In Freiburg hatte Sebastian Hoeneß mit Personalproblemen zu kämpfen — und zog daraus die falschen Schlüsse. Was aber noch keine Erklärung für den Kontrollverlust Mitte der ersten Halbzeit war. Denn wirklich neu war in diesem Spiel für die Brustringträger wenig.
Manchmal tendiert man im Erfolg ja dazu, die Vergangenheit zu verklären. Damit meine ich nicht die Qualität der VfB-Mannschaft, an der für mich auch nach der Auftakt-Niederlage in Freiburg kein Zweifel besteht. Nein, es geht vielmehr um die Tatsache, dass die Mannschaft nicht nur in der Lage ist, atemberaubenden Fußball zu spielen, sondern sich gelegentlich auch mal von einem hochmotivierten und gut organisierten Gegner die Butter vom Brot nehmen lässt. So geschehen in Heidenheim, in Bochum- und eben jetzt in Freiburg. Denn die Breisgauer spielen wenig überraschend unter Julian Schuster ähnlich wie unter Christian Streich, nämlich das, was sie können: Gute Standards, sauberer Spielaufbau, gnadenlose Konsequenz im Angriff und hohe Intensität. Die Tore schoss nicht etwa der in der Vorbereitung stark auftrumpfende Junior Adamu, sondern Evergreens wie Lukas Kübler und Ritsu Doan, assistiert von Christian Günter und Vincenzo Grifo. Sebastian Hoeneß und sein Team wussten also eigentlich genau, was sie erwartete, konnten damit aber nur in der Anfangsphase umgehen, als Ermedin Demirović seine erste Bundesliga-Chance für den VfB sehenswert zum ersten Tor im Brustring verwandelte. Nachdem Julian Schuster seine Spieler in der ersten Trinkpause um sich versammelt hatte, entglitt den Brustringträgern das Spiel komplett, was an einen anderen schlechten Auftritt der letzten Saison erinnert, nämlich die Niederlage in Leipzig.
Auch damals ging der VfB in Führung, auch damals zerfiel er im Anschluss in seine Einzelteile. Auch wenn der SCF seinen Gästen keine fünf Tore einschenkte: Viel hätte dazu nicht gefehlt. Eine Woche nach dem guten Auftritt in Leverkusen fehlte es den Brustringträgern an vielem — der richtigen Haltung zum Spiel, dem Durchsetzungsvermögen am gegnerischen Strafraum sowie der Konzentration — vor allem aber an der Struktur. Sebastian Hoeneß reagierte auf die Ausfälle von Leonidas Stergiou, Anthony Rouault, Josha Vagnoman und Daxo Zagadou, in dem er Angelo Stiller in die Abwehr zurückzog und Enzo Millot auf die Sechserposition zurückzog. Beide fehlten auf ihren angestammten Positionen und leisteten sich zudem haarsträubende Fehler: Millot ließ Patrick Osterhage vor dem Ausgleich im Mittelfeld viel zu viel Platz, um den Angriff über Adamu einzuleiten, Stiller verpasste es mehrfach, im Zusammenspiel mit dem leider auch häufig überforderten Szenzel, Flanken von der Seite zu klären — zum Beispiel beim 2:1 — und leistete sich vor der Ecke zum 3:1 einen folgenschweren Abspielfehler am eigenen Strafraum. Abgesehen von diesen individuellen Fehlern fehlte Millot in der bis auf den Führungstreffer erschreckend harmlosen Offensive, während Atakan Karazor ohne seinen gewohnten Nebenmann immer wieder verloren wirkte. Schaut man sich hingegen die Leistung von Debütant Anrie Chase gegen eine immer noch recht gefährliche, wenn auch weniger intensive Freiburger Mannschaft an, so kommt man nicht umhin, ihn für die bessere Lösung für die Verletzungsmisere zu halten.
