In dieser Woche hat der VfB mit Ameen Al-Dakhil den lange erwarteten rechtsfüßigen Innenverteidiger verpflichtet. Die Meinung zu ihm gehen jedoch — auch wegen der langen Verletzungszeit — auseinander. Wir haben uns in Burnley und Belgien nach ihm erkundigt und geben Euch eine Einschätzung.
Eine Vielzahl Innenverteidiger schwirrte in der Gerüchteküche um den VfB, denn schließlich wissen wir seit kurz vor der Europameisterschaft, dass unser ehemaliger Kapitän von Bord gegangen ist und wir auf der rechten Seite der Innenverteidigung nicht nur mit Anrie Chase und Anthony Rouault in die Saison gehen wollen. Es wurde am Ende nicht Loïc Badé oder Omar Solet, die viele eine Zeitlang auf dem Zettel hatten, sondern ein 22jähriger belgischer Nationalspieler, der in der vergangenen Saison mit dem Burnley FC aus der Premier League abgestiegen ist — übrigens unter dem neuen Bayern-Trainer. Sein Name ist Ameen Al-Dakhil und wird vermutlich zunächst den Wenigsten etwas gesagt haben, vor allem weil eine Muskelverletzung im Februar ihm eine mögliche Teilnahme an der Europameisterschaft verbaute und dafür sorgt, dass er auch uns erst frühestens in vier bis sechs Wochen zur Verfügung steht. Aber dazu später mehr. Zunächst wollen wir Euch unseren Neuzugang vorstellen und haben dafür wieder mit verschiedenen Experten gesprochen. Über Al-Dakhils Profi-Debüt sprachen wir mit Bob Faesen, der für die belgische Tageszeitung Het Laatste Nieuws über Standard de Liége (zu deutsch Lüttich) berichtet. Nils Christiaens arbeitet als Journalist und Moderator bei TV Limburg und DAZN in Belgien und informierte uns 2019 bereits über Wataru Endos Zeit beim VV Sint-Truidense, für die auch Al-Dakhil zwischenzeitlich spielte. Schließlich sprachen wir mit Matt vom Burnley-Podcast No Nay Never über die letzte Station unseres Neuzugangs.
Ameen Al-Dakhil wurde am 6. März 2002 in Baghdad und floh fünf Jahre später mit seinen Eltern vor dem ein Jahr nach seiner Geburt beginnenden zweiten Irak-Krieg nach Belgien. In der Jugend spielte er für kleinere Vereine in der Region zwischen Sint-Truiden und Brüssel bevor er 2013 zum größeren RSC Anderlecht weiterzog und mit 15 Jahren 2017 bei Standard de Liége landete. Bob erklärt uns, dass es zwischen den belgischen Topclubs viele Wechsel von Jugendspielern gebe. Bei Standard galt Al-Dakhil nicht als überragendes Talent, entwickelte sich aber vom Mittelfeldspieler zum Verteidiger weiter, nachdem er, wie uns Nils erklärt, in der Jugend auch noch ein durchaus erfolgreicher Stürmer war. Im Juli 2021 debütierte Al-Dakhil im Heimspiel gegen KRC Genk in der höchsten belgischen Liga. Bob zufolge sei Standard aufgrund seiner finanziellen Situation auf die Entwicklung junger Spieler angewiesen, Trainer Mbaye Leye gab ihm die Chance, sich zu beweisen. Al-Dakhil habe einige gute Spiele gehabt, handelte sich aber am achten Spieltag gegen Anderlecht auch eine unnötige rote Karte ein. Immerhin spielte Al-Dakhil zu Beginn dieser Saison in neun von zwölf Spielen über die volle Distanz. Nach drei Niederlagen in Folge wurde sein Förderer Leye jedoch Anfang Oktober entlassen, dessen Nachfolger Luka Elsner setzte ihn danach noch zwei Mal ein, bevor er ihn bis Weihnachten komplett aus dem Kader strich und ihn bis Ende Januar nur noch zwei Mal einsetzte. Bob zufolge war man bei Standard grundsätzlich skeptisch, was seine Entwicklung anging. Dass er im Winter dann zu Sint-Truiden wechselte hatte allerdings nicht unbedingt nur damit zu tun.
