Als wir Mainz den kleinen Finger reichten und dabei fast den Kopf verloren

Erneut gibt der VfB in der Bun­des­li­ga eine Füh­rung aus der Hand, sogar eine deut­li­che­re als in Frei­burg, und lässt am Ende Punk­te lie­gen. Die Mann­schaft fehlt aktu­ell noch die Sta­bi­li­tät — vor allem im Kopf.

Für den Gast aus Mainz war das 3:3 am Sams­tag­nach­mit­tag das zwöf­te Pflicht­spiel in Fol­ge ohne Nie­der­la­ge, wie der Twit­ter-Account des Ver­eins stolz ver­kün­de­te. Eine Serie, die auch der Mann­schaft des VfB bewusst gewe­sen sein muss, schließ­lich rech­ne­te Trai­ner Sebas­ti­an Hoe­neß auf der Pres­se­kon­fe­renz vor, dass die Main­zer in der “Hen­rik­sen-Tabel­le” — also seit Amts­an­tritt ihres neu­en Trai­ners — auf Platz 5 stün­den. Aber wie in der Vor­wo­che gelang es der Mann­schaft nicht, Kapi­tal aus die­sem Wis­sen zu schla­gen. Wäh­rend Juli­an Schus­ters Frei­bur­ger uns mit ihrem Pres­sing teil­wei­se über­roll­ten, nutz­te der Gäs­te­trai­ner erneut eine Trink­pau­se, um die sperr­an­gel­wei­ten Löcher in sei­ner Abwehr zu schlie­ßen und den VfB durch Nadel­sti­che aus dem Gleich­ge­wicht zu brin­gen. Dass die Elf­me­ter­ent­schei­dung des unter­ir­disch agie­ren­den Unpar­tei­ischen Timo Gerach ein Witz war, ändert nichts dar­an, dass sich die Main­zer schon davor dem Tor von Alex­an­der Nübel immer wei­ter annä­her­ten, unter ande­rem durch den völ­lig freih­ste­hen­den Bur­kardt in der 35. Minu­te.

Mit dem zu die­sem Zeit­punkt nicht unver­dien­ten, wenn auch in der Ent­ste­hung lach­haf­ten Anschluss­tref­fer hol­te der VfB die Gäs­te in ein Spiel zurück, in dem er sie in den ers­ten 20 Minu­ten domi­niert hat­te.  Dass die­se Sai­son nicht so lau­fen wird, wie die letz­te, ist klar. Den­noch gönnt sich die Mann­schaft in den ers­ten Par­tien der neu­en Sai­son immer mal wie­der Pha­sen der ver­gan­ge­nen Herr­lich­keit. Weder dem tol­len Angriff über den lin­ken Flü­gel, den Mil­lot mit sei­nem Tor ver­edel­te, noch dem stram­men Schuss von Jamie Lewe­ling konn­ten die Main­zer etwas ent­ge­gen­set­zen. Der VfB zau­ber­te sich nach vor­ne und bewies, dass er immer noch in der Lage ist, die Ster­ne vom Him­mel zu spie­len — nur lei­der sah die Mann­schaft irgend­wann nichts mehr als Ster­ne — im über­tra­ge­nen Sinn, ver­steht sich.

Wenig zugelassen, aber schlecht verteidigt

Dass Bo Hen­rik­sen sei­ner Mann­schaft mehr Wider­stands­fä­hig­keit bei­gebracht hat, merk­te man schon an Nadiem Ami­ris klein­geis­ti­ger Ges­te in Rich­tung Cannstat­ter Kur­ve nach dem ver­wan­del­ten Elf­me­ter, der sei­ner Mei­nung nach die rich­ti­ge Anwort auf das Gerau­ne nach sei­nen ver­zo­ge­nen Frei­stö­ßen war. Aber auch unab­hän­gig von sol­chem Geha­be kämpf­ten sich die Main­zer ins Spiel zurück und und pro­fi­tier­ten zwei Mal von haar­sträu­ben­den Nach­läs­sig­kei­ten im Mit­tel­feld und kas­ta­stro­pha­lem Stel­lungs­spiel im Fünf-Meter-Raum. Immer­hin: Die Mann­schaft ließ erheb­lich weni­ger zu als noch vor einer Woche in Frei­burg — eigent­lich nur die drei Tore und die erwähn­te Chan­ce von Bur­kardt.  Aber in der Zuord­nung funk­tio­nier­te plötz­lich nur noch sehr wenig, wäh­rend vor­ne bes­te Chan­cen leicht­fer­tig ver­ge­ben wur­den, mit Aus­nah­me des sehens­wer­ten Frei­stoß­to­res von Fabi­an Rie­der.

