Der Wahnsinn kehrt zurück

Nach dem Halb­fi­nal­ein­zug und dem ers­ten Aus­wärts­sieg seit über einem Jahr bie­tet der VfB sei­nen Fans beim 3:3 gegen Dort­mund das nächs­te Spek­ta­kel — und knüpft an frü­he­re Stär­ken an.

Irgend­wo da drau­ßen, in den Tie­fen des Inter­nets, exis­tiert er. Der Video­schnip­sel von Chris­ti­an Gent­ners Tref­fer zum 4:4 im West­fa­len­sta­di­on, unter­legt mit den Wor­ten des eng­lisch­spra­chi­gen Kom­men­ta­tors “This is why we love foot­ball!” Und wirk­lich: Ob bei Gent­ners Tref­fer damals oder bei Silas Aus­gleich in der 97. Minu­te am Sams­tag — in sol­chen Momen­ten liebt man den Fuß­ball und sei­nen Ver­ein, für die Eksta­se, die er einem gibt. Und es ist ja bei­lei­be nicht der ers­te Last-Minu­te-Tref­fer des VfB in den letz­ten Jah­ren: Die 91. Minu­te gegen Augs­burg, die 98. gegen Her­tha, die 92. gegen Köln, davor die 85. Minu­te gegen Augs­burg und die 83. gegen Glad­bach. Der VfB kann das grund­sätz­lich und hat viel­leicht gera­de noch recht­zei­tig sei­nen Punch wie­der­ge­fun­den. Mal wie­der hat ein Trai­ner einen Weg gefun­den, die Jungs mit dem Brust­ring so anzu­zün­den, dass sie selbst dann nicht aus­ein­an­der fal­len und sich geschla­gen geben, wenn ihnen der in Unter­zahl erkämpf­te Punkt durch einen Gegen­tref­fer in der Nach­spiel­zeit zu ent­glei­ten droht.

Trotzdem ausgeglichen 

Wenn man einen (Teil-) Erfolg erst in letz­ter Sekun­de erreicht, muss natür­lich vor­her auch irgend­et­was schief gegan­gen sein, das war auch die letz­ten Male so, als die Mann­schaft die Kur­ve zum Eska­lie­ren brach­te. In die­sem Fall kann man der Mann­schaft nicht mal einen all­zu gro­ßen Vor­wurf machen. Sie spiel­te gegen den Meis­ter­schafts­kan­di­da­ten aus Augen­hö­he, hat­te zwar ihre bekann­ten Pro­ble­me bei der Chan­cen­ver­wer­tung und den obli­ga­to­ri­schen Aus­set­zer in der Abwehr, ging aber enga­giert zu Wer­ke. Der Unter­schied zu ande­ren Spie­len gegen Top­teams: Die Mann­schaft knüpf­te damit an die Leis­tung der Vor­wo­che zu gro­ßen Tei­len an. Dass man zur Pau­se trotz­dem zu zehnt mit zwei Toren in Rück­stand lag, war vor allem dem geschul­det, dass Dan-Axel Zag­adou nicht die Klas­se eines Hal­ler hat und das Chris Füh­rich den Ball per Kopf leicht­sin­nig in die Mit­te klär­te und sich auch danach nicht mehr dafür ver­ant­wort­lich fühl­te, den Gegen­tref­fer zu ver­hin­dern.

Nun­ja. Und einem Schieds­rich­ter, der bereits in der zwei­ten Minu­te ein offen­sicht­li­ches Foul­spiel von Ser­hou Gui­ras­sy über­sah, dann Mavro­pa­nos zwei regel­tech­nisch kor­rek­te, ange­sichts der Dort­mun­der Schau­spiel­ein­la­gen aber auch mit wenig Fin­ger­spit­zen­ge­fühl ver­se­he­ne gel­be Kar­ten zeig­te und, um die längst ver­lo­ren gegan­ge­ne Auto­ri­tät zu ret­ten, auch noch Kapi­tän Endo ver­warn­te — der ja eigent­lich als ein­zi­ger das Recht hät­te, sich beim Schieds­rich­ter zu beschwe­ren. Nimmt man dann noch die durch eine angeb­lich kali­brier­te Linie nach­ge­wie­se­ne Abseits­stel­lung Ser­hou Gui­ras­sys in der zwei­ten Halb­zeit hin­zu, der nur des­halb den Ball über Gre­gor Kobel heben konn­te, weil er im Moment des Abspiels einen mit dem mensch­li­chen Auge nicht wahr­nehm­ba­ren Vor­sprung hat­te, ver­liert man lang­sam die Lust an der Leis­tung der meis­ten Bun­des­li­ga-Schieds­rich­ter und des sie unter­stüt­zen­den Sys­tems.

Freitag Augsburg schlagen!

