Beim amtierenden Champions League-Sieger agiert der VfB lange auf Augenhöhe, muss sich letztlich aber doch der Qualität des Gegners geschlagen geben- Fans und Mannschaft aber machen die Rückkehr aufs internationale Parkett zu einem Feiertag.
Wir haben das natürlich die letzten Jahre viel zu häufig gehört: Gute Leistung, dem Gegner das Leben schwer gemacht, hätten wir doch nur unsere Chancen genutzt, aber auf der Leistung kann man aufbauen. Meist nach Spielen gegen deutsche Topteams. Gegen den Titelverteidiger der Champions League sind das aber nicht nur leere Worte, sondern fast so etwas wie ein Ritterschlag. Der VfB ist wieder da und macht die Partie im Estadio Santiago Bernabéu fast zu einem Heimspiel. Auf den Rängen im in feuriges Rot getauchten Gästeblock sowieso, aber auch überall sonst im Stadion, wie man beim umjubelten Ausgleichstreffer von Deniz Undav sehen konnte. Aber auch auf dem Platz zeigten die Brustringträger, was in ihnen steckt und scheiterten letztlich nicht nur am Gegner, sondern auch ein wenig an der eigenen Chancenverwertung.
Aber so ist das eben gegen Real Madrid. Wenn du nicht extrem effizient bist, fällt unweigerlich irgendwann das Tor für die Madrilenen. Kylian Mbappé nutzte die weiten Räume, die die Mannschaft mit dem Brustring direkt nach Wiederanpfiff bot, für den Führungstreffer und Toni Rüdiger entschied das Spiel mit seinem kraftvollen Kopfball im Grunde. Da war das späte 3:1 von Endrick schon fast eine Nebensache. Aber so wenig man einem Spieler, der den VfB vor neun Jahren verlassen hat — und das nicht gerade mit tosendem Applaus — den Jubel gegen seinen vorvorletzten Verein übelnehmen sollte, so wenig muss man sich als VfB-Fan auch über die Niederlage im ersten von acht Champions League-Partien grämen.
Nicht nur dabei gewesen
Denn der VfB trat nicht nur einfach bei den Königlichen in der Königsklasse an, um dabei gewesen zu sein, sondern zog — unter den gegebenen Möglichkeiten, die einem ein brandgefährlicher Gegner bot — sein gewohntes Spiel auf. Man kann gegen manche Dribblings der Real-Stars nichts unternehmen? Nun, genauso wenig hatte Real der VfB-Offensive mitunter entgegen zu setzen, mit Ausnahme des nicht umsonst zum Man of the Match gekürten Thibaut Courtois. Enzo Millot zeigte seine ganze immer mehr aufblühende Klasse am Ball. Ein Jamie Leweling, der vor drei Jahren noch für die SpVgg Fürth gegen den VfB traf, machte richtig Betrieb vorne und legte das erste Champions League-Tor im Brustring seit über 14 Jahren auf. Und selbst Anrie Chase, der für die Leistungen der letzten Wochen mit einer Einwechslung belohnt wurde, machte ein starkes Spiel.
Und dann ist da natürlich Deniz Undav. Lange sehr umtriebig aber vor dem Tor so glücklos wie seine Nebenleute, bevor er eine Hereingabe von Jamie Leweling gegen die Laufrichtung des Torhüters ins lange Eck tropfen ließ. Seine Leistung ermöglichte es Sebastian Hoeneß, den am Samstag zweifach erfolgreichen Ermedin Demirovic lange für das Spiel gegen Dortmund zu schonen, auch wenn er nach seiner Einwechslung keinen großen Einfluss mehr auf das Spiel hatte. Der VfB überstand sogar eine oscar-reife Schauspieleinlage von Antonio Rüdiger oder einen Ballverlust von Angelo Stiller im eigenen Strafraum durch engagiertes kollektives Verteidigen, dem manchmal sogar ein Entlastungsangriff folgte.
Nie weg gewesen
Auch das ist eine Floskel, aber wir können auf diese Mannschaft, auf diese Leistung, auf diesen Auftritt auf der größten europäischen Bühne stolz sein. Genau dieses Spiel — und natürlich die folgenden — haben wir uns nach der letzten Saison verdient, aber auch nach unzähligen enttäuschenden Spielen in der vergangenen Dekade. Der VfB ist wieder da und für die Älteren unter uns fühlt es sich an, als wäre er nie weggewesen. Die Magie, die mich am 1. Oktober 2003 an den Fernseher fesselte ist die gleiche wie 2007 im Nou Camp oder eben am Dienstagabend erneut vor dem Fernseher. Zuletzt war ich vermutlich vor der Relegation vor und während des Spiels derart aufgeregt, auch wenn in der ersten von acht Partien noch um verhältnismäßig wenig ging. Aber stellt Euch mal vor, wir hätten da gepunktet!
Eine wichtige, vielleicht die wichtigste Erkenntnis aus diesem Spiel: Der VfB ließ sich nicht wie in Leverkusen oder Freiburg am Ende oder zwischendrin komplett überrennen. Natürlich war das ein besonderer Anlass, zu dem die Sinne nochmal extra geschärft waren, aber es war eben auch eine viel höhere Qualität als in einem beliebigen Bundesliga-Spiel. Deniz Undav bedeutete seinen Teamkollegen bei seiner Auswechslung, wachsam und mit dem Kopf im Spiel zu bleiben. Das gelang seinen Kollegen größtenteils und lässt hoffen, dass die Mannschaft aus diesem Spiel nicht nur, wie Sebastian Hoeneß betonte, Erfahrungen mitnahm, sondern auch Selbstvertrauen und eine Weiterentwicklung für die nächsten Spiele.
Denn jetzt folgt mit Dortmund und Wolfsburg vielleicht nicht unbedingt das komplette Kontrastprogramm, aber mit dem BVB immerhin der andere Champions League-Finalist. An diesen Abend im Bernabéu werden wir uns noch lange erinnern. Jetzt gilt es, die Geschichte dieser Saison erfolgreich weiterzuschreiben.
Titelbild: © Angel Martinez/Getty Images
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