Keine Struktur, keine Kontrolle
Sebastian Hoeneß wird mit Sicherheit mehr Gründe gehabt haben, um Stiller zurück zu ziehen, als nur die sehr gute Leistung, die er auf dieser Position gegen Dortmund zeigte. Der Vergleich zu diesem Spiel offenbart aber, warum es damals funktionierte und aktuell nicht. Als Stiller im April Anton ersetzte, war die Mannschaft eingespielt und ritt auf einer Erfolgswelle. Aktuell muss sich die Mannschaft gerade defensiv noch finden. Mit Chabot und Krätzig standen zwei Neuzugänge in der Viererkette, Pascal Stenzel ist nun auch kein Dauerbrenner und auch die Übergänge zum Mittelfeld waren nicht sauber. Eine etablierte und eingespielte Doppelsechs vor einer Viererkette mit Neuzugängen und einem jungen Bundesliga-Debütanten hätte meiner Meinung nach für wesentlich mehr Stabilität und eine ausgewogenere Spielanlage gesorgt, auch nach vorne. Stattdessen hing Deniz Undav komplett in der Luft und begnügte sich mit zwei Sonntagsschüssen, während man von Jamie Leweling gar nichts sah.
Neben individuellen und strukturellen Fehlern war auch frappierend, wie schnell der VfB die Kontrolle über die Partie verlor. Nachdem Freiburg die erste Trinkpause mit einem Abstoß von Florian Müller beendete, kam der VfB bis zum Ausgleich kein einziges Mal an den Ball. Wie in den letzten zehn Minuten in Leverkusen bekamen die Brustringträger im Anschluss keinen Fuß mehr auf den Boden und es gelang ihnen auch nicht, dem Freiburger Sturmlauf besonders viel entgegen zu setzen. In solchen Situationen kassiert man dann eben auch so Tore wie das 2:1, bei dem wahrscheinlich nur Alex Nübel selber weiß, warum er nicht von seinem Privileg, den Ball mit den Händen berühren zu dürfen Gebrauch machte. So war die Niederlage am Ende nicht nur folgerichtig, sondern hochverdient. Wieder einmal hatte sich gezeigt, dass es mit weniger als vollem Einsatz nicht geht. Am bezeichnendsten war vielleicht die Szene kurz vor der Pause, als sich Undav im Mittelkreis den Ball bei einem Konter von Osterhage stibitzen ließ.
Eine Reaktion wird kommen
Was sich liest wie eine Generalkritik, ist auch eine, weil das Spiel wirklich schlecht war. Gleichzeitig ist das aber kein Grund, nach dem verlorenen Supercup und dem vermasselten Auftakt Trübsal zu blasen. Wie eingangs beschrieben hatte der VfB auch in der vergangenen Saison solche Spiele und auch in der vergangenen Saison war die Mannschaft in der Lage, darauf eine Reaktion zu zeigen. Zumal sich die Situation in der Innenverteidigung ja sowohl aufgrund eines weiteren Transfers entspannen soll und auch, weil Stergiou, Rouault, Zagadou und Vagnoman irgendwann zurückkehren werden. Die Kritik, man hätte statt beispielsweise El Bilal Touré (zu ihm bald mehr Hintergrundinformationen) erstmal einen Innenverteidiger verpflichten sollen, kann ich nicht nachvollziehen. Offenbar war es einfacher, für die Rolle des Backups im Sturm eine passende Lösung zu finden als für einen potenziellen Stammspieler in der Innenverteidigung. Die Deadline ist hier das kommende Wochenende und nicht der erste Spieltag. Und während es durchaus sinnvoll gewesen wäre, Anrie Chase in die Startelf zu packen, halte ich nichts davon, wegen eines Spiels einen Schnellschuss auf dem Transfermarkt zu machen.
Vielleicht — auch wenn ich darauf verzichten könnte — ist diese Niederlage auch mal wieder der Warnschuss, den die Mannschaft auch in der Vergangenheit ab und an brauchte, um sich neu zu fokussieren. Die Euphorie in den letzten Wochen war groß und das soll sie auch bleiben — schließlich wird am Donnerstag die Champions League ausgelost! Die Mannschaft muss jedoch jetzt die Sinne neu schärfen und kann erfreulicherweise schon am Dienstag in Münster beweisen, was ihr bislang einziger Saisontorschütze nach dem Spiel zu Protokoll gab: “Wir sind trotzdem eine geile Truppe”.
Zu etwas ganz anderem: Ruhe in Frieden, Christoph Daum.
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