In einem unfassbar konzentrierten Spiel überkommt der VfB ein zurückgenommenes Tor und einen verschossenen Elfmeter und schlägt Juventus Turin in dessen Stadion. Ein unvergesslicher Abend!
Ja, die Überschrift ist genau so gemeint und soll an den legendären Fernsehkommentar von Werner Hansch am 1. Oktober 2003 erinnern, als Kevin Kuranyi ein Zuspiel von Imre Szabics verwertete und gegen Manchester United den Deckel auf einen Sieg für die Geschichtsbücher machte. Auf einer Stufe mit dem Heimsieg damals steht für mich der Auswärtserfolg im Juventus Stadium am vergangenen Dienstag. Wir müssen uns nicht unnötig klein machen, aber Siege gegen die Großen des europäischen Fußballs sind bei uns nun wirklich nicht an der Tagesordnung. Und das lasse ich mir auch nicht mit dem Hinweis auf einen schwachen Gegner kleinreden: Juventus war auch deshalb so erfolglos, weil die Mannschaft des VfB, nur drei Tage nach der niederschmetternden Klatsche in München, ein ganz anderes Gesicht zeigte und gerade defensiv extrem konzentriert und organisiert auftrat. Dabei waren die Turiner nicht mal ungefährlich: Ähnlich wie Real Madrid überließen sie dem VfB lange Spiel und Ball um dann mit blitzschnellen Umschaltsituationen über die Außenbahnen vor das Tor von Alexander Nübel zu kommen. Nur standen da halt Anthony Rouault und Jeff Chabot — und natürlich ihre Nebenleute — die sauber alles wegverteidigten.
Trocken per Dropkick
Nun war der Weg zu diesem historischen Sieg natürlich nicht nur mit Rosen gepflastert. Der VfB hatte bereits in der ersten Halbzeit eine Vielzahl von Chancen — zur Pause stand der Zähler bei den Torschüssen bei 12:1 — nutzte aber erneut keine einzige davon. Am aussichtsreichsten war noch Demirovic mit seinem Pfostentreffer und Deniz Undav, der seinen Treffer in Madrid nachstellen wollte, aber am Turiner Torwart Perin scheiterte, der wie schon sein Madrider Kollege im Spiel gegen den VfB zum man of the match gekürt wurde. Dennoch: Die Spielanlage des VfB war wesentlich reifer als in München. Die Spieler mit dem Brustring gingen kontrolliert ins Pressing, ohne sich dabei andauernd überspielen zu lassen und gewannen vor allem auch wichtige Zweikämpfe im Mittelfeld. Zur Qualität eines Juventus Turin gehört dann eben auch, hinten stabil zu verteidigen und vorne auf seine Chancen zu warten, bei denen man eben wegen der Qualität beispielsweise eines Dusan Vlahovic auch davon ausgehen kann, dass man sie nutzt.
Richtig wild wurde es nach der Pause, als Deniz Undav einen traumhaften Treffer aberkannt bekam, was den Gästeblock erst in Ekstase und dann in Rage brachte. Zumindest dem Eindruck im Stadion nach pfiff der Unparteiische in dieser Partie sehr beliebig, mit einer langen Leine und dann doch wieder auf Zuruf. Regeltechnisch mag der VAR-Eingriff am Ende berechtigt gewesen sein, schade um den schönen Treffer war es trotzdem. Aber weder davon, noch vom nächsten verschossenen und nicht mehr im Nachschuss verwandelbaren Elfmeter ließ sich die Mannschaft aus der Ruhe bringen und ließ sich auch in der Schlussphase nicht aufs Zeitspiel ein. Nach einem dreifachen Punktgewinn sah es da gar nicht unbedingt aus, vor allem weil Sebastian Hoeneß seine Stürmer Deniz Undav und den am Rande einer gelbroten Karte wandelnden Ermedin Demirovic bereits heruntergenommen hatte. Aber da war ja noch Atalanta-Leihgabe El Bilal und natürlich Enzo Millot. Schon beim 5:1 gegen Dortmund hatte Millot dem Stürmer ein Tor aufgelegt, was aber angesichts der Dribbelkünste auf der Grundlinie vor allem auf Millots Konto ging. Diesmal eroberte El Bilal den Ball am Strafraum. der VfB erhielt ihn nach einer Kopfballabwehr der Turiner zurück und Millot und El Bilal doppelpassten sich durch Hintermannschaft von Turin, bevor der Stürmer den Ball elegant mitnahm und trocken per Dropkick im Tor versenkte.
Ein Traum in Weiß und Rot
Diesmal herrschte im Gästeblock dann wirklich nur noch Ekstase, genauso wie mit scheinbar endlos lange später ertönenden Schlusspfiff. Es sind diese Momente, auf die man als Fußballfan hofft und für die man auch die schlimmen Momente durchleidet. In der Dramatik natürlich eher zu vergleichen mit Endo gegen Köln 2022, auch wegen dem Bangen zwischen Siegtreffer und Schlusspfiff. Aber es ist natürlich etwas anderes, ob du “nur” die Relegation verhinderst oder einen unerwarteten Außenseiter-Sieg im wichtigsten europäischen Pokalwettbewerb einfährst, gegen einen Gegner, der für gewöhnlich in ganz anderen Sphären unterwegs ist, als der eigene Verein. Auch zwei Tage später und wieder am heimischen Schreibtisch kann ich es immer noch nicht richtig fassen, welches Glück uns da als VfB-Fans am Dienstagabend beschert wurde und welchen historischen Meilenstein wir in der ruhmreichen Geschichte des Vereins miterleben durften. Einfach nur ein absoluter Traum in weiß und rot und die Krönung eines auch sonst sehr schönen Kurztrips nach Norditalien.
Und auch abseits der emotionalen Bedeutung eine wichtige Reaktion auf das Spiel in München. Die sportliche Bedeutung ordneten dann auch die Verantwortlichen direkt ein, indem sie das Heimspiel gegen Kiel zum wichtigsten Spiel der Woche machten. Das ist natürlich einerseits klug, um die Euphorie in Energie umzuwandeln und andererseits richtig, denn nun muss die Mannschaft auch gegen einen weniger aufsehenerregenden Gegner zeigen, dass sie, anders als in der Vorwoche, bereit und in der Lage ist, ans eigene Limit zu gehen. Aber natürlich war das 1:0 in Turin (!!!) auch sportlich nicht bedeutungslos: Mit vier Punkten und noch ausstehenden Spielen gegen drei bislang sieglose Mannschaften in der Ligaphase steigen die Chancen auf zwei weitere Partien in der Zwischenrunde im neuen Jahr. Und damit einher gehen nicht nur erhebliche Mehreinnahmen, sondern die Gelegenheit, erneut in Europa Geschichte zu schreiben.
Zum Weiterlesen: Auch der Vertikalpass sieht das Turin-Spiel auf einer Stufe mit Manchester.
Titelbild: © Valerio Pennicino/Getty Images
1 Gedanke zu „El Bilaaaaaaaaal.…Tooooooooor!“