Mit Ömer Faruk Beyaz, der ablösefrei von Fenerbahce zum VfB wechselt, steht der erste Transfer des anstehenden Sommers bereits fest. Wir stellen Euch den Neuzugang aus der Süper Lig vor.
Bei manchen Transfergerüchten weiß man erstmal nicht so recht, was man von ihnen halten soll. Als dem VfB im Januar ein Interesse am als Supertalent gepriesenen Ömer Faruk Beyaz nachgesagt wurde, mit der Einschränkung, dass er auch bei namhafteren Vereinen auf dem Zettel stand, konnte ich mir nicht so recht vorstellen, dass wir angesichts der angespannten finanziellen Situation würden mitbieten können. Nun hat er am Mittwoch einen bis 2025 datierten Vertrag unterschrieben und kommt sogar, lässt man die Ausbildungsentschädigung außer Acht, ablösefrei. Aber dazu später mehr.
Unsere Experten
Aber wer ist dieser junge Spieler, der Ende August erst 18 wird und in seiner noch kurzen Karriere ausschließlich für Fenerbahce gespielt hat, einen der großen Clubs seiner Heimatstadt Istanbul? Darüber haben wir uns mit Fatih Demireli (@demireliDE) unterhalten, Experte für den türkischen Fußball und Herausgeber sowie Chefredakteur des Magazins Socrates. Wer unseren Blog schon länger verfolgt, hat mit Sicherheit auch unsere Vorstellung von Ozan Kabak gelesen, zu dem uns Fatih 2019 auch interessante Einschätzungen lieferte. Außerdem werfen wir einen datenbasierten Blick auf die Stärken und Schwächen unseres Neuzugangs, auch wenn die Datengrundlage bislang noch überschaubar ist. Bereitgestellt werden die Daten von unseren Kooperationspartnern von Createfootball.com.
Warum gibt es noch nicht so viele auswertbare Daten? Weil Beyaz in der vergangenen und der laufenden Saison “erst” fünf Spiele in der Süper Lig und drei im Türkiye Kupasi, dem türkischen Vereinspokal absolviert hat und dabei nur rund 230 Minuten auf dem Platz stand. Parallel spielte er 2019/20 in der U19 Süper Lig 14 Partien und schoss dabei zwei Tore. Nicht umsonst habe ich aber die Anführungszeichen oben verwendet. Schließlich war er erst 16, als er vergangenes Jahr sein Profidebüt für Fenerbahce gab. Fatih zufolge galt Beyaz, der sich dem Verein mit zehn Jahren anschloss, dort schon mit zwölf Jahren als “das große Talent, das eines Tages der neue Spielmacher von Fenerbahce werden sollte”. Auch beim türkischen Verband scheint man ähnlich viel von Beyaz zu halten: “Er war bisher bei all den U‑Mannschaften gesetzt, spielte als 17-Jähriger jetzt sogar bei der U21, was in der Türkei recht ungewöhnlich ist und nur den allergrößten Talenten gegönnt wird.”, erläutert Fatih. Warum also muss Fenerbahce seinen talentierten Nachwuchs- und Juniorennationalspieler ablösefrei ziehen lassen?
Keine Perspektive in Istanbul
Fatih sieht den Grund in der mangelnden Perspektive für den Spieler. Fenerbahce habe seit 2014 keinen Meistertitel mehr geholt, der dadurch entstandene Erfolgsdruck habe die Trainer dazu verleitet, eher erfahrenen Spielern das Vertrauen zu schenken als jungen Spielern eine Chance zu geben. Beyaz habe zwar häufig mit der ersten Mannschaft trainiert und bei Spielen im Kader gestanden, allerdings nur die oben beschriebenen kurzen Einsatzzeiten gehabt. Stattdessen verpflichtete Fenerbahce zuletzt mit Mesut Özil, Irfan Can Kahveci und Mert Hakan Yandas drei neue Spieler für seine Positionen im offensiven Mittelfeld. “Da Ömer Faruk keine Perspektive sah, konstant bei Fenerbahce zu spielen, lehnte er einen neuen Vertrag ab. Der Klub versuchte ihn zu überzeugen, aber eigentlich ist schon länger klar, dass er nicht bleibt.”, so Fatih. Dass das bei den Fans seines aktuellen Vereins nicht auf Gegenliebe stößt sieht man beim ersten Blick in die Kommentarspalten unter der Verkündigung des Transfers. Andererseits: Enttäuschung ist auch eine Form der Wertschätzung für einen der jüngsten Debütanten und sogar den jüngsten Kapitän der Vereinsgeschichte: Emre Belözoglu übergab bei seinem letzten Spiel für Fenerbahce nach seiner Auswechslung die Binde dem erst 16 Jahre alten Beyaz.
