Der VfB hält mit einem 3:1 in Hamburg die Klasse, aber ganz ohne Zittern ging es auch diesmal nicht.
Letzte Woche schrieb ich nach dem Hinspiel noch von der besten dämlichsten Mannschaft der Liga, weil der VfB in der ersten Halbzeit am Donnerstag so viele Chancen liegen ließ, dass eine Bestrafung durch den Gast quasi unausweichlich war, nur um den schwachen Hamburgern in der zweiten Halbzeit den Stecker zu ziehen. Im Rückspiel eine ähnliche Konstellation: Immer wieder hatte HSV-Trainer Walter ein mögliches Wunder beschworen, VfB-Fans hatten sich in weiser Erfahrung sowieso schon das Schlimmste ausgemalt. Und dann passierte genau das, was alle vermeiden wollten: Der HSV ging früh in Führung und war, angetrieben von einer beeindruckenden Heimkulisse, drauf und dran, den Gesamtrückstand auf nur ein Tor zu verkürzen. VfB doing VfB things? Denkste. Enzo Millot drehte das Spiel mit wunderbarem Positionsspiel und wachem Kopf und Silas machte am Ende den Deckel drauf. 45 Minuten lang schauten Mannschaft und Fans am Montagabend in den Abgrund zweite Liga — am Ende war es aber nur ein kleines Loch im Boden, aus dem die Mannschaft schnell wieder herauskletterte.
Zur Geschichte dieser Relegation gehört ebenjene Steigerungsfähigkeit, die die Mannschaft zwei Mal an den Tag legte. Das ist Trainer Sebastian Hoeneß zu verdanken, der offensichtlich in beiden Halbzeitpausen die richtige Ansprache fand. Aber auch der Mannschaft, die sich am Riemen riss und unserer aufkeimenden Abstiegsangst schnell den Garaus machte. Dass das nach dieser Saison nicht selbstverständlich ist, zeigt die Tatsache, dass die beiden ersten Halbzeiten repräsentativ für die größten Schwächen dieser Mannschaft standen. Im Hinspiel die Chancenverwertung, im Rückspiel die mentale Reife gegen einen Gegner, der nichts mehr zu verlieren hatte. Wie auf Schalke, wie in Berlin ließ sich der VfB in der Anfangsviertelstunde von der Wucht der Heimmannschaft überrollen und brachte mit wenigen Ausnahmen bis zum Pausenpfiff kaum ein Bein auf den Boden.
Erst hasen- dann leichtfüßig
Neben einer kollektiven Hasenfüßigkeit, die in überhasteten Fehlpässen und panischen langen Bällen auf Guirassy zum Vorschein kam, waren es auch erneut individuelle Fehler, die den Gästeblock an den Rand zur Verzweiflung brachten. Diesmal war es in der Dreierkette Dinos Mavropanos vorbehalten, die Hamburger zu Torschüssen einzuladen. Der sonst so stabile rechte Innenverteidiger ließ sich ein ums andere Mal ausdribbeln und überlaufen und musste deshalb wohl nicht nur wegen seiner gelben Karte zur Pause auf der Bank Platz nehmen. Eine andere Schwachstelle war — in beiden Spielen — Torwart Florian Müller, der in seinen wohl letzten beiden Spielen eine fast schon aufreizende Lässigkeit im Aufbauspiel mit haarsträubenden Ballverlusten und Flugeinlagen ins Absurde zog. Wie gegen Köln vor einem Jahr konnte er nicht der Rückhalt sein, den die Mannschaft gegen einen stärkeren Gegner als den HSV vielleicht gebraucht hätte.
Was positiv stimmt, ist die atemberaubende Leichtigkeit, mit der die Mannschaft agieren kann, wenn sie einmal Platz und genügend Selbstvertrauen hat. Selbst wenn Tim Walters Sturheit uns in die Karten spielte: Über zwei Spiele hat der VfB den HSV trotz der schwachen ersten Halbzeiten ziemlich auseinander genommen, hätte in Summe noch viel mehr Tore erzielen müssen. Die Mannschaft weiß also wie es geht und sieht auch, wie sie dahin kommen kann. Sie muss es nur abrufen. Ohne einer Saisonanalyse vorgreifen zu wollen: Die größte Aufgabe von Sebastian Hoeneß und Fabian Wohlgemuth wird es sein, der Mannschaft mehr mentale Stabilität zu verleihen und sie damit krisenfester zu machen. Dass wir zum zweiten Mal in Folge auf der Rasierklinge in die nächste Bundesliga-Saison reiten, hat nämlich neben vielen anderen Faktoren auch mit der Unbeständigkeit der Jungs auf dem Rasen zu tun.
Geschenk Bundesliga
Aber: Wir haben es schon wieder geschafft und können uns auf ein weiteres Jahr Bundesliga freuen. Was früher eine Selbstverständlichkeit war, ist mittlerweile ein Geschenk. Gleichzeitig herrscht bei mir vor allem Erleichterung vor, dass der sportliche und finanzielle worst case nicht eingetreten ist und wir die Mannschaft nicht wie 2016 und 2019 notverkaufen müssen und uns gleichzeitig Elversberg und Rostock im Tunnelclub angucken müssen. Ansonsten gilt, wie es schon vor Jahren und jetzt wieder auf einem Spruchband stand: Nichts erreicht, nur verhindert. Aber das ist ein anderes Thema.
An dieser Stelle großen Respekt an die Anhänger des HSV, die in beiden Spielen auf den Rängen eine phänomenale Leistung zeigten und damit ganz klar genauso in die Bundesliga gehören wie wir. Leider kann man das gleiche nicht unbedingt über ihre Mannschaft sagen, aber vielleicht klappt es ja im nächsten Jahr.
Endlich Sommerpause (auf dem Rasen). Endlich ist die Saison vorbei. Endlich.
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