Dass Osmers für einen VAR-Ein­satz und zwei Tore gan­ze sechs Minu­ten nach­spie­len ließ, erwies sich erst als Fluch und dann als Segen. Denn als Rey­na in der 92. Minu­te zum ver­meint­li­chen Sieg traf, merk­te man der VfB-Mann­schaft irgend­wann doch an, dass sie bereits seit knapp 50 Minu­ten in Unter­zahl spiel­te. In der zwei­ten Halb­zeit war davon lan­ge nichts zu sehen. Nicht beim angeb­li­chen Abseits­tref­fer, nicht beim obli­ga­to­ri­schen Cou­li­ba­ly-Tor gegen Dort­mund und nicht beim Tref­fer von Josha Vagno­man, der bereits in Bochum getrof­fen hat­te. Das war teil­wei­se der Dort­mun­der Über­heb­lich­keit geschul­det, teil­wei­se deren indi­vi­du­el­len Feh­lern wie bei Cou­li­ba­lys Luft­loch in der 97. Minu­te. Vor allem aber der Tat­sa­che, dass der VfB mit der aus Sosa und Vagno­man bestehen­den Flü­gel­zan­ge und den zen­tra­ler spie­len­den Halb­stür­mern Füh­rich und Mil­lot end­lich ein eini­ger­ma­ßen funk­tio­nie­ren­des Offen­siv­kon­zept gefun­den hat. Immer wie­der kam Vagno­man im Straf­raum an den Ball, immer wie­der hat­te Sosa auf dem Flü­gel viel Platz und vor allem erga­ben sich für Mil­lot und in gerin­ge­rem Maße Füh­rich in zen­tra­le­rer Posi­ti­on mehr Mög­lich­kei­ten. Da bräuch­te es nicht mal ein Gui­ras­sy-Tor.

Sebas­ti­an Hoe­neß macht also aktu­ell vie­les rich­tig, von der offen­si­ve­ren, mutie­ren Spiel­an­la­ge hin über die Auf­stel­lung bis zu den Ein­wechs­lun­gen. Er hat vor allem inner­halb von zwei Wochen nach dem Uni­on-Spiel die Stim­mung kom­plett gedreht. Die Mann­schaft scheint wie­der an sich zu glau­ben und die Fans an die Mann­schaft. Umso ärger­li­cher, dass sie sich gemein­sam mit Hoe­neß’ Vor­gän­ger in eine Lage manö­vriert hat, in der man eigent­lich am Sams­tag wie­der ein Ban­ner in der Kur­ve hät­te hoch­hal­ten müs­sen, auf dem man einen Sieg im nächs­ten Spiel for­dert. Der VfB hat immer noch einen lan­gen Weg vor sich und muss am Frei­tag in Augs­burg naht­los da wei­ter­ma­chen, wo sie am Sams­tag um kurz vor halb sechs auf­ge­hört hat. Grund­sätz­lich ist mein Ver­trau­en dar­auf, dass sie dazu in der Lage ist, wie­der gewach­sen. Aber wir wis­sen alle wozu die Jungs in der Lage sind. Der Wahn­sinn hat beim VfB in letz­ter Zeit immer zwei Sei­ten. 

Zum Wei­ter­le­sen: Der Ver­ti­kal­pass liebt den VfB, weil er ihn fer­tig macht. Also der VfB den Andre­as.

Titel­bild: © THOMAS KIENZLE/AFP via Get­ty Images

2 Gedanken zu „Der Wahnsinn kehrt zurück“

  1. Das Offen­siv­kon­zept hat es seit Jah­ren nicht gege­ben: Nicht unter Tim Wal­ter, schon gar nicht unter Rino, bei Bru­no grund­sätz­lich nicht.
    1. Die Auf­er­ste­hung Vagno­mans haben wir Flick zu ver­dan­ken. Bis­her hat es dem Geg­ner völ­lig genügt, die lin­ke Sei­te abzu­de­cken. Bis sich die neue Waf­fe her­um­ge­spro­chen hat, kann Vagno­man auf freie Räu­me hof­fen. Wenn dann irgend­wann vom Geg­ner die rech­te Sei­te bes­ser abge­deckt wird, pro­fi­tie­ren die ande­ren Offen­siv­spie­ler.
    2. Von Mil­lot erwar­te ich noch eini­ges. Er wird von den Geg­nern bereits panisch bekämpft.
    3. Pro­blem­fall Füh­rich: Schnell, tech­nisch gut, cha­rak­ter­lich gut, hilft hin­ten gut mit. Aber es fehlt ihm der­zeit die spie­le­ri­sche Klas­se. Ich ver­mu­te, er wird durch Silas ersetzt wer­den. Dann kön­nen wir auch wie­der auf Kon­ter­to­re hof­fen. Füh­rich emp­feh­le ich Medi­ta­tio­nen oder auto­ge­nes Trai­ning. Irgend­wie sind Espen­laub­ge­ne in sei­ne DNA gera­ten.
    4. Anton… Top. Was für ein Boll­werk.
    5. Bred­low Ich kann mir nicht erklä­ren, war­um der so lan­ge auf der Bank war. Bei Wal­ter war er sogar mal an Kobel vor­bei, bevor Wal­ter ent­las­sen wur­de.

    Antworten
    • Hi,

      Naja, sagen wir mal so: Kein idio­ten­si­che­res Offen­siv­kon­zept.😉 Aber zumin­dest eine Idee, wie man sich aus­rei­chend gute Chan­cen erspielt. 1 und 2 gehe ich mit, Füh­rich muss ein­fach ziel­stre­bi­ger sein, das hat teil­wei­se schon ganz gut geklappt, aber dann kommt der nächs­te Kata­stro­phen­pass. Anton…ja, weiß nicht. Über­zeugt mich nicht so rich­tig, weil auch immer wie­der Böcke drin (gegen Dort­mund der lan­ge Ball in den 16er ganz am Anfang). Bred­low wirkt ein­fach wesent­lich sta­bi­ler, auch men­tal, als Mül­ler. Ist kein Welt­klas­se­kee­per (sonst wür­de er nicht bei uns spie­len), aber ist aktu­ell ein­fach immer­hin eine Bau­stel­le weni­ger.

      LG, Lenn­art

      Antworten

Schreibe einen Kommentar zu Lennart Antworten abbrechen