Gegen aggressive Leverkusener gibt der VfB erneut ein Spiel in deren Stadion und damit den Supercup aus der Hand. Gleichzeitig bot die Partie vor dem Saisonstart eine aufschlussreiche Standortbestimmung.
Es war ein bisschen putzig, wie sich die Fußballbranche und die sie begleitenden Medien anhand der Rudelbildung in der zweiten Hälfte des Supercups und angesichts der emotionalen Reaktionen der beiden Trainer gegenseitig der Relevanz des Supercups versicherten. Als würden Fußballprofis und ‑funktionäre nicht über jedes Stöckchen springen, dass ihnen der Spielplan hinhält. Und es wäre natürlich schön gewesen, die VfB-Spieler statt mit dem Uhrencup oder der Zweitliga-Radkappe mal mit einer etwas ernstzunehmenderen Trophäe über den Rasen zu stolzieren sehen.
So war es unterm Strich das übliche Spiel gegen Leverkusen auf Augenhöhe mit spätem Nackenschlag — und damit vermutlich erkenntnisreicher für den Ligaauftakt in Freiburg als ein Spiel in Münster. Auch wenn es immer noch ein Unding ist, dass der Supercup nicht eine Woche vorm Pokal ausgespielt wird, vermutlich weil sich die üblicherweise teilnehmenden Bayern querstellen würden, wenn so ein Spiel mit einer ihrer Auslandsreisen kollidiert. Die sportliche Erkenntnis des Supercups war dann auch die, dass dieses Spiel genauso lief wie die letzten gegen den Double-Sieger und der VfB ergo wenig von seiner Gefährlichkeit eingebüßt hat.
Funktioniert noch alles
Die aus einer etwas passiv verteidigten Ecke resultierende Führung der Hausherren konterten die Brustringträger mit klarem Kopf und einem wie an der Schnur gezogenen Angriff über die starke linke Seite, an dessen Ende Enzo Millot seine ganze Qualität unter Beweis stellte. Spätestens da war klar: Der Vizemeister mag zwar seine Mannschaft wesentlich stärker verändert haben (müssen) als der Meister, aber es sind noch genug Schlüsselspieler da, um die funktionierenden Abläufe auch in der neuen Spielzeit zu erhalten. Zumindest offensiv, hinten zeigten sich Chabot und Rouault mitunter noch etwas unsauber und unterstrichen, warum der VfB gerade für Gegner solcher Qualität eine passende Verstärkung in der Innenverteidigung sucht.
Die Qualität war es am Ende auch, die dieses Spiel ins Elfmeterschießen führte. Denn der VfB ging zwar in der zweiten Halbzeit und nach Terriers eindeutigen roten Karte durch einen erneut sehenswerten Angriff in Führung, ließ sich das Spiel aber mehr und mehr aus der Hand nehmen und bot den Leverkusenern Räume, die sie eigentlich in Unterzahl nicht haben dürften. Es ist wohl das in einer Saison ohne Niederlage aufgebaute Selbstvertrauen, das die Hausherren immer wieder versuchen ließ, die Abwehr des VfB zu überspielen. Glücklicherweise blieben sie dabei genauso erfolglos wie der VfB bei seinen zahlreichen Aluminiumtreffern, die scheinbar ebenso zu diesen Spielern gehören.
Kein kühler Kopf
Es war aber nicht nur das furchtlose Offensivspiel des Meisters, das den VfB aus dem Konzept brachte, sondern die Unruhe, die Leverkusen durch Nickligkeiten, Fouls und verbale Scharmützel auf den Platz brachte. Sebastian Hoeneß nahm nach etwa einer Stunde den gelb-belasteten Stiller vom Platz und wechselte mit Krätzig und Undav den sehenswerten Führungstreffer ein. Gleichzeitig ging dem VfB dadurch die Stabilität verloren und durch das Leverkusener Spiel auch der kühle Kopf.