Ein Wechsel als Kompensation
Bob und Nils erzählen uns beide die Geschichte, warum Al-Dakhil nur ein halbes Jahr nach seinem Debüt von einem belgischen Mittelfeld-Club zum anderen wechselte: Im Januar 2016 verpflichtete Standard den Stürmer Edmílson Junior — geboren in Liége — von Sint-Truiden, die dabei eine Weiterverkaufsklausel aushandelten. Zweieinhalb Jahre später verkaufte Standard den Spieler weiter an den katarischen Verein Al-Duhail SC — jedoch zu einer Ablösesumme, die so niedrig oder falsch war, dass VV Sint-Truidense kaum Geld sah. Pikant dabei war, dass Standard kurz darauf einen Sponsor aus dem Emirat präsentierte. Sint-Truiden beschwerte sich bei der FIFA und Standard bekam eine Strafe von 1,3 Millionen Euro aufgebrummt. Angesichts der prekären Finanzlage in Liége einigten sich beide Vereine als Kompensation auf einen ablösefreien Wechsel eines Spielers von Standard zu VV — dieser Spieler war Ameen Al-Dakhil. Für Liége keine gute Entscheidung, schließlich wechselte der wenig später für viel Geld nach England. Nils erklärt uns, dass Al-Dakhil zu dieser Zeit in Zoutleeuw wohnte, etwa fünf Kilometer von Sint-Truiden entfernt, er also im gewohnten Umfeld blieb — zumal er als Jugendlicher schon für Vereine in der Region gespielt hatte. Für den Spieler war Sint-Truiden Nils zufolge eine gute Wahl, weil er dort seine Entwicklung auf einem ähnlichen Niveau fortsetzen konnte. Auch Bob kann den Wechsel nachvollziehen, auch weil Standard jungen Spielern kein gutes Umfeld für eine Entwicklung bot und bietet — großer Druck und schlechtes Management seien die Gründe.
In Sint-Truiden, so Nils, seien die Fans überrascht von diesem Transfer gewesen, weil Al-Dakhil vor der Winterpause schon sein Potenzial in Liége angedeutet habe. Nach drei Kurzeinsätzen spielte Al-Dakhil auch direkt die letzten sechs Saisonspiele komplett durch, der Verein beende die Saison auf Platz 9, fünf Plätze vor Standard. Nils unterstreicht, dass Al-Dakhil direkt eine wichtige Rolle bei Sint-Truiden übernommen haben und als wichtige Verpflichtung galt, der eigentlich zu gut für den Verein sei. Sein Trainer dort war übrigens Bernd Hollerbach, der große Stücke auf ihn hielt und meinte, als Bundesliga-Trainer würde er sofort versuchen, ihn zu verpflichten. In der Tat war Al-Dakhil zu diesem Zeitpunkt schon bei vielen Vereinen auf der Liste, weiß Nils. Unter diesen Umständen ist es wenig überraschend, dass Al-Dakhil in der nächsten Winter-Transferperiode erneut den Verein wechselte. Zuvor bestritt er 16 von 19 möglichen Spielen in der Startelf, sein letztes Spiel in der belgischen Liga war ein 1:1 im Januar 2023 bei seinem Jugendclub Standard. Danach wechselte er für rund fünf Millionen Euro zum Championship-Tabellenführer und späteren Aufsteiger Burnley FC und dessen Trainer Vincent Kompany. Für Nils war der Wechsel nach England nur folgerichtig für Al-Dakhil. Um seine Entwicklung, auch körperlich fortzusetzen habe er entweder zu einem belgischen Topteam oder eben in Ausland wechseln müssen. Kompany genießt in Belgien hohes Ansehen, zudem war er als Spieler selber Innenverteidiger, wie Al-Dakhil. Nach Nils Meinung einer der besten, die Belgien je hatte.
