Am Samstag will der VfB beim VfL Wolfsburg direkt nachlegen. Die Gastgeber haben zwar erst einmal gewonnen, lieferten aber dabei gute Leistungen ab. Vor dem Auswärtsspiel sprachen wir Michael Theuerkauf, Wolfsburg-Experte und Sportredakteur bei der Braunschweiger Zeitung.
Rund um den Brustring: Hallo Micha und vielen Dank, dass Du Dir Zeit für unsere Fragen nimmst. Der VfL Wolfsburg ist mit nur einem Sieg aus vier Spielen in die Saison gestartet, hatte es aber auch mit München, Frankfurt und Leverkusen zu tun und verlor die Spiele recht knapp. Wie schätzt du den Saisonstart ein?
Micha: Wenn man sich nur die Punktausbeute anschaut, dann ist der Start natürlich schlecht. Die Leistungen aber insbesondere gegen Bayern und in Leverkusen waren wirklich gut. Gegen Frankfurt kann es auch anders laufen. Wenn man wie der VfL um „Europa“ mitspielen will, dann muss man diese Heimspiele gegen die direkten Konkurrenten, zu denen Frankfurt zählt, gewinnen. Ich würde den Start aber nicht als schlecht bewerten, er hätte aber deutlich besser sein können.
Die vergangene Saison beendete Wolfsburg auf Platz 13, nachdem Ralph Hasenhüttl im März für Niko Kovac übernahm. Das entspricht sicherlich ebenso wenig der Anspruchshaltung des Vereins und des Eigners Volkswagen wie die Plätze 8 und 12 in den Jahren zuvor, oder?
Die Anforderungen sind sicher andere, aber im Fußball gehört auch immer eine kleine Portion Glück dazu – und das fehlte dem VfL in der Vergangenheit in engen Spielen häufig. Dass es im letzten Jahr wieder Abstiegssorgen gab, dass schmeckt weder Mutter VW noch der Tochter VfL. Das ist außer Frage.
Wie bewertest Du bisher die Arbeit von Hasenhüttl, was macht er anders als Kovac?
Ich mag die Art und Weise, wie Ralph Hasenhüttl sein Team spielen lässt, sehr gern. Dieses hohe Pressing, das seine Jungs mit viel Risiko durchziehen, ist so intensiv. Da geht’s richtig zur Sache und bei Ballgewinn sofort mit wenigen Pässen Richtung gegnerisches Tor. Kovac ließ später attackieren und legte mehr Wert auf Spielkontrolle. Das hatte für die Zuschauer nicht selten den Eindruck, dass es zu passiv ist. Das ist beim Hasenhüttl-Fußball ausgeschlossen.
Da liegt dann auch einer der großen Unterschiede zwischen den beiden Trainern. Hasenhüttl setzt auf eine herausragende Physis. Dafür mussten die Jungs im Sommer auch gehörig schwitzen. Der Trainer hat sie richtig gefordert. Man sieht jetzt aber auch, dass die Mannschaft deutlich fitter ist. Sie ist in der Lage, das intensive Pressing über 90 Minuten durchziehen. Unter Kovac hatte man nicht selten den Eindruck, dass beim Team ab Minute 60 der Tank schon fast leer war. So wurden viele Führungen verspielt.
Im Sommer gab man Maxence Lacroix in die Premier League ab und schnappte Frankfurt PAOKs Konstantinos Koulierakis vor der Nase weg. Aus Kopenhagen kam Kamil Grabara als Nachfolger des langjährigen Stammkeepers Koen Casteels, außerdem lieh man Mohammed Amoura von Union St. Gilloise aus, der bereits zwei Tore vorbereitete. Wie blickst Du auf den Transfersommer des VfL und was traust Du der Mannschaft in dieser Saison zu?