Man kann diese Spielweise unschön finden oder durchaus der Meinung sein, ein Griff an den Hals sollte mehr nach sich ziehen als das für den Zustand des deutschen Schiedsrichterwesens symptomatische Doppelgelb. Letztlich ist es aber auch eine Qualität des Meisters, den Gegner so aus dem Konzept zu bringen und dann eiskalt zuzuschlagen. Vor allem wenn man einen Schiedsrichter wie Tobias Stieler hat, dem das Spiel irgendwann komplett entglitt. Zwei gelbe Karten verteilte er vor der Pause, neun danach und die Kapitänsregel schien in diesem Spiel noch nicht einmal Anwendung zu finden.
Alles irgendwie absehbar
Dass Patrik Schick dem als Rechtsverteidiger überforderten Yannik Keitel davon lief und in der 88. Minute den Ausgleich erzielte, war irgendwann absehbar. Zu sehr ließ sich die Mannschaft von einem Gegner in Unterzahl zurückdrängen und zu Fouls abstechen, zu sehr gerieten die Brustringträger, auch im Versuch, gegen Leverkusen endlich mal den Deckel draufzumachen, in Hektik. Leverkusen hingegen igelte sich lange hinten ein und ging dann all in — zumal die gelben Karten für die weitere Saison ja bedeutungslos sind. Es sollte sich auszahlen.
Über das erste Elfmeterschießen des VfB seit dem Erstrunden-Pokalspiel in Cottbus 2017 will ich gar nicht viele Worte verlieren. Schon allein die Seitenwahl war eine Farce — natürlich will die DFL keine Bilder vom Supercup vermarkten müssen, auf denen Elfmeterschützen auf eine Glaswand schießen. Und da man schon bei der Wahl des Spielorts wie schon bei der Zulassung des Gastgebers zum Spielbetrieb generell gerne Ausnahmen machte, war diesmal einfach eine Kamera kaputt. Im EURO-geprüften Neckarstadion gibt es übrigens zwei Kurven, aber vielleicht hätte Alex Wehrle einfach mehr bei seinen DFL-Kollegen rumheul.…lassen wir das. Es unterstreicht nur, dass der DFL dieses Spiel selber nicht wichtig genug war, sondern gerade wichtig genug, um noch ein wenig Vermarktung rauszupressen. Von der der VfB auch finanziell profitiert, so ehrlich müssen wir sein.
Übung für die Champions League
Nein, ziehen wir lieber unsere Schlüsse aus den regulären 90 Minuten. An Leidenschaft ist der Mannschaft nichts verloren gegangen. Es fehlt lediglich gegen Gegner einer gewissen Qualität die Abgezocktheit. Wobei diese Qualität über mehrere Aufeinandertreffen in der letzten Saison eigentlich nur Leverkusen zeigte. In der anstehenden Champions League-Saison wird es aber häufiger zu solchen Szenen kommen und der VfB tut gut daran, sich darauf einzustellen und gleichzeitig die defensiven Abläufe noch zu verbessern.
Das, was die Mannschaft ansonsten zeigte, ließ sich aber durchaus sehen und dass, obwohl gerade die Nationalspieler noch gar nicht so lange im Training sind. In Freiburg, in Münster und auch gegen Mainz dürfte somit durchaus etwas drin sein, auch wenn diese Mannschaften natürlich ganz andere Herausforderungen bieten als Leverkusen. Ich bin jedenfalls optimistisch, was den Saisonstart angeht und auch ein wenig erleichtert, dass Sommerpause und Transferfenster auf den ersten Blick keinen Schatten auf die herausragende Vizemeister-Saison geworfen haben.
Zum Weiterlesen: Auch der Vertikalpass sah beide Mannschaften auf Augenhöhe. Stuttgart.international schreibt über Hoeneß: “Sein bewährtes Grundrezept mundet auch eine Woche vor dem Start in die neue Saison, muss allerdings in seinen Feinheiten noch abgeschmeckt werden.”
Titelbild: © SASCHA SCHUERMANN/AFP via Getty Images