Rauf, runter und ins Lazarett
Kompany hatte im Sommer 2022 neben Darko Churlinov vom VfB eine Reihe belgischer Talente nach Burnley geholt, weswegen der Transfer von Al-Dakhil im Winter keine große Überraschung gewesen sei, erklärt Matt. Viele dieser jungen Spiele hätten als hochtalentiert gegolten, gleichzeitig ist die zweite englische Liga mit 46 Spielen und einem harten Kampf um die Fleischtöpfe der Premier League eine herausfordernde Liga. Al-Dakhil pendelte lange zwischen Tribüne und Bank, bevor Kompany nach dem feststehenden Aufstieg ihm und anderen Spielern der zweiten Reihe mehr Spielzeit verschaffte. Das war nicht unbedingt nach dem Geschmack der Fans, die gerne einen Punkterekord geholt hätten und zudem mit ansehen mussten, wie Burnleys Serie ungeschlagener Spiele gegen die Queens Park Rangers riss — da saß Al-Dakhil allerdings auf der Tribüne. Nachdem er viele belgische Jugend-Nationalmannschaften durchlaufen hatte, debütierte Al-Dakhil zudem in der Sommerpause beim 1:1 gegen Österreich in der EM-Qualifikation in der A‑Nationalmannschaft, nachdem der irakische Verband zu seiner Zeit in Sint-Truiden versucht hatte, ihn von einem Verbandswechsel zu überzeugen. Nils zufolge hält Nationaltrainer Domenico Tedesco große Stücke auf Al-Dakhil, der zum bislang letzten Mal beim 1:0 gegen Serbien im November vergangenen Jahres für die roten Teufel auflief und aktuell vier Länderspiele absolviert hat. In der Aufsstiegssaison habe Al-Dakhil sehr vielversprechend ausgesehen, so Matt und man war gespannt, wie er sich weiter entwickeln würde.
Burnley holte aus den ersten 10 Spielen nur ganze vier Punkte und stieg in diesem Jahr direkt wieder ab — genauso übrigens wie die Mitaufsteiger aus Luton und von Sheffield United. Die Lücke zwischen erster und zweiter Liga in England sei riesig und eigentlich nur mit sehr viel Geld zu überbrücken, erläutert Matt. Zudem sei die Premier League sehr unnachgiebig. Wer nicht genügend Punkte holt — so wie Burnley — würde schnell abgehängt. Die Championship sei da durchlässiger an der Spitze. Ab Anfang November kam Al-Dakhil dann kaum noch zum Einsatz und saß sogar nicht mal mehr auf der Bank. Matt zufolge, weil ihm die Physis für die Premier League noch fehlte, zudem setzte Kompany ihn auch positionsfremd ein, was seinem Selbstbewusstsein nicht unbedingt half. Matt bezeichnet ihn als guten Kaderspieler und Back-Up für die etatmäßigen Innenverteidiger. Das hätte wohl auch für die gerade begonnene Championship-Saison gegolten, weswegen der Wechsel zum VfB nachvollziehbar sei, zumal Burnley nach einer teuren, aber erfolglosen Saison Einnahmen generieren müsse. Im Februar dieses Jahres zog sich Al-Dakhil zu allem Überfluss eine schwerwiegende Muskelverletzung zu, die ihn für den Rest der Saison und die Europameisterschaft außer Gefecht setzte. Auch dem VfB wird er erst im Laufe des Herbstes zur Verfügung stehen, wie Sebastian Hoeneß auf der Pressekonferenz vor dem Mainz-Spiel bekannt gab. Dort ließ er auch durchblicken, dass sich der Wechsel und die Ablöse von angeblich rund 9 Millionen Euro für den VfB trotz der Verletzung lohne.
