Christian Gentner ist neuer Sportdirektor beim VfB, und damit nach Fabian Wohlgemuth und Sven Mislintat der dritte Funktionär, der seit der Ausgliederung diesen Posten bekleidet. Das stößt nicht bei allen auf Gegenliebe, auch wenn man über seine bisherige Arbeit als Funktionär nicht viel weiß. Genau das und der dahinterstehende Prozess sind aber das Spannende dieser Personalentscheidung.
Im gestrigen 11Freunde-Newsletter hat Redakteur Max Nölke einmal bei Twitter quergelesen und empfiehlt: “Vorschlag aus der Ferne: Wie wäre es, wenn wir alle mal locker durch die Hose atmen und den guten Mann erst einmal beginnen lassen?” Damit bewegte er sich erstaunlich nah am Wehrleschen “Entspannt Euch doch mal”, welches dieser passenderweise bei der Vorstellung der Berater Sami Khedira und Philipp Lahm sowie von Christian Gentner als Leiter der Lizenzspielerabteilung äußerte. Nun ist das mit dem locker durch die Hose atmen natürlich einerseits in Stuttgart sowieso utopisch und zum anderen ist das mit Christian Gentner eben doch nicht so einfach, wie es “aus der Ferne aussieht”. Angefangen bei seiner Zeit als Spieler und als Kapitän, in der die Mannschaft — nicht allein wegen ihm, aber auch mit ihm als Führungsspieler — immer mehr Richtung zweite Liga rutschte und dort dann binnen drei Jahren gleich zwei Mal aufschlug. Dann die Zwischentöne wegen seines auslaufenden Vertrags im Abstiegskampf, sein Wechsel zu ausgerechnet Union Berlin und die vielen lobenden Worte, die er für den Aufsteiger fand. Wohl selten in der Geschichte unseres Vereins wurde jemand, der über 350 Spiele im Brustring gemacht hat, im Nachhinein so kritisch betrachtet.
Andererseits hat das genausowenig mit seiner Qualifikation als Leiter Lizenzspielerabteilung oder jetzt als Sportdirektor zu tun, wie die Tatsache, dass Gentner damals scheinbar als Mitarbeiter des damaligen Sportdirektors Sven Mislintat eingestellt wurde, ohne dass dieser davon Bescheid wusste. So sehr ich nachvollziehen kann, dass man Gentner als Spieler kritisch sieht — nicht umsonst habe ich bei seinem Abschied 2019 hier infrage gestellt, wie nah sein selbstgewählter Spitz- und Instagram-Nutzername “Legente” an der Realität ist — so überzogen halte ich es, ihm deshalb abzusprechen, als Sportdirektor einen guten Job zu machen. Schließlich hat er die Rolle als Leiter der Lizenzspielerabteilung jetzt knapp zwei Jahre bekleidet, hat in dieser Zeit mit Sicherheit viele Einblicke im Bereich des Sportmanagement gesammelt und dabei nach dessen Aussage auch eng mit Fabian Wohlgemuth zusammengearbeitet. Es mutet auch seltsam an, dass man der sportlichen Führung nach der letzten Saison grundsätzlich gute Arbeit attestiert, aber mittendrin jemand sitzen soll, der eigentlich völlig ungeeignet ist und nur wegen seines Namens und seines Stallgeruchs einen Posten hat.
Leiter für was eigentlich?
Das Wahrnehmungsproblem, welches Christian Gentner als Funktionär hat, ist einmal mehr der Kommunikation des VfB, aber auch den emotional diskutierten Strukturen geschuldet. Denn als er beim VfB vorgestellt wurde, hieß es seitens des Vereins, man wolle seine Aufgaben bis zu seinem Einstieg am 1. Januar 2023 noch genauer definieren. Das wird wohl bis dahin auch geschehen sein, wurde aber nur in einem Video auf VfBtv aus dem Trainingslager in Marbella am Rande thematisiert. Dabei ist es keineswegs so, dass der VfB diesen Posten nur für seinen ehemaligen Kapitän erfunden hätte, schon allein eine kurze Recherche ergibt ähnliche Positionen in Dortmund oder bei der Frankfurter Eintracht. Hängen blieb dennoch bei den meisten, dass Gentner halt auf der Bank über den Klassenerhalt und die anschließende Fabelsaison mitjubelt und in der vereinseigenen Saisondoku mal an einer Scouting-Sitzung teilnimmt. Gerade nach der “Entspannt euch”-Pressekonferenz, auf der man den Eindruck gewinnen musste, Alex Wehrle wolle den VfB mit Stallgeruch-Posten für Ex-Spieler in die Zukunft führen war die fehlende Greifbarkeit seiner Aufgaben etwas, was Christian Gentner in der Bewertung seiner Person nicht geholfen hat.
