Momentaufnahme mittelmäßig

Bei der Bewer­tung der Heim-Nie­der­la­ge gegen Ein­tracht Frank­furt schwankt man zwi­schen tra­gisch und däm­lich. Die spä­te Auf­hol­jagd beweist auf jeden Fall die Lei­dens­fä­hig­keit der VfB-Mann­schaft, lei­der stand sie sich vor­her sel­ber im Weg.

Als der VfB vor sechs Jah­ren mal wie­der einen Sai­son­start in den Sand setz­te — der im Abstieg enden soll­te — führ­te ich auf Twit­ter eine inter­es­san­te Dis­kus­si­on in die auch Micha­el Kar­bach, Glad­bach- und Sta­tis­tik-Fan ein­ge­bun­den wur­de. Es ging dar­um, ab wel­chem Spiel­tag man in etwa abse­hen kann, in wel­che Rich­tung sich eine Sai­son ent­wi­ckelt. Micha­el stell­te dann rela­tiv schnell eine Gra­fik ein, die den Unter­schied zwi­schen der Plat­zie­rung aller Ver­ei­ne am jewei­li­gen Spiel­tag im Ver­gleich zu deren End­plat­zie­rung dar­stel­len soll­te. Die bei­den Wer­te lie­gen natür­lich zu Beginn einer Sai­son, wenn noch nicht vie­le Punk­te ver­ge­ben wur­den, weit aus­ein­an­der und nähe­ren sich Rich­tung Sai­son­ende, wenn man mit einem Sieg nicht mehr quer durch die Tabel­le sprin­gen kann, immer mehr an. Für die Pre­mier League sah das damals so aus:

Und auch für die Bun­des­li­ga hat Micha­el auf sei­nem Blog eine ähn­li­che Tabel­le erstellt. Was man beob­ach­ten kann: Die Kur­ve wird nach etwa zehn Spiel­ta­gen etwas fla­cher, nach etwa einem Drit­tel der Sai­son hat sich das Tableau also schon etwas auf­ge­glie­dert. Und an genau die­sem Punkt ste­hen wir nach dem 2:3 gegen Frank­furt, der ers­ten Heim­nie­der­la­ge in der Bun­des­li­ga seit über einem Jahr. Was aber hat das mit dem Spiel zu tun? Will ich hier den Abstieg 2025 vor­aus­sa­gen oder die Sai­son Anfang Novem­ber schon für been­det erklä­ren? Natür­lich nicht, denn zum einen ist es nur eine Moment­auf­nah­me und zum ande­ren ist die dicke schwar­ze Linie natür­lich nur ein Mit­tel­wert, der beson­de­re Umstän­de ange­sichts der Daten­be­trach­tung über meh­rer Sai­son nicht mit­ein­be­zie­hen kann.

Den­noch taugt die­ses Spiel ziem­lich gut für eine Ein­ord­nung des Starts in die­se schwie­ri­ge Sai­son nach der traum­haf­ten letz­ten Spiel­zeit. Der VfB geht als Tabel­len­elf­ter mit 13 Punk­ten, jeweils drei Sie­gen und drei Nie­der­la­gen und vier Unent­schie­den und einer Tor­bi­lanz von 19:19 in die Län­der­spiel­pau­se (die für unse­re Mann­schaft längst kei­ne Pau­se mehr ist). Das ist als Moment­auf­nah­me ziem­lich mit­tel­mä­ßig, ist aber natür­lich auch beson­de­ren Umstän­den geschul­det. Denn natür­lich sind knapp zwei Gegen­to­re pro Spiel viel zu viel, wenn man im obe­ren Tabel­len­drit­tel mit­hal­ten will. Was man wie­der­um mei­ner Mei­nung nach muss. Denn man leis­tet sich nicht für 50 Mil­lio­nen Euro zwei Stür­mer, um nur die 40-Punk­te-Mar­ke anzu­pei­len. Es ist jedoch auf­fäl­lig, dass der VfB auch des­we­gen so vie­le Tore kas­siert, weil er sel­ber sei­ne Chan­cen nicht nutzt und das Spiel des­halb lan­ge rela­tiv offen ist. Sie­ben der 19 geschos­se­nen Tore hin­ge­gen fie­len erst nach der 75. Minu­te. So auch am spä­ten Sonn­tag­nach­mit­tag: Der VfB traf die Lat­te, ver­schoss einen Elf­me­ter und hielt die Ein­tracht damit in einem Spiel, wel­ches sie kurz vor und nach der Pau­se dann im Grun­de für sich ent­schied.

