts­ra­tes ins Post­fach: Man habe sich auf einen Kan­di­da­ten für das vakan­te Amt des Prä­si­den­ten fest­ge­legt und zwar, wie schon in der Pres­se spe­ku­liert auf den ehe­ma­li­gen Spre­cher des Bahn­pro­jekts Stuttgart21, Wolf­gang Diet­rich.

Sofort ent­spann­te sich in den Kom­men­tar­spal­ten und bei Twit­ter eine enga­gier­te Dis­kus­si­on. Der Schwa­ben­sturm hat­te schon beim Spiel gegen St. Pau­li sei­ne Beden­ken per Spruch­band aus­ge­drückt und liest man die Viel­zahl an Mei­nungs­äu­ße­run­gen zu dem The­ma, wird eines klar: Den Ver­ein beru­higt hat der Auf­sichts­rat mit sei­ner Ent­schei­dung jeden­falls nicht.

Das hat ver­schie­de­ne Grün­de, die auch mir ziem­lich gegen den Strich gehen. Dabei ist die Tat­sa­che, dass er Stutt­gar­t21-Spre­cher war an sich für mich erst ein­mal nicht rele­vant. Natür­lich iden­ti­fi­ziert man sich als Spre­cher immer mit sei­nem Pro­jekt und in die Debat­te über die Sinn­haf­tig­keit der Bau­maß­nah­me möch­te ich an die­ser Stel­le gar nicht ein­stei­gen. Auch sei­ne wirt­schaft­li­chen Ver­wick­lun­gen und sei­ne Ver­bin­dun­gen zu den Blau­en aus dem Deger­loch sind für mich zunächst zweit­ran­gig. Wer sich dafür inter­es­siert, dem emp­feh­le ich die­sen sehr inter­es­san­ten Bei­trag im Forum von Transfermarkt.de.

Wir haben keine Wahl

Nein, es soll hier zunächst ein­mal um den Aus­wahl­pro­zess gehen. Nach­dem sich die Ver­eins­füh­rung nach dem Abstieg mehr oder min­der auf­ge­löst hat­te, über­nahm zunächst der Auf­sichts­rat zusam­men mit den ver­blie­be­nen Vor­stands­mit­glie­dern das Ruder des unter­ge­gan­ge­nen Schiffs. Dass sie die­ses Ruder in den ver­gan­ge­nen Mona­ten her­um­ge­ris­sen haben, kann man der­zeit noch nicht behaup­ten. Die Suche nach dem Nach­fol­ger für Robin Dutt zog sich über zwei Mona­te und die sport­li­che Füh­rung ver­moch­te es in der Zwi­schen­zeit nicht, eine wett­be­werbs­fä­hi­ge Innen­ver­tei­di­gung oder gefähr­li­che Flü­gel­spie­ler zu ver­pflich­ten. Kurz­um: Der drei­köp­fi­ge Auf­sichts­rat sam­mel­te kei­ne Plus­punk­te.

War­um man dann in einer sol­chen Situa­ti­on die nach dem Mäu­ser-Deba­kel umge­setz­te Sat­zungs­än­de­rung links lie­gen lässt und erneut nur einen Kan­di­da­ten zur Wahl stellt, ist mir schlei­er­haft. Natür­lich wis­sen wir nicht, ob es nicht viel­leicht kei­ne ande­ren Kan­di­da­ten für den Job gab. Allei­ne: Vor­stel­len kann ich es mir nicht. Statt­des­sen heißt es im Schrei­ben:

Wir gehen davon aus, dass die Tat­sa­che, nur einen Kan­di­da­ten zu benen­nen, nicht von allen Mit­glie­dern glei­cher­ma­ßen geschätzt wird, da auf Basis der Sat­zung auch zwei Kan­di­da­ten zur Wahl gestellt wer­den könn­ten. Den­noch sind wir abso­lut davon über­zeugt, damit im Sin­ne des Ver­eins zu han­deln. Wir haben uns mit zahl­rei­chen mög­li­chen Kan­di­da­ten aus­ein­an­der­ge­setzt und mit Wolf­gang Diet­rich den aus unse­rer Sicht opti­ma­len Kan­di­da­ten gefun­den — ande­re Per­so­nen schie­den zum Bei­spiel des­halb aus, weil bei ihnen kei­ne Bereit­schaft für eine ehren­amt­li­che Tätig­keit vor­lag, ihrem Pro­fil die Erfah­rung im Pro­fi­fuß­ball oder die not­wen­di­ge wirt­schaft­li­che Erfah­rung fehl­te, ohne die es in der aktu­el­len Situa­ti­on schwer mög­lich ist, einen Ver­ein die­ser Grö­ßen­ord­nung erfolg­reich in die Zukunft zu füh­ren.

