Nach dem souveränen Auftritt in Deventer setzt der VfB seine Serie dusseliger Gegentore beim Auswärtsspiel in Hamburg fort. Aber auch ohne das Blackout in letzter Minute verpuffte die Einwechslung der Stammspieler. Haben wir uns verzockt?
Man muss ja mittlerweile festhalten, dass manch ein Gegner im Europapokal weniger Gegenwehr leistet als die meisten Bundesligisten. Celta de Vigo und die Go Ahead Eagles Deventer agierten ungefähr auf dem Leistungsniveau der Abstiegskandidaten aus Mainz und Wolfsburg. Insofern war das 4:0 gegen wehr- und niveaulose Adler zwar wichtig für den Europapokal, für das Auswärtsspiel bei Aufsteiger HSV bot es jedoch kein Muster. Denn die Rothosen agierten als klassischer Aufsteiger mit konzentrierter Defensive und viel Glauben und Hoffnung in der Offensive — anders als Deventer, die sich für eine Pressingmannschaft hielten, aber offen waren wie ein zum Stadion passendes Scheunentor. Es waren letztlich der Glauben und die Hoffnung, die der VfB den Gastgebern zum ersten Advent schenkte, die das Spiel für sich entschieden. Denn Rotation hin oder her: Das 1:0 durch Leo Glatzel nach einem so beeindruckend wie vermeidbaren Solo des 18jährigen Rössing-Lelesiit sowie das späte Kontertor von Fabio Vieira waren die beiden einzigen Schüsse der Hamburger, die aufs Tor gingen. Diese überhaupt zuzulassen, war nicht so clever, egal, wer da auf dem Feld stand.
Denn bei der frühen Führung der Hamburger gelang es nach einem geblockten Schuss von Führich, weder diesem, noch dem an diesem Tag sehr schwachen Chema und auch nicht Ramon Hendriks, das Hamburger Talent zu stoppen — und das obwohl er zwischenzeitlich zu Fall kam. Es wirkte, als wartete jeder darauf, dass der nächste Mitspieler schon in der Lage sein würde, dessen Lauf zu stoppen. Da lag aber der Ball schon vor den Füßen von Glatzel, der den bemerkenswert passiven Nübel mit einem Schuss ins rechte untere Eck überwunden hätte. In der Dreierkette spielte mit Al-Dakhil übrigens nur ein Rotationsspieler und der hatte am Sonntagnachmittag die beste Zweikampfquote aller Feldspieler. Noch wilder wurde es in der allerletzten Minute: Regisseur Angelo Stiller, zu diesem Zeitpunkt schon eine halbe Stunde auf dem Platz und Torjäger Deniz Undav, bereits in der ersten Halbzeit eingewechselt, heckten unnötigerweise eine Freistoß-Variante aus, die weder abgesprochen war, noch funktionierte. Noch eklatanter aber die fehlende Konterabsicherung: Maxi Mittelstädt stand auf halber Höhe zwischen Strafraum und Mittelkreis — das wars. Lazar Jovanovic nahm sich mit einem Lauf in den Hamburger Strafraum selber raus, Angelo Stiller machte mit einem ungestümen Tackling die linke Seite auf, über die dann letzten Endes der entscheidende Angriff lief und auch Mittelstädts verzweifelter Versuch, Baldé wegzugrätschen scheiterte. Ein Blick in die Bundesliga-Daten hätte verraten, dass Vorlagengeber Baldé zwar im Ligavergleich kein Spitzensprinter ist, aber der schnellste Spieler der Hamburger — aber die hat man natürlich in so einer Situation nicht zur Hand.
Nicht genug Energie
Natürlich kann man kritisieren, dass mit Stenzel ein Spieler auf der linken Außenbahn spielte, der für diese Position eigentlich nicht gemacht ist und dass auch Spieler wie Vagnoman und Nartey vielleicht nicht die Spielroutine haben, um der Mannschaft die entscheidenden Impulse zu geben. Und auch die Entscheidung, bis zur Auswechslung von Chris Führich vorne mit drei Halbstürmern und ohne Mittelstürmer zu spielen, ging nicht wirklich auf. Nur: Sebastian Hoeneß hatte genug Zeit, diese Entscheidungen wie gegen Feyenoord zu korrigieren und der Mannschaft von einer mit vier deutschen Nationalspielern besetzten Bank die entscheidenden Impulse zu geben. Nur leider hatten wir uns zu diesem Zeitpunkt schon unnötig in Rückstand gebracht und als quasi wieder die Mannschaft vom Donnerstag auf dem Feld stand, hatte sich Hamburg bereits mit dem Punkt arrangiert — unwissend, dass es am Ende dank unseres Erfindungsreichtums drei werden würden. Wären die Brustringträger mit einem 0:0 in die Pause gegangen, es hätten sich vermutlich ein paar mehr Räume auf Hamburger Seite geöffnet — wobei der Anschlusstreffer von Deniz Undav, der siebte im achten Liga-Spiel, so früh kam, dass man schon von einem Unentschieden zur Pause reden kann.
So oder so brachte die VfB-Elf nicht die nötige Energie auf den Platz, um das dritte von vier Auswärtsspielen erfolgreich zu gestalten. Und wie wir immer wieder feststellen müssen, reicht das in dieser Liga einfach nicht, um sich ganz oben festzubeißen. Dennoch, auch diese Startelf hätte das Spiel nicht verlieren müssen, nicht verlieren dürfen. Dass Hoeneß angesichts des Pokalspiels am Mittwoch mit möglicher Verlängerung (hoffentlich nicht!) und des Heimspiels gegen die Bayern am Samstag, dass man schon vom Selbstverständnis her nicht abschenken möchte und sollte, dieses Spiel für eine größere Rotation nutzen würde, war absehbar. Das Spiel in Deventer war angesichts von nur acht Spielen in diesem Wettbewerb zu wichtig, in Bochum sollte man den Sack früh zumachen, gegen die Bayern will und muss man vor eigenem Publikum mit voller Kapelle antreten. Es war vielleicht eher die Einstellung der Mannschaft auf den Gegner als die Aufstellung, die man Hoeneß ankreiden kann, denn außer einem gefühligen “Die Mannschaft ist nicht eingespielt” gibt es nur wenig handfeste Gründe, warum diese 16 eingesetzten Spieler die Partie beim Aufsteiger nicht für sich entscheiden konnten. Und vor allem war es die fehlende Cleverness, beziehungsweise die fehlende Unausgewogenheit zwischen Attacke und Absicherung. Nachdem wir eine ganze Weile lang hinten sicher standen und knapp gewannen, fressen wir in den letzten Wochen zu viele Gegentore — sieben in drei Ligaspielen — und zu viele, pardon, strunzdumme.
In Bochum hat die Mannschaft die Gelegenheit, das Spiel in Hamburg wieder vergessen zu machen — denn ein frühes Gegentor wäre auch hier Gift. Es ist die fehlende Cleverness, die uns momentan noch von ganz oben trennt. Der späte Schock in Hamburg wird der Mannschaft aber hoffentlich eine Lehre sein.
Zum Weiterlesen: Der Vertikalpass stellt fest: “Mit Arroganz jedoch hatte die Aufstellung nichts zu tun. Es fehlte Dynamik und Energie und es spricht nichts dagegen, dass dies die Startelf auf den Platz bringt. Nicht zu vergessen: Bei Abpfiff standen die Unterschiedspieler der letzten Begegnungen auf dem Platz.”
Titelbild: © Stuart Franklin/Getty Images