So viele offene Rechnungen: Das Gastspiel von Borussia Dortmund am kommenden Sonntag im Neckarstadion hat nach der vergangenen Saison und dem Transfersommer eine besondere Brisanz. Vor der Partie sprachen wir mit BVB-Fan Nick vom Blog Any Given Weekend über die Lage beim Champions League-Finalisten.
Rund um den Brustring: Hallo Nick und vielen Dank, dass Du dir Zeit für unsere Fragen nimmst. Der BVB ist in beide Pokalwettbewerbe mit einem Sieg gestartet, zuletzt am Mittwochabend mit einem 3:0 in Brügge. In der Bundesliga stehen Siege gegen Heidenheim und Frankfurt sowie ein Remis in Bremen zu Buche. Wie zufrieden bist Du mit dem Saisonstart?
Nick: Hallo Lennart! Ergebnistechnisch ist der Saisonstart wirklich gelungen. Über die lösbare Pokal-Aufgabe muss man nicht reden, aber sieben Punkte in der Liga und ein 0:3‑Auswärtssieg in der Champions League können sich absolut sehen lassen. Nur war das spielerisch über weite Strecken noch ein gutes Stück davon entfernt, wo man hin will. Zuletzt auch in Brügge, trotz des deutlichen Ergebnisses.
Der 5. Platz in der vergangenen Saison war die schlechteste Platzierung seit der Saison 2014/2015. Was hat das, neben dem Rücktritt von Edin Terzic noch im Verein ausgelöst?
Dieser 5. Platz, der ja unter anderen Umständen nicht für die CL-Qualifikation gereicht hätte, hat ganz schön Betriebsamkeit ausgelöst. Der Saisonverlauf hat mit Sicherheit zur Umstrukturierung der sportlichen Führungsebene mit Ricken und Mislintat beigetragen. Es gibt neben Sahin noch weitere neue Gesichter im Trainer-Team, die Transferphase war lebhaft. Und alle, auch die Fans, dürften sich jetzt bewusst sein, dass der BVB nicht mehr automatisch mindestens Zweiter wird.
Terzics Nachfolger ist BVB-Legende Nuri Şahin, der schon in der Rückrunde Teil des Trainerteams war. Wie bewertest Du die Entscheidung für ihn und wie lässt er die Mannschaft in dieser Spielzeit spielen?
Grundsätzlich ist bei mir eine gesunde Portion Skepsis dabei, wenn die Borussia mal wieder eine Rückholaktion startet. Das gilt für Spieler wie andere Funktionsträger. Der sogenannte Stallgeruch ist erstmal nichts Verkehrtes und der Gedanke einer BVB-Familie, die sich über die Rückkehr ihrer “Kinder” freut, auch nicht. Aber in Dortmund wird das von den Verantwortlichen gerne mal zu hoch gehängt, in Verbindung mit einer “wird schon klappen, ist ja einer von uns”-Attitüde. Und deshalb muss mich Nuri erstmal überzeugen. Er will das Spiel attraktiver machen, schneller nach vorne kommen, lässt zeitweise schon die Offensivleute pressen. Aber das funktioniert bisher nur bedingt und seine Versuche mit Dreierkette, in der dann alle 1A-Innenverteidiger spielen, sind personaltechnisch ein wenig riskant.
Wo liegen aktuell Eure Stärken und Schwächen?
Wir haben derzeit einige Offensivspieler, die sich in Form zu spielen scheinen: natürlich Gittens, aber auch Adeyemi und jetzt kommt noch Guirassy dazu. Außerdem warten wir noch auf einen mal über einen längeren Zeitraum fitten Julien Duranville. Denn es ist die individuelle Klasse dieser Jungs, etwa im Dribbling oder in Laufduellen, die uns weiterhelfen kann, wenn es kollektiv mal nicht so läuft. Natürlich haben wir auch einen guten Torwart und mit Pascal Groß jemand, dem viele die Ballverteilerrolle im Mittelfeld zutrauen. Zu den noch nicht abgestellten Schwächen gehört, dass der BVB sich schwer tut, gefährlich in Strafraumnähe zu kommen, wenn der Gegner kompakt steht. Zwar sehen wir tendenziell mehr Schwarz-Gelbe im letzten Drittel als unter Terzic, aber wir sind dann auch anfällig bei schnellem Umschalten des Gegners.
Welche Erwartung hast Du nach der enttäuschenden letzten Spielzeit an die laufende Saison?
Ich erwarte eine bessere Platzierung, im Idealfall vor RBL. Im Pokal sollte es mal wieder Richtung Berlin gehen — klar, dass man dafür auch Losglück braucht. Beides setzt voraus, dass der BVB auch mehr gute Spiele zeigt als zuletzt.
