Im zweiten Champions League-Heimspie gegen Atalanta endet sie Serie ungeschlagener Spiele im Neckarstadion. Dabei macht die Mannschaft eigentlich sehr viel gut und dabei nur wenige Fehler — die rächen sich dafür umso mehr.
Endlich mal wieder einen Fuß auf den Boden gekriegt. Nachdem Bayer Leverkusen uns am vergangenen Freitag mit ihrem Angriffspressing am ausgestreckten Arm verhungern ließ und die Mannschaft des VfB erst gegen Ende des Spiels ein wenig Land sah, zeigte sie eine halbe Woche später wieder, wozu sie spielerisch in der Lage ist — zumindest in Ansätzen. Defensiv musste sie sich dabei nicht alleine auf ihren Torhüter Alex Nübel und die Torgestänge verlassen, sondern verteidigte viele Angriffe der italienischen Gäste weg — aber nicht alle. Die Heimniederlage gegen Bergamo ist das beste Beispiel dafür, was passiert, wenn Du gegen die Elite des europäischen Fußballs nicht am absoluten Limit agierst, deine Chancen nicht nutzt und die eine oder ander Situation nicht in deine Richtung läuft: Du wirst gnadenlos bestraft. Denn in vielen Statistiken und auch über weite Strecken des Spiels war der VfB dem amtierenden Europa League-Sieger ebenbürtig. Bis zwei schlecht verteidigte Angriffe das Spiel entschieden.
Dabei geht es gar nicht darum, mit dem Finger auf Spieler wie Anthony Rouault mit seinem Luftloch vor dem 0:2 oder Chris Führich und Maxi Mittelstädt mit ihrem passiven Abwehrverhalten vor dem 0:1 zu zeigen. Denn in vielen anderen Situationen löste die Mannschaft die Defensivaufgaben sehr gut im Verbund und ließ sich auch nicht durch ziellos nach vorne geschlagene lange Bälle hinten einschnüren. Im Gegenteil: Sebastian Hoeneß und seine Spieler hatten früh erkannt, dass man Atalanta durch eine konzentrierte Abwehr und schnelles Umschaltspiel durchaus ins Wanken bringen kann. Die Abwehrarbeit funktionierte, das Umschalten auch, nur die daraus resultierenden Angriffe wurden nicht konsequent genug ausgespielt. So nur wenige Minuten nach dem Rückstand, als der erneut starke Führich sich durch den gegnerischen Strafraum dribbelte, aber den Pass nicht zu Demirovic bringen konnte. Oder als der als Zielspieler sehr aktive El Bilal einen langen Ball zu kurz ablegte und damit einen Sololauf von Enzo Millot auf das Gehäuse der Bergamaschen verhinderte. Oder Jarzinho Malanga, der sein Debüt beinahe mit einem sehenswerten Tor gekrönt hätte.
Der schwerste Gegner?
Einem Stuttgarter Torerfolg stand leider auch eine ihrerseits sehr gute Defensive Bergamos entgegen. Während Juventus vor dem Aufeinandertreffen mit dem VfB kaum einen Gegentreffer kassiert hatte und sich nach der Niederlage vor allem bei seinem Torhüter bedanken konnte, dass die Niederlage nicht höher ausfiel, musste Atalanta in der Liga vor diesem Spiel schon 14 Gegentore hinnehmen. Keine Ahnung, was das über die Serie A aussagt, in Königsklasse bleiben die Nordialiener jedenfalls weiter ohne Gegentreffer. Und man ist versucht zu sagen, dass dies vielleicht sogar der schwerste Gegner in dieser neuen Ligaphase für den VfB war. Sicherlich: Real und Juventus haben einen großen Namen und auf dem Papier auch einen exquisiten Kader, sie hatten jedoch beide mit dem VfB erheblich größere Probleme — nicht umsonst wurden Thibaut Courtois und Mattia Perin jeweils zum man of the match gekürt. Das soll die Niederlage nicht schönreden, aber sie einordnen: Der VfB hat eine überragende Saison gespielt und sich als Vizemeister für die Champions League qualifiziert. Dass wir dort nicht am oberen Ende der Nahrungskette stehen, sollte klar sein, wir sind allerdings auch kein Kanonenfutter.
Nichtsdestrotz bleibt die sportliche Situation natürlich herausfordernd. Mit Eintracht Frankfurt erwarten wir am Sonntag im Neckarstadion direkt den nächsten Gegner mit Rückenwind — womöglich ohne dass wir dabei auf Deniz Undav zurückgreifen können, der gegen Bergamo angeschlagen ausgewechselt werden musste. Erfreulicherweise gelingt es der Mannschaft aktuell ganz passabel, auf diese Ausfälle zu reagieren. Chris Führich kommt rechtzeitig wieder in Form und ersetzt Leweling und Anrie Chase vertrat am Mittwochabend Jeff Chabot als würde er schon jahrelang auf diesem Niveau spielen — und zeigte damit eine klare Leistungssteigerung gegenüber dem Dienstag. Nach zwei torlosen Spielen gegen zugegebenermaßen starke Defensivreihen wäre es allerdings schön, wenn die Offensive am Sonntag wieder ins Laufen käme. Hier müssen Enzo Millot, Chris Führich, Ermedin Demirovic und El Bilal dann selber ein bisschen gnadenloser werden.
Zum Weiterlesen: Der Vertikalpass sieht noch einen weiten Weg bis zum Himmel, wo La Dea (die Göttin) Atalanta thront.
Titelbild: © Alex Grimm/Getty Images
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