Mit ande­ren Wor­ten: Wir wis­sen schon, was für den Ver­ein am Bes­ten ist. Lie­be Mit­glie­der, bit­te nickt unse­re Ent­schei­dung ab. Natür­lich ist das alles im Rah­men der Sat­zung, die im Grun­de immer noch eine Bevor­mun­dung der Mit­glie­der dar­stellt. Zwar kön­nen Mit­glie­der bis drei Mona­te vor der Mit­glie­der­ver­samm­lung Kan­di­da­ten vor­schla­gen, wer dann aber zur Wahl steht, ent­schei­det letzt­end­lich jedoch der Auf­sichts­rat. Ech­te Demo­kra­tie sieht anders aus.

Satzungsänderung? Na und?

Sicher­lich: Die­ses Kon­strukt ist ein Kom­pro­miss zwi­schen Demo­kra­tie und Kapi­ta­lis­mus. Vor­stän­de von mit­tel­stän­di­schen Unter­neh­men wer­den auch nicht demo­kra­tisch gewählt und auch als e.V. wer­den beim VfB Ent­schei­dun­gen von einer finan­zi­el­len Trag­wei­te getrof­fen, die es ver­bie­ten, die Füh­rungs­po­si­ti­on ein­fach leicht­fer­tig zu ver­ge­ben. Gleich­zei­tig kann der Auf­sichts­rat mög­li­che Kan­di­da­ten eher auf Herz und Nie­ren prü­fen, als es die über 40.000 Mit­glie­der kön­nen. Und schließ­lich ist es uto­pisch zu glau­ben, dass beim VfB jemand Prä­si­dent wird, der nicht irgend­wie aus dem loka­len oder regio­na­len Busi­ness- und Politzir­kel stammt.

Den­noch: Wenn wir im Ver­ein schon nur eine ein­ge­schränk­te Demo­kra­tie haben, soll­te die­se so weit wie mög­lich aus­ge­reizt wer­den. Nur einen Kan­di­da­ten zur Wahl zu stel­len offen­bart ein Selbst­ver­ständ­nis, dass ich spä­tes­tens mit den gro­ßen Wor­ten zur Ver­eins­ent­wick­lung schon in der Ver­gan­gen­heit gewähnt hat­te. Frei nach May­er-Vor­fel­der: Der Ver­ein sind wir. Was bringt es, wenn wir auf Regio­nal­ver­samm­lun­gen dar­über dis­ku­tie­ren, wie die VfB-Fami­lie wie­der zusam­men­wach­sen soll, wenn der Auf­sichts­rat mit sol­chen Ent­schei­dun­gen wie­der ein­mal beweist, dass der VfB teil­wei­se immer noch nach Guts­her­ren­art geführt wird.

Die judäische Volksfront

Und als wäre das nicht schon schlimm genug, bringt die­ses Gre­mi­um mit der Per­son des Kan­di­da­ten den Ver­eins­frie­den zusätz­lich in Gefahr. Wie schon geschrie­ben: Inhalt­lich ist mir Stuttgart21 nicht so wich­tig, viel­leicht auch, weil ich nicht sel­ber in Stutt­gart woh­ne. Aber wie am Mon­tag deut­lich wur­de: Das The­ma spal­tet die Stadt, es spal­tet die Regi­on und es hat gro­ßes Poten­ti­al, auch den VfB zu spal­ten. Die Men­schen sind halt nicht nur VfB-Fans, sie sind auch Bür­ger Stutt­garts und haben poli­ti­sche Ansich­ten, sei es für oder gegen Stuttgart21. Und Wolf­gang Diet­rich ist für vie­le Men­schen immer noch ein rotes Tuch, da könn­te er auch VfB-Mit­glied seit 1912 sein.