Die Verbindungen zwischen dem VfB und dem BVB sind vielfältig. Fangen wir neben dem Platz an: Im Frühjahr kehrte unser ehemaliger Sportdirektor Sven Mislintat zurück nach Dortmund, jedoch in anderer Rolle. Im Transfersommer soll es angeblich intern ziemlich geknirscht haben. Was ist Deine Meinung zu dieser Personalie?
Für Sven Mislintat gilt das Gleiche, was ich auch schon zur Personalie Sahin geschrieben habe. Klar war Mislintat ein wichtiger Erfolgsfaktor in der Klopp-Ära und hat auch in der Tuchel-Zeit noch einige wichtige Transfers mit getätigt. Grundsätzlich war es auch richtig, Sebastian Kehl noch jemand mit Erfahrung an die Seite zu stellen. Aber ob es so ein Alpha-Tier wie Mislintat sein musste? Ich hätte mir auch einen Transfer-Nerd vorstellen können, der mehr im Hintergrund agiert.
Manche vermuten auch, dass sich Borussia auch auf sein Betreiben hin zwei Mal beim VfB bedient hat: Serhou Guirassy und für uns überraschend Waldemar Anton komplettieren seit dieser Saison das Quartett von Ex-VfB-Spielern neben den Torhütern Gregor Kobel und Alex Meyer. Wie machen sich Anton und Guirassy bisher und wie zufrieden bist Du allgemein mit den Sommertransfers?
Einerseits regen offensichtliche Transfers, wo man den Shooting Star von der Liga-Konkurrenz holt, nicht gerade die Fantasie an. Aber natürlich haben wir mit Guirassy und Anton auch viel Qualität geholt. Ein Pascal Groß war sicher ein überraschenderer Transfer. Davon hätte ich mir noch ein, zwei mehr gewünscht. Ansonsten hat man sich dort verstärkt, wo man es tun musste. Nur links hinten scheint noch nicht die Ideallösung gefunden. Ich konnte bisher nicht alle Spiele über 90 Minuten sehen. Anton scheint hinreichend stabil, um sich ohne Probleme in Dortmunds IV einzufügen. Guirassy hatte gegen Heidenheim einen längeren Auftritt, bei dem er torlos blieb, aber uns durch seine Laufarbeit und durchs einfach nur Da-sein weiterhalf. Mit ihm ergeben sich mehr Räume für andere Spieler; die ganze Statik im BVB-Spiel ändert sich ein Stück weit. In Brügge war es dann ein kürzerer, unscheinbarerer Auftritt, bei dem Guirassy aber am Ende den Elfmeter verwandelte. Und das ohne Stocken im Anlauf, was sehr wohltuend war.
Kannst Du die Aufregung in Stuttgart um Anton und den voraussichtlich wenig freundlichen Empfang für ihn am Sonntag nachvollziehen?
Die Aufregung wegen Waldemar Anton kann ich bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen. Seine Vertragsverlängerung mit entsprechend schmeichelhaften Worten von ihm ist ja noch nicht so lange her. Es kann dann bei treuen Fans nicht gut ankommen, wenn man kurze Zeit später innerhalb der Liga wechselt. Das Maß der Aufregung ist bei manchen meinem Eindruck nach etwas überzogen — es ist halt leider wirklich nichts Neues, wie das im Profifußball heute abläuft.
Die Spiele zwischen Stuttgart und Dortmund sind sowieso Klassiker, siehst Du durch die Transfers und die drei emotionalen und für den BVB erfolglosen Duelle der letzten Saison eine besondere Stimmung in Dortmund vor der Partie am Sonntag?
Viele werden den VfB sicher als eine Art Benchmark sehen, wie weit man mit der Erneuerung schon gekommen ist. Ein Dreier in Stuttgart wäre ein Signal, ein Unentschieden nach gutem Auftritt auch schon sehr respektabel nach letzter Saison. Es gibt ja ohnehin in den letzten Jahren eine gewisse Rivalität zwischen den aktiveren Fangruppen beider Vereine. Die, die das nicht so interessiert, werden sich vielleicht einfach an die heißen Spiele der Vergangenheit erinnern (vor letzter Saison), die zwar nicht alle positiv für Schwarz-Gelb endeten, aber wie du schon sagtest zu Klassikern wurden. Ich glaube, die Vorfreude wird vorherrschen.
Zum Abschluss: Dein Tipp für Aufstellung und Ergebnis?
Mögliche Aufstellung: Kobel — Ryerson, Süle, Schlotterbeck, Bensebaini — Can, Groß — Adeyemi, Brandt, Gittens — Guirassy.
Mein Tipp: Ein ansehnliches 2:2, gerne mit einem späten BVB-Ausgleich
Titelbild: © Lars Baron/Getty Images