Schauen wir aber mal, wie er auf dem Platz auftritt. Fatih bezeichnet ihn als klassischen Zehner alter Schule, der überragend in der Ballführung und im Dribbling sei und eine nahezu perfekte Technik habe. Was ihm, wie vielen jungen Spielern fehle, sei die physische Durchsetzungsfähigkeit und die Effektivität und Zielstrebigkeit in den Offensivaktionen und im Zusammenspiel mit seinen Mannschaftskollegen. Dann, so Fatih, wäre er auch noch torgefährlicher. Kurz: Er muss erwachsen werden.
Kluge Pässe, aber der Sprung ist groß
Seine Qualität im offensiven Mittelfeld wird auch in den Zahlen von CreateFootball deutlich, die ihm eine hohe Spielintelligenz und viel Übersicht bescheinigen. So gibt er pro 90 Minuten 1,28 Torschussvorlagen und. spielt 1,44 exakte Schnittstellenpässe, von denen etwa ein Drittel ankommt — ein guter Wert. 1,76 Pässe spielt er pro 90 Minuten direkt in den Strafraum mit einer beachtlichen Erfolgsquote von 64 Prozent. Beachtlich, weil Pässe im gegnerischen Spieldrittel natürlich unter größerem Druck gespielt werden als in der eigenen Spielhälfte. Insgesamt liegt seine Passquote bei 79 Prozent. Die von Fatih angesprochene mangelnde Zielstrebigkeit wird daran deutlich, dass von den 4,64 versuchten Dribblings pro Spiel nur etwas weniger als die Hälfte auch erfolgreich sind und seine Schussgenauigkeit bei nur 17 Prozent liegt. — ähnliche Probleme, mit den auch Tanguy Coulibaly aktuell auf einer anderen offensiven Position zu kämpfen hat. Seine Zweikampfquote von 43 Prozent ist zwar ordentlich, es ist allerdings die Frage, ob er diese in die Bundesliga übertragen kann.
Überhaupt ist der Sprung zum VfB bei allem Talent ein sehr großer, betont Fatih. Schließlich hat Beyaz kaum Profierfahrung und er wäre nicht der erste Jugendspieler, für den die Etablierung im Herrenbereich auch aufgrund der physischen Komponente eine große Herausforderung darstellt. Was beim VfB jedoch passt, ist, neben der auch von Beyaz selber als Wechselgrund ausgegeben Ausrichtung auf junge Talente, der spielerische Ansatz von Pellegrino Matarazzo. Fatih sieht den VfB auf jeden Fall als das richtige Umfeld an für Beyaz, über den er abschließend sagt: “Er ist ein ungeschliffener Diamant, der eines Tages sicherlich die ganz große Nummer werden könnte, wenn er denn die Entwicklung nimmt, die man vom ihm erwartet.” Auch die Datenanalysten von CreateFootball sehen in ihm einen Perspektivspieler, dem man diese Perspektive in Form von Kurzeinsätzen in der kommenden Saison auch geben, aber keine allzu großen Sprünge erwarten sollte.
Mehr Optionen im Offensivrepertoire
Wie eingangs angemerkt bin ich immer noch etwas überrascht, dass sich der VfB im Rennen um Beyaz durchsetzen könnte. Offensichtlich haben wir uns dank Sven Mislintat und mit Abstrichen Michael Reschke in relativ kurzer Zeit wieder einen guten Ruf bei jungen talentierten Spielern erarbeitet. Dass Beyaz ablösefrei kommt, ist in der aktuellen Zeit ein zusätzlicher Pluspunkt. Perspektivisch kann er der Mannschaft auf jeden Fall, wenn er so lange bei uns bleibt, eine zusätzliche Option im Offensivspiel bieten. Denn Schnittstellenpässe in den Strafraum gehören bislang nicht zum Repertoire der Brustringträger, die vor allem auf Gegenpressing und schnelles Kombinationspiel setzen. Mit Gonzalo Castro und Daniel Didavi verlassen zwei Spieler den Verein kurz- und wahrscheinlich mittelfristig, die eine ähnliche Rolle bekleiden könnten, sie in der Vergangenheit aber zu selten ausgefüllt haben. Philipp Klement scheint beim VfB keine Perspektive zu haben, ihm fehlt nach allem, was ich bisher gesehen habe, genauso wie Förster aber auch die Qualität, die ein Beyaz entwickeln kann. Gleichzeitig ist klar, dass diese Entwicklung kein Automatismus ist und dass es keine Garantie gibt, dass unser Neuzugang in Zukunft ähnlich große Sprünge macht wie die aktuelle Mannschaft in dieser Saison. Ganz unrealistisch ist es indes angesichts der bisherigen Erfolgsquote von Sven Mislintat auch nicht. Wir auch immer: Der Kader der Saison 2021/2022 nimmt erste Formen an und das angesichts der komfortablen sportlichen Situation bereits im April. Könnte ich mich dran gewöhnen.
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