Im “Wahl­kampf”, der uns bis Okto­ber bevor­steht, wird er sehr wahr­schein­lich von vie­len Sei­ten unter Beschuss gera­ten. Und soll­te er gewählt wer­den, dann mit Sicher­heit nicht mal annä­hernd mit den glei­chen Wer­ten wie sei­ne Vor­gän­ger. Dass es danach ruhi­ger um ihn wird, ist auch nicht zu erwar­ten. Vor allem nicht, wenn es sport­lich nicht so läuft, wie wir uns alle das wün­schen. Man konn­te schon in den ver­gan­ge­nen zwei Jah­ren beob­ach­ten, wie Bernd Wahl­er qua­si an allem Schuld war, was den VfB in die zwei­te Liga gebracht hat. Und der hat­te kei­ne solch kon­tro­ver­se Vita.

Die Präsidentschaftswahl als Stadtthema

Immer­hin: Bei Wahl­er ging es noch um sport­li­che Grün­de. Wie man jedoch bei Twit­ter beob­ach­ten konn­te, misch­ten sich vie­le Men­schen in die Dis­kus­si­on ein, die mit dem VfB weni­ger am Hut haben, son­dern vor allem gegen Stuttgart21 sind. Ist auch ihr gutes Recht, hat nur eigent­lich mit der Wahl des VfB-Prä­si­den­ten nichts zu tun. Aber der VfB ist nun ein­mal wie der Bahn­hof ein Teil der Stadt Stutt­gart und bewegt vie­le Men­schen. Die Fol­ge wird sein, dass Diet­rich nicht nur von innen ange­grif­fen wer­den wird, son­dern auch von außen und mit ihm auch der VfB. Und es kann pas­sie­ren, dass völ­lig sport­frem­de The­men plötz­lich die ver­eins­in­ter­ne Debat­te domi­nie­ren.

Grund­sätz­lich bin ich ja dafür, dass der Fuß­ball sich auch sei­ner gesell­schaft­li­chen Rol­le bewusst ist und fin­de, dass Fuß­ball­funk­tio­nä­re nicht ein­fach im luft­lee­ren Raum exis­tie­ren. Es war vor mei­ner Zeit, aber ich befürch­te, dass sich beim VfB kei­ner groß über May­er-Vor­fel­ders rechts­of­fe­ne Bemer­kun­gen echauf­fiert hat. Ich hät­te ihn damals wahr­schein­lich auch nicht gewählt, wäre ich voll­jäh­rig und Mit­glied gewe­sen. Aber da ging es um per­sön­li­che, zwei­fel­haf­te Ansich­ten und nicht um ein die öffent­li­che Debat­te domi­nie­ren­des Bau­pro­jekt. Die Leu­te wür­den Diet­rich nicht als Per­son ableh­nen, son­dern weil er für Stuttgart21 steht.

Kippt die Ausgliederung?

Ich könn­te mir sogar vor­stel­len, dass, soll­ten die­se Mit­glie­der nicht direkt nach der Mit­glie­der­ver­samm­lung wie­der aus­tre­ten, die­ses The­ma auch Ein­fluss auf die Abstim­mung zur Aus­glie­de­rung haben kann. Schließ­lich wird die euphe­mis­tisch “Ver­eins­ent­wick­lung” getauf­te Kam­pa­gne auch ein Haupt­pro­jekt des neu­en Prä­si­den­ten wer­den. So sehr es mir per­sön­lich zusa­gen wür­de, wenn die Aus­glie­de­rung ver­hin­dert wür­de, so hin­ter­lie­ße es doch bei mir einen ziem­lich scha­len Nach­ge­schmack, wenn die­se Ent­schei­dung nicht aus Sor­ge um den VfB, son­dern aus der Ableh­nung gegen ein Bau­pro­jekt getrof­fen wür­de.

Uns Fans und Mit­glie­dern ste­hen anstren­gen­de Zei­ten bevor: Ein Auf­stiegs­kampf, der, wie Jan Schin­del­mei­ser sagt, eine ganz dicke Nuss wird, eine Aus­glie­de­rungs­dis­kus­si­on, die im Win­ter erst ihren Höhe­punkt errei­chen wird und eine Prä­si­dent­schafts­wahl, die ab jetzt und für den Rest der Sai­son zu Dis­kus­sio­nen und Zer­würf­nis­sen füh­ren wird. Schnallt Euch an.

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