Das Problem sind nicht die Gegentore

Das Pro­blem sind also weni­ger die Gegen­to­re, auch wenn derer zwei von drei in die­sem Spiel ziem­lich haar­sträu­bend waren. Dass Omar Mar­moush nicht nur gene­rell gut in Form ist, son­dern auch gute Ecken tre­ten kann, weiß man in Stutt­gart spä­tes­tens seit dem 14. Mai 2022. Und auch die Gefähr­lich­keit von Hugo Ekti­ké soll­te eigent­lich jedem bewusst sein, was das 0:1 zu einem ziem­lich offen­sicht­li­chen Gegen­tor wer­den lässt, dass man trotz­dem nicht ver­hin­dern kann. Über­haupt Mar­moush: An dem Frei­stoß zum 3:0 kannst du rela­tiv wenig machen, aber wie er vor dem 0:2 die Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit der VfB nach einem Abschlag von Kevin Trapp (!) aus­nutzt, um das Tor ein­zu­lei­ten, spricht einer­seits für sei­ne Qua­li­tä­ten und zum ande­ren gegen den VfB in die­ser Situa­ti­on. Das kann alles pas­sie­ren, wird aber fatal, wenn auf dei­ner Sei­te der Anzei­ge­ta­fel zu die­sem Zeit­punkt immer noch die Null steht und Du eigent­lich, wie schon am Mitt­woch gegen Ber­ga­mo, kein schlech­tes Spiel machst — aber bis dahin auch nicht gut genug für ein Tor spielst.

Wür­de das Abseits heut­zu­ta­ge nach dem durch das mensch­li­che Auge Wahr­nehm­ba­ren gemes­sen, hät­te sich die Mann­schaft ande­rer­seits für ihre Qua­li­tät, kein Spiel ver­lo­ren zu geben, viel­leicht noch belohnt und die Cannstat­ter Kur­ve wäre ein wei­te­res Mal nach einem spä­ten Punkt­ge­winn zu einer rie­si­gen Jubel­trau­be gewor­den. Dass es zu die­sem dra­ma­ti­schen Anti-Kli­max in der Nach­spiel­zeit aber über­haupt kam, lag vor allem dar­an, dass der VfB nicht nur sei­ne Chan­cen nicht nutzt, son­dern sich auch nicht genü­gend qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­ge Mög­lich­kei­ten her­aus­spielt, um so ein Tor zu erzwin­gen. Das schrieb ich schon ein­mal, bevor Sebas­ti­an Hoe­neß unse­ren Fuß­ball auf links krem­pel­te und die viert­meis­ten geschos­se­nen Tore spre­chen eigent­lich dage­gen. Was aber auf­fällt: Die Abläu­fe beim VfB sind nicht mehr so geschmiert wie in der letz­ten Sai­son, als jeder vor allem offen­siv so ziem­lich in jeder Situa­ti­on wuss­te, was er zu tun hat­te — und das hat­te nicht nur mit der Abschluss­qua­li­tät eines Ser­hou Gui­ras­sy oder des am Sonn­tag ver­letz­ten Deniz Undav zu tun.

