Ob bei der Sponsorenwahl oder beim Vereinswechsel. Ehrlichkeit stünde vielen Akteuren im Fußballgeschäft gut zu Gesicht. Stattdessen betreibt man scham- und respektlose Selbstvermarktung bis zum Gesichtsverlust.
Man muss Waldemar Anton, seit diesem Montag Ex-Spieler und Ex-Kapitän des VfB Stuttgart und Neuzugang bei Borussie Dortmund, immerhin zugute halten, dass er das Schüren und Enttäuschen hoher Erwartungen an die eigene Integrität beim VfB nicht erfunden hat. Neben zahlreichen zeitlichen Ankündigungen von Aufsichtsrat und Vorstand, die selten genau so auch eintrafen, bleibt da vor allem Marketingvorstand Rouven Kasper in Erinnerung, der vergangenen Sommer vollmundig verkündete, dass man bei der Suche nach einem neuen Haupt- und Trikotsponsor nicht allein darauf achte, wer am meisten Geld zahle, sondern auch, ob alles “seriös und valide” sei, was immer das heißen mag. Alexander Wehrle schob nach, der Sponsor müsse zum VfB und seinen Werten passen. Aber das habe ich an anderer Stelle schon ausführlich aufgearbeitet.
Nun also Waldemar Anton, im vergangenen Sommer erst zum Nachfolger Wataru Endos als Kapitän bestimmt worden. Dass der im Januar seinen Vertrag verlängerte, sich zitieren ließ, beim VfB stimme für ihn vieles, man auf einer Wellenlänge sei und er sich auf die “weiteren Jahre im Trikot mit dem Brustring” freue und gleichzeitig seinen Berater eine Ausstiegsklausel in den neuen Vertrag diktieren ließ: geschenkt. So ist das Business. Wir kriegen seine in der vergangenen Saison herausragende Leistung und eine Ablöse, er das Gehalt und das Handgeld und sein Berater die Provision. Dass aus den “weiteren Jahren” am Ende nur sechs Monate wurden überraschte dann selbst die erfahrensten und abgestumpftesten VfB-Fans.
“Superglücklich”
Das könnte vielleicht daran liegen, dass er Anfang Mai im Interview mit 11Freunde-Redakteur Andreas Bock den Mund ähnlich voll nahm wie ein halbes Jahr zuvor der Marketing-Vorstand:
Warum sollte ich ständig wechseln, wenn ich mich in einer Stadt oder bei einem Verein wohlfühle? Noch dazu, seit ich Kinder habe. Ich spüre keine Rastlosigkeit. In Hannover und in Stuttgart hatte ich Leute um mich herum, die ich sehr mochte. Ich habe Vertrauen und Ehrlichkeit gespürt. Das war mir immer wichtiger als Statussymbole oder Geld.
Und als schon durch die Presse geisterte, dass er sich quasi nur noch zwischen dem Deutschen Meister und dem Tabellenfünften der abgelaufenen Saison entscheiden müsse, diktierte er der Presse kurz vor Beginn der Europameisterschaft folgendes in die Blöcke:
„Am Ende sind es immer Gerüchte. Es ist am Saisonende normal, dass irgendetwas kommt. Für mich ist das nicht entscheidend. Ich habe meinen Vertrag in Stuttgart und bin superglücklich.“
Selbst wenn man sich also an die Oberflächlichkeit der Branche und die geringe Halbwertszeit des üblichen verbalen oder auch tatsächlichen Wappenküssens gewohnt hatte, konnte man als VfB-Fan gar nicht anders, als davon auszugehen, dass der Kapitän des VfB den nachvollziehbaren Verlockungen wirtschaftlich und sportlich potenterer Vereine widerstanden hatte und gewillt war, seiner ersten guten Saison im Brustring eine weitere folgen zu lassen.
Denkste.
