In München startet der VfB am Samstagabend in vier intensive Wochen vor der nächsten Länderspielpause und steht dabei vor ganz anderen Herausforderungen als zuletzt.
Ich muss sagen: Mich nervt das Unentschieden gegen Hoffenheim immer noch. Nicht der späte Punktgewinn oder die Anzahl von neun Punkten aus sechs Spielen, sondern einfach die Tatsache, dass wir anders als gegen Prag gegen einen starken Gegner oder in Wolfsburg gegen einen schwachen Schiedsrichter, hier wirklich Punkte liegen gelassen haben gegen eine Mannschaft, die sich einen individuellen Fehler zunutze machte und danach mit ihrem hauruckartig zusammengestellten Kader und einem Trainer kurz vor der Entlassung versuchte, diese Führung über die Zeit zu bringen. Und das wäre ihnen fast sogar ohne ein Tor des einzigen Spielers gelungen, vor dem ich wirklich Respekt habe, nämlich Andrej Kramaric.
Aber es bringt aktuell — und vielleicht auch generell — nichts, sich mit der Vergangenheit aufzuhalten. Die Schlagzahl beim VfB steigt in dieser Saison massiv an. Seit dem Spiel gegen die Badenser am Sonntagabend vorvergangener Woche hat der Verein mit dem Brustring mit sechs deutschen Nationalspielern in einem DFB-Kader, von denen zwei für alle deutschen Tore in den beiden Länderspielen verantwortlich waren, neue Geschichten geschrieben. Abgesehen von Chris Führich, dürften die meisten Nationalspieler mit viel Selbstvertrauen, einem guten Rhythmus aber auch ohne wirkliche Pause nach Stuttgart zurückgekehrt sein. Selbstvertrauen und Spielpraxis werden sie auch für die anstehenden Wochen brauchen, für schwere Beine hat man an der Mercedesstraße im Sommer den Kader entsprechend in der Breite verstärkt.
Samstag München, Dienstag Turin, Samstag Kiel, Dienstag Kaiserslautern, Freitag Leverkusen, Mittwoch Bergamo, Sonntag Frankfurt. So lautet das Programm der nächsten Wochen. Da bleibt zum Einen wenig Zeit zum Verschnaufen, aber auch wenig Zeit zur emotionalen Verarbeitung der Ergebnisse. In jeglicher Hinsicht. Das wird nicht nur für die Mannschaft eine Herausforderung, sondern auch für uns: Bevor man das immer wichtige Spiel bei den Bayern aus dem System hat, steht man schon in Turin im Gästeblock oder sitzt vor dem Fernseher und schon muss man sich wieder mit vermutlich tiefstehenden Kielern beschäftigen. Wie viele Erfolge in diesen sieben Spielen zu feiern sein werden, ist noch nicht absehbar. Wir sollten aber bei allem Fokus aufs Sportliche nicht vergessen, diese Situation auch ein wenig zu genießen. Wir messen uns mit dem dem deutschen Rekordmeister, dem deutschen Meister, dem italienischen Rekordmeister, dem Europa-League-Sieger und einer der derzeit heißesten Mannschaften der Bundesliga — und wir brauchen uns vor niemandem zu verstecken.
Denn das ging vielleicht in der leichten Enttäuschung über drei verpasste Siege binnen einer Woche etwas unter. Der VfB mag die letzte Saison nicht wiederholen können — ich habe mir heute zufällig nochmal die ersten beiden Heimspiele der vergangenen Saison auf YouTube angeschaut und gerade der Spielaufbau von Anton und Ito sowie die Torjägerqualitäten von Guirassy, die man in diesen Spielen sieht, sind schwer auf Anhieb zu kompensieren — aber diese Mannschaft und dieser Trainer werden auch in dieser Saison eine gute Rolle spielen. Der Unterschied ist, dass wir aktuell etwas mehr Anlauf brauchen, um uns auf die neue Situation einzustellen: Tiefstehende Gegner, die anders als in der letzten Saison den Bus vor dem eigenen Tor unter gar keinen Umständen umparken, weil sie im Zweifel auch mit einem Unentschieden zufrieden sind. Die Umstellung von einem Zielspieler im Sturm auf ein Zusammenspiel mehrerer Offensivakteure mit unterschiedlichen Profilen. Zumindest aktuell ein Spielaufbau, der nicht unbedingt bereits aus der Innenverteidigung heraus Räume eröffnet.