Die ers­ten 20 Minu­ten und auch die spä­te­ren Druck­pha­sen zei­gen, dass es der Mann­schaft nicht an spie­le­ri­scher Klas­se oder Rou­ti­ne man­gelt. Sehr wohl aber hat die Mann­schaft der­zeit ein Kopf­pro­blem und zwar in zwei­er­lei Hin­sicht. Zum einen ließ sie sich jetzt schon zum drit­ten von vier Spie­len aus dem Kon­zept brin­gen und schaff­te es erneut nicht, eine Füh­rung über die Zeit zu brin­gen. Gleich­zei­tig feh­len der Mann­schaft aktu­ell die Köp­fe, die mitt­ler­wei­le die Tri­kots von Borus­sia Dort­mund und Bay­ern Mün­chen tra­gen. Ich hat­te letz­te Woche geschrie­ben, dass die Nie­der­la­ge in Frei­burg eine Kopie der Nie­der­la­gen der letz­ten Sai­son war und ver­mut­lich auch mit den drei Spie­lern hät­te pas­sie­ren kön­nen. Gegen Mainz aber wur­de deut­lich, dass der Mann­schaft aktu­ell noch eine Füh­rungs­struk­tur fehlt. Demi­ro­vic saß bis kurz vor Ende auf der Bank, Undav ist noch nicht fit genug und Spie­ler wie Cha­b­ot — dem Cha­se in die­sem Spiel fast den Rang ablief — und Kara­zor sind zu sehr mit der eige­nen Leis­tung beschäf­tigt, als dass sie in der Lage wären, eine Mann­schaft zur Ruhe zu brin­gen. Statt­des­sen regiert die Hek­tik in sol­chen Situa­tio­nen.

Wichtig fürs Feeling

Dabei wäre ein Drei­er an die­sem Wochen­en­de fürs Fee­ling so wich­tig gewe­sen. Es hät­te viel­leicht auch klap­pen kön­nen, wenn die Mann­schaft denn ihre Chan­cen genutzt hät­te und wenn wir in der Bun­des­li­ga gute Schieds­rich­ter hät­ten. Schon der Elf­me­ter­pfiff war schwer nach­voll­zieh­bar. Dass aber eine akti­ve Hand­be­we­gung zum Ball eben­so wenig geahn­det wird wie das eige­ne Berüh­ren des Bal­les lässt mich ver­ständ­nis­los zurück. Dass ein VAR namens Gui­do Wink­mann hier nicht inter­ve­niert, über­rascht auch wenig. Letz­ten Endes müs­sen sich die Brust­ring­trä­ger natür­lich an die eige­ne Nase fas­sen. Aber gera­de in der aktu­el­len Fin­dungs­pha­se wäre es schon, man könn­te sich wenigs­tens auf  die Regel­aus­le­gung ver­las­sen, aber auch das scheint nicht der Fall zu sein.

Wenn die ins­ge­samt sie­ben  A- und drei U21-Natio­nal­spie­ler über­nächs­te Woche nach Stutt­gart zurück­keh­ren, erwar­ten sie mit den Aus­wärts­spie­len in Mön­chen­glad­bach und Madrid sowie dem Heim­spiel gegen Dort­mund die nächs­te Bro­cken. Nach­dem man die finan­zi­el­len Res­sour­cen, auch berech­tig­ter­wei­se, eher in den Angriff inves­tier­te, muss die Mann­schaft (wie­der) ler­nen, im Defen­siv­ver­bund kol­lek­tiv zu ver­tei­di­gen um Füh­run­gen auch über die Zeit zu brin­gen. Denn auch die Feh­ler der neu­en Innen­ver­tei­di­gung waren nur Glie­der einer Feh­ler­ket­te, die sich durch die gan­ze Mann­schaft zog. Dann soll­ten auch drei Tore wie­der für einen Sieg rei­chen.

Zum Wei­ter­le­sen: Stuttgart.International sieht die ges­tern besun­ge­ne Abwehr aus Gra­nit noch nicht. Der Ver­ti­kal­pass debat­tiert, ob man von einem “Fehl­start­le” spre­chen kann oder nicht.

Titel­bild: © Alex­an­der Hassenstein/Getty Images

1 Gedanke zu „Als wir Mainz den kleinen Finger reichten und dabei fast den Kopf verloren“

Schreibe einen Kommentar