Die nach außen fehlende Trennschärfe der Aufgabengebiete ist auch ein Problem, wenn es um die Strukturen geht. Ich habe schon im März 2023 darauf hingewiesen, dass es nicht zielführend war, dass Alexander Wehrle angesichts der katastrophalen Personalpolitik des Aufsichtsrates einfach das Amt des Sportvorstand zusätzlich zum Vorstandsvorsitz von Thomas Hitzlsperger übernahm und man beim VfB die 2019 etablierten Strukturen einfach stur fortführte. Denn bis 2019 hatte der VfB in dieser Form nie einen Sportdirektor, auch wenn die Bezeichnung in der Vergangenheit durchaus mal aufgetaucht sein mag — aber eben nicht in dieser klaren Strukturierung eines Vorstands mit einem ihm zugeordneten Direktor. Geschaffen wurde der Sportdirektor ja vor allem deshalb, weil der von Wolfgang Dietrich zum Sportvorstand erkorene Hitzlsperger noch Expertise in der Kaderplanung an seiner Seite suchte und sie in Sven Mislintat fand. Noch vor Hitzlspergers Abgang verhedderten sich Claus Vogt und sein Gremium allerdings bei der Personalsuche derart, dass am Ende der Eindruck enstand, Sven Mislintat wolle und könne sich seinen Chef selber aussuchen. Als man sich Ende 2022 von diesem trennte, versäumte man es, die Strukturen vernünftig zu sortieren und hatte fortan weiterhin einen Sportvorstand ohne große Erfahrung in diesem Bereich und einen Sportdirektor, dessen Fähigkeiten die Bezeichnung seines Amtes bald überstiegen.
Andere Aufgabenteilung
Als man sich dann doch entschloss, den Vorstandsvorsitz und den Sportvorstand zu trennen, zog sich der Prozess erneut über Monate hin, bis man schließlich nach zahlreichen von Personalagenturen vorgeschlagenen Kandidaten am Ende bei der offensichtlichen Lösung ankam, nämlich der Beförderung von Fabian Wohlgemuth zum Vorstand in diesem Sommer. Das damit auch Christian Gentner eine Treppenstufe im Organigramm nach oben rückt, war eigentlich damals schon klar, die Umsetzung zog sich erneut bis in den November. Wer neuer Leiter der Lizenzspielerabteilung wird, ist ebenso unklar wie die Antwort auf die Frage, was ein Sportvorstand und ein Sportdirektor beim VfB eigentlich machen und ob es Gentners ehemaligen Posten überhaupt noch braucht. Und auch das tut Gentner nicht gut, weil es natürlich in großen Teilen weiterhin der Sportvorstand Fabian Wohlgemuth sein wird, der den Kader plant und zusammenstellt — also die Aufgabe, die auch Sven Mislintat als Sportdirektor hatte. Dessen Diamantenauge wiederum traut man Christian Gentner in Fankreisen nicht zu, weswegen die Aufregung um die Neubesetzung gerade nach dem enttäuschenen Frankfurt-Spiel mitunter groß ist. Es würde uns allen helfen, wenn wir uns von der Konstellation Hitzlsperger-Mislintat endlich lösen und akzeptieren, dass Aufgaben beim VfB mittlerweil anders zugeschnitten sind, so ikonisch dieses Duo auch für viele VfB-Fans immer noch ist und wie sehr die derzeitige sportliche Leitung auch noch von deren Grundlagenarbeit zehrt.
Ohnehin wird man die Arbeit von Gentner und auch von Wohlgemuth erst mit etwas Abstand objektiv bewerten können — zum Beispiel wenn klar ist, ob 50 Millionen Euro besser in zwei Stürmer oder in einen unverletzten Innenverteidiger eines gewissen Formats investiert gewesen wären. Dass der VfB diese Vakanz jetzt gefüllt hat, ist gut und es bleibt zu hoffen, dass auch die Aufgabenteilung zwischen Vorstandsvorsitzendem, Sportvorstand und Sportdirektor jetzt klarer geregelt und für alle Außenstehenden nachvollziehbar ist, als in der Vergangenheit. Dass Christian Gentner eine bessere Lösung ist als jemand von Extern, kann und muss er jetzt beweisen. Wichtig ist aber vor allem, dass der VfB seine Personalpolitik nach klaren Prinzipien ausrichtet und man nicht das Gefühl hat, dass sich Personalagenturen am Verein gesundstoßen können, nur damit der am Ende lediglich die Türschilder auf der Geschäftsstelle umhängt.
Titelbild: © Alex Grimm/Getty Images