Nichtsdestrotrotz haben Ermedin Demirovic, Deniz Undav und Enzo Millot in den ersten sechs Saisonspielen gemeinsam bereits zwölf Tore erzielt. Auf diese Zahl kommen sonst in der Bundesliga nur Harry Kane, Michael Olise und Jamal Musiala, die beim kommenden Gegner auf dem Platz stehen. Defensiv ließ die Mannschaft in denen vergangenen vier Spielen nur jeweils maximal vier Schüsse aufs Tor zu. Von denen natürlich unterm Strich zu viele drin waren, aber auch das ist in dieser Saison anders: Es fällt uns nicht mehr derart viel in den Schoß, wie es in der Vergangenheit den Anschein hatte. Umso wichtiger ist es, in den kommenden Partien die nötige Schärfe in den Aktionen und die Reaktionsschnelligkeit wieder zu finden, die uns in der Vergangenheit ausgezeichnet hat. Egal ob der Gegner tief steht oder unser Tor belagert.
Personalsituation
Chris Führich fällt ärgerlicherweise nach einem Muskelfaserriss bei seiner späten Einwechslung gegen Bosnien-Herzegowina aus, Justin Diehl und Leonidas Stergiou sind für den Spieltagskader noch nicht fit genug und auf Daxo Zagadou müssen wir erneut eine ganze Weile verzichten, auch Luca Raimund fällt noch aus. Ob Niko Nartey oder Ameen Al-Dakhil mangels Spielpraxis mit nach München genommen werden, ist noch offen.
Mögliche Startaufstellung
Im Grunde ist Führich — neben Zagadou — der einzig namhafte Ausfall, auch wenn er zuletzt noch nicht an die Vizemeister-Leistungen anknüpfen konnte. Mit der obigen Aufstellung steht trotzdem die derzeit stärkste VfB-Elf auf dem Platz, auch wenn Sebastian Hoeneß mit Sicherheit zwischen den beiden kommenden Auswärtsspielen etwas rotieren wird, den im zweiten Länderspiel angeschlagenen Undav vielleicht auf der Bank lässt und dafür Rieder startet — schwer abzusehen.
Statistik
Es ist der 111., ja, Südgipfel in der Bundesliga, den letzten konnten wir im Mai im Neckarstadion für uns entscheiden — wie eigentlich fast immer, wenn wir eine herausragende Saison spielen. In München sieht es abgesehen von dem Freak-Spiel unter Korkut eher düster aus. Da muss man schon in den März 2010 und zum Kopfball von Marica zurückgehen. Der FCB spielt selbstredend auch unter dem neuen Trainer Vincent Kompany in dieser Saison wieder oben mit, dazu sind Transferbudget und Qualität einfach zu groß. Immerhin konnten sie wie der VfB keines der letzten drei Pflichtspiele gewinnen, spielten gegen Leverkusen und Frankfurt unentschieden und verloren gegen Aston Villa.
Dennoch führen sie gemeinsam mit Red Bull die Tabelle an, haben ihren Torhunger auch diese Saison schon ausgelebt, haben die meisten Treffer erzielt und die beste Tordifferenz und stehen auch nach expected points bei Understat.com auf Platz 1. Direkt gefolgt übrigens vom VfB. Sie lassen bisher auch die wenigsten Schüsse auf ihr Tor zu, nämlich ganze zwölf in sechs Spielen — davon landeten aber sieben im Tor, der schlechteste Wert der Liga. Auch bei der Effektivität der Schüsse, nämlich des Verhältnisses von Toren zu Schüssen aufs Tor liegt der VfB vor den Münchnern. Interessanterweise findet man die Münchner in dieser Saison nicht nur bei Ballbesitz und Passquote auf den vorderen Plätzen, sondern auch bei den Laufstatistiken.
Fazit
Ob der VfB den Coup vom drittletzten Spieltag der vergangenen Saison wiederholen kann? Schwierig, vor allem auswärts in München. Klar ist aber auch, dass die Münchner, wie übrigens beim letzten Spiel, defensiv nicht unbezwingbar sind und Vincent Kompany zum einen nicht wie Thomas Tuchel dem VfB den Ball wird überlassen wollen und dass sich Sebastian Hoeneß nicht noch einmal so auscoachen lassen wird. Es stehen wie schon angesprochen anstrengende englische Wochen an. Egal ob in Turin oder in München: Der VfB darf nur wenig liegen lassen , wenn er die Punkte mitnehmen will. Leichtsinnsfehler werden hier gleich doppelt bestraft. Wenn wir das in den Griff kriegen, werden die kommenden Wochen nicht nur spannend, sondern auch erfolgreich.
Titelbild: © Sebastian Widmann/Getty Images