Selbstvermarktung als treue Seele
Und nachdem er auf seinem Instagram-Kanal die Kommentarfunktion deaktiverte und versuchte, beim EM-Aus am Freitag die Pfiffe bei seiner Einwechslung so gut wie möglich zu ignorieren, konnte er sich nicht einmal bei seiner Verabschiedung dazu durchringen, sich mit irgendeiner Art der Erklärung für sein widersprüchliches Verhalten zitieren zu lassen. Der Wechsel falle ihm nicht leicht, danke für alles und alles Gute für die Zukunft. Offener ist er da schon gegenüber seinem neuen Arbeitgeber: “Ich hatte ursprünglich nicht vor, den Verein zu wechseln – aber dann kam Borussia Dortmund.”, wird er auf der Webseite des BVB zitiert.
Es ist immer wieder erstaunlich, wie schlecht die Fußballbranche sich teilweise kommunikativ präsentiert — und sich dann über emotionale Reaktionen jener wundert, für die das Spiel mit Emotionen eben nicht nur ein Geschäft ist, sondern wirkliche Emotion. Im Grunde hat das auch nichts mit Kommunikation oder gar Public Relations im eigentlichen Sinne zu tun: Es ist nichts anderes als Selbstvermarktung und genauso fühlt es sich als Fan auch an. Egal ob Gregor Kobel, Sasa Kalajdzic, Wataru Endo oder Serhou Guirassy: Bei allen wussten wir, dass der VfB irgendwann im sportlichen und/oder finanziellen Sinne zu klein sein würde. Ebenso bei Waldemar Anton, sollte er seine Entwicklung so fortsetzen. Nur machten diese Spieler auch nie einen Hehl daraus, dass ein Wechsel in der jeweils kommenden Transferperiode für sie eine realistische Option sein würde.
Ehrlichkeit ist keine Zumutung
Gerade der wahrscheinlich in dieser Woche ebenfalls nach Dortmund wechselnde Serhou Guirassy ist dafür ein Paradebeispiel. Mehrmals hat er sich in den zurückliegenden Jahren für den VfB und gegen einen Wechsel entschieden. Er hat sich aber auch mit Treueschwüren zurückgehalten und wir als Fans wussten, woran wir waren. Der Wechsel von Waldemar Anton an sich ist kein Problem, dazu haben wir schon zu viele Spieler kommen und gehen sehen. Aber wer das Spiel mit den Emotionen spielt und sich als treue Seele vermarktet — oder als Verein mit Werten — der schafft sich damit in einem emotionsgetrieben Umfeld eine massive Fallhöhe und wird sich als Konsequenz Anfang September ein paar Ohrstöpsel mit nach Stuttgart nehmen müssen.
Was mich an dieser Art der Kommunikation eigentlich am meisten stört, ist die Respektlosigkeit gegenüber den Fans. Im Glauben, man müsse nach den Regeln der Glitzerwelt Fußball alles stromlinienförmig bürsten, werden selbst die größten Widersprüche einfach übergangen und das Spiel der Emotionen weitergespielt. Als könne man den Fans die Wahrheit, dass die meisten Fußballprofis ihre Karriereentscheidungen nach Erfolgswahrscheinlichkeiten und den Verdienstmöglichkeiten treffen, nicht zumuten. Dabei durchschauen Anhänger die vermeintlichen wirtschaftlichen Notwendigkeiten im Sponsoring oder der Karriereplanung durchaus. Das offen auszusprechen passt eben nur nicht ins verzerrte Marketing-Selbstbild, welches viele Akteure der Branche von sich selber zu zeichnen versuchen.
Titelbild: © Lars Baron/Getty Images
Wie immer — im positiven Sinne — emotionslos sehr treffend analysiert und auf den Punkt gebracht.
Habe immer sehr viel von Waldi gehalten!Das was er abgezogen hat ist das letzte! EIN Stock im Arsch ist kein Rückrad!! Wurum geht es? 🤑🤑CL könnte er auch mit dem VfB spielen und umso mehr die Mannschaft zusammen bleibt ist die Chance gross das nächste Saison auch zu schaffen!! Aber🤑🤑
Danke, Lennart! 100% auf den Punkt gebracht.
@Jensi: Worum es geht? Er darf jetzt (vielleicht) vor der legendären gelben Wand spielen, von der man nichts hört, wenn wir da sind 😅. Darauf freut er sich halt, das nicht hellste Kerzle. Wie schön, dass wir ihn auch nochmal gebührend verabschieden im September. Ist dann ja auch in seinem Sinn 🙃