In der Aufzählung fehlen vor allem noch Salih Özcan und Dennis Vavro, die am Deadline Day noch verpflichtet wurden. Lange Zeit passierte nicht viel, zum Ende der Transferperiode dann aber in beide Richtungen recht viel. Dass Lacroix geht, stand ja schon lange im Raum. Aus seinem Haus in Wolfsburg ist er schon vor Monaten ausgezogen. Grabara ist ein würdiger Nachfolger von Casteels. Das hat er bereits bewiesen. Und auch Koulierakis und Vavro sind starke Innenverteidiger, die Lacroix ersetzen können. Für meinen Geschmack hätte der Kader aber ausgedünnt werden müssen. Gerade im Mittelfeldzentrum und im Angriff gibt es ein Überangebot an (guten) Spielern. Ich bin gespannt, wie man das moderieren kann und die Stimmung bei dem einen oder anderen nicht kippt.
Ansonsten steckt wie jedes Jahr viel Potential im Kader. Wenn das abgerufen wird, ist es möglich, die Ziele zu erreichen.
Wo liegen aktuell die Stärken und Schwächen der Mannschaft?
Die Stärken liegen momentan noch hauptsächlich in der Arbeit gegen den Ball. Das klingt seltsam, denn der VfL hat in den vier Spielen ja neun Gegentore bekommen. Aber es waren viele Tore, die nach Standards gefressen wurden. Da ist dann auch schon gleich eine Schwäche benannt. Bei ruhenden Bällen ist der VfL anfällig. Das gilt auch bei Kontern. Ein anderer ausbaufähiger Punkt ist das Spiel mit dem Ball, das im letzten Drittel teilweise noch nicht zielstrebig genug ist. Der VfL hätte seinen hohen Aufwand mit deutlich mehr Treffern belohnen müssen, aber die Effizienz ist das große Manko Stand jetzt. Eine andere „Schwäche“ ist das Verletzungspech. Es fehlen einige potenzielle Stammspieler. Vor allem der Ausfall von Lovro Majer, der sich beim 2:0 in Kiel einen Bänderriss zugezogen hat, ist bitter. Lovro war in herausragender Verfassung – nicht nur wegen seiner beiden Treffer gegen die Bayern. Königstransfer Mohammed Amoura hatte sich im Trainingslager das Innenband im Knie beschädigt. Er ist auch noch nicht wieder in Topform.
Im Kader steht mit Tiago Tomás auch ein ehemaliger VfB-Spieler. Wie läuft es für ihn derzeit in Wolfsburg?
Auf der linken offensiven Außenbahn ist er momentan gesetzt, das liegt aber auch an mangelnden Alternativen. Das soll jedoch nicht bedeuten, dass er seine Sache nicht gut macht. Aber bei ihm ist es dasselbe Problem wie bei der ganzen Mannschaft: Aufwand und Ertrag stehen in keinem gesunden Verhältnis. Das hohe Pressing kommt ihm mit seiner Schnelligkeit entgegen. Hasenhüttl setzt vorne auf Spieler, die aufgrund ihres Tempos den Gegner schnell und aggressiv unter Druck setzen können. Er profitiert aber auch davon, dass Jakub Kaminski, der ansonsten auf der Tomas-Position sollte, der Zeit als Aushilfsaußenverteidiger gefordert ist.
Zum Abschluss: Dein Tipp für Aufstellung und Ergebnis?
Der VfL gewinnt mit 3:1 – das hofft der VfL-Fan in mir. Der Journalist geht etwas skeptischer an die Sache heran, denn Stuttgart ist stark. Wenn es dem VfL gelingen sollte, seine Chancen besser auszuspielen und dann auch zu nutzen, dann ist etwas drin. So wie es schon in Leverkusen und gegen Bayern der Fall war.
Bei der Aufstellung gibt es derzeit so viele Eventualitäten, da kann ich eigentlich nur falsch liegen. Ich bin mir aber sicher, dass sie mit einem Torhüter und zehn Feldspielern ins Rennen gehen werden. 😉
Titelbild: © Selim Sudheimer/Getty Images
1 Gedanke zu „Rund um den nächsten Gegner: Im Gespräch mit Wolfsburg-Experte Michael Theuerkauf“