Alle drei Experten betonen auch Al-Dakhils Stärke im Spielaufbau und seine Ballsicherheit Da die Championship und die Bundesliga sich in der Intensität sehr ähnelten, traut Matt ihm zu auch in der Bundesliga dem Pressing-Druck zu widerstehen. Nils unterstreicht auch seine Geschwindigkeit und die Ruhe am Ball, mit der er auch schwierige Situationen spielerisch lösen könne. Den flachen Spielaufbau habe er bereits bei Standard, aber auch in der Jugend von Anderlecht gelernt. Schwächen sehen er und Bob noch in der Physis, daran hat sich wohl auch in England wenig geändert. Nichtsdestotrotz sieht er in ihm einen der zukünftigen Stamm-Innenverteidiger der belgischen Nationalmannschaft. Al-Dakhils Vergleichswerte zu anderen Innenverteidigern im letzten Jahr — von dem er nur die Hälfte auf dem Platz stand — unterstreichen seine Fähigkeiten im Passspiel und der Spieleröffnung.
Bob betont noch, dass er durch seine Fluchterfahrung in Arabisch, Englisch, Französisch und Holländisch fließend sei und sich auch sprachlich wohl schnell in Stuttgart zurechtfinde. Wichtig sei, so Nils, dass er gesund bleibe.
Kurzfristig Rasierklinge
Und hier liegt für viele in der Bewertung des Transfers der Knackpunkt: Warum verpflichtet Fabian Wohlgemuth als Ersatz für Waldemar Anton einen 22jährigen ohne viel Spielpraxis nach einer langen Verletzung? Nun, offenbar traut man Anthony Rouault für die nächsten Wochen doch mehr zu als gedacht — gleichzeitig war Al-Dakhil in dem Regal, in dem man sich nach den Ausgaben für den Sturm noch bedienen konnte, trotz Verletzung vermutlich die beste Alternative. Ich glaube weiterhin nicht, dass die gleichzeitig verlaufenden Verhandlungen mit Touré und Atalanta hier der limitierende Faktor waren, sondern vielmehr das Budget. Sebastian Hoeneß muss für die Innenverteidigung auf jeden Fall für die nächsten Wochen eine gute Lösung finden, ansonsten droht auf dieser Position gerade in der Champions League ein Ritt auf der Rasierklinge. Damit möchte ich nicht Rouault schlechtreden, die ganze Mannschaft steht vor großen Herausforderungen. Gegen die schwächeren Gegner der Ligaphase benötigen wir dennoch eine stabile, eingespielte Innenverteidigung. Diese wiederum kann Al-Dakhil mittelfristig durchaus bilden. Von der Physis mal abgesehen scheint er für das Hoeneß-System wie geschaffen und ist gleichzeitig ein typischer Wohlgemuth-Transfer: Nicht ganz unerfahren, aber mit viel Entwicklungspotenzial, auch für den Trainer. Auch für die Bundesliga und den Europapokal wird Al-Dakhil noch körperlich zulegen müssen. Sollte er dann in eine intakte Mannschaft kommen, könnte das in der Rückrunde durchaus spannend werden.
Mit diesem Transfer scheinen die Aktivitäten für diesen Sommer abgeschlossen — es sei denn, am heutigen Freitag passiert noch etwas wildes. Alles in allem bin ich bislang, rein spielerisch, zufrieden. Der VfB hat viele Positionen quantitativ und teilweise auch qualitativ verstärkt, wenn auch in der Offensive ein leichtes Übergewicht herrscht. Ich will hier nicht auf jeden Spieler einzeln eingehen, das habe ich ja schon in den Artikeln gemacht. Entscheidend ist jetzt, wie schnell Hoeneß die Mannschaft angesichts vieler Länderspielpausen und englischen Wochen zu einer Einheit zusammenfügen und weiterentwickeln kann.
Titelbild: © Lewis Storey/Getty Images