Hoffen auf die Ketchup-Flasche

Viel­mehr liegt das mei­ner Mei­nung nach an der Ent­schei­dungs­fin­dung einer­seits und den Pass- und Lauf­we­gen ande­rer­seits. Bei­des kann man trai­nie­ren, wenn man denn die Zeit dazu hat. Der VfB aber schließt gera­de eine Pha­se ab, in der seit Mit­te Okto­ber jede Woche zwei Spie­le anstan­den, von denen sich kaum eines als Trai­nings­spiel eig­ne­te. Dazwi­schen lagen An- und Abrei­se, Spiel­nach- und vor­be­rei­tung, aber nicht viel mehr. So läuft beim VfB der­zeit vie­les über die indi­vi­du­el­le Qua­li­tät, bei­spiels­wei­se eines wie­der­erstark­ten Chris Füh­rich, aber wenig über ein­stu­dier­te Spiel­zü­ge: Die Päs­se kom­men ent­we­der zu früh, zu spät, zu unge­nau, gar nicht oder lau­fen ins Lee­re. Sebas­ti­an Hoe­neß hat das Pro­blem der Ent­schei­dungs­fin­dung bereits früh in der Sai­son erkannt, hat­te aber schein­bar noch kei­ne Gele­gen­heit, rich­tig mit der Mann­schaft dar­an zu arbei­ten. Und um Spie­le gegen Ber­ga­mo oder Frank­furt dann trotz feh­len­der Abläu­fe ein­fach mal so für sich zu ent­schei­den, fehlt es dann doch an der Qua­li­tät.

Das will ich aber nicht als Sai­son­pro­gno­se ver­stan­den wis­sen, son­dern als das, was es ist: Eine Moment­auf­nah­me. Hoe­neß muss in den nächs­ten zwei Wochen mit den in Stutt­gart ver­blie­be­nen Spie­lern an die­sen Abläu­fen fei­len und dann dar­auf zäh­len, dass uns das Tore­schie­ßen, egal ob im Ver­bund oder nach Ein­zel­leis­tun­gen, gegen Geg­ner wie Bochum, Bel­grad, Bre­men, Regens­burg, Ber­lin, Hei­den­heim und St. Pau­li etwas leich­ter fällt als in den letz­ten Wochen gegen den Rekord­meis­ter, den amtie­ren­den Deut­schen Meis­ter, den Euro­pa­po­kal­sie­ger und die Mann­schaft der Stun­de. Ärger­lich ist es trotz­dem, dass man gegen Lever­ku­sen und Mün­chen so von der Rol­le war, dass man gegen Hof­fen­heim oder Mainz nur Unent­schie­den geholt hat und gegen Ber­ga­mo oder Frank­furt sei­ne Chan­cen nicht genutzt hat. Dass in die­sen Spie­len mehr drin war — ins­be­son­de­re gegen die form­star­ken Frank­fur­ter, lässt mich auf einen Ket­chup­fla­schen-Effekt nach den Län­der­spie­len hof­fen: Erst kommt nur wenig raus und nach einem ordent­li­chen Ruck alles auf ein­mal. Gleich­zei­tig steht die Mann­schaft jetzt bis Weih­nach­ten natür­lich unter erhöh­tem Druck. Die Tabel­len­si­tua­tio­nen in Liga und Euro­pa­po­kal sind auch den schwe­ren Geg­ner geschul­det, gegen die man erwart­bar Punk­te lie­gen ließ. Die müs­sen jetzt nach­ge­holt wer­den. Denn zur Win­ter­pau­se ist sta­tis­tisch gese­hen der Unter­schied zwi­schen aktu­el­ler und End­plat­zie­rung schon gerin­ger.

Zum Wei­ter­le­sen: Der Ver­ti­kal­pass schwankt in sei­ner Bewer­tung zwi­schen uner­freu­lich und beschis­sen. Stuttgart.international liest Jür­gen Klopp die Levi­ten, Spiel­be­richt wird natür­lich auch noch ver­linkt.

Titel­bild: © Alex Grimm/Getty Images

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