Kostet der VfB Pellegrino Matarazzo den Job? Oder stolpern wir wie schon vor einem Jahr daheim gegen Hoffenheim? Vor der Partie sprachen wir mit Experte Niko Beck, stellvertretender Ressortleiter Sport der Rhein-Neckar-Zeitung.
Rund um den Brustring: Was hat sich über den Sommer bei der TSG verändert?
Niko: Was hat sich bei der TSG über den Sommer nicht verändert, wäre die bessere Frage. Nein, im Ernst: Das Personalbeben auf Führungsebene mit sämtlichen Nachwehen hat den Klub bis ins Mark erschüttert. Aber es ist ja noch viel mehr passiert. Ich wage mal eine chronologische Auflistung: Präsident Kristian Baumgärtner wird ohne Gegenstimme oder Enthaltung Mitte Juni wiedergewählt. Drei Wochen später tritt er, offiziell aus gesundheitlichen Gründen, mit sofortiger Wirkung zurück. Die Zweite Vorsitzende Simone Engelhardt übernimmt interimsweise den Vorsitz des Vereins, der ja seit der Rückgabe der Stimmmehrheit von Hauptgesellschafter Dietmar Hopp an den e.V. formal wieder das Sagen bei der Spielbetriebs GmbH hat. Zwei Tage später wird mit Dr. Markus Schütz ein neuer Vorsitzender der GmbH-Geschäftsführung berufen. Wohl auch, um das nicht unbelastete Verhältnis der bisherigen drei Geschäftsführer Alexander Rosen, Denni Strich und Jan Mayer zu befrieden.
Ohne einen einzigen Neuzugang und ohne beispielsweise Leihstürmer Wout Weghorst startet die TSG Ende Juli ins Trainingslager nach Kitzbühel. Zwei Tage nach der Ankunft wird Alexander Rosen abberufen und gleichzeitig verkündet, dass auch der Technische Direktor Bastian Huber gehen muss und Denni Strich und Jan Mayer Ende Oktober ebenfalls aus der Geschäftsführung ausscheiden. Am Tag danach verlässt auch Leiter Profifußball Pirmin Schwegler den Verein – und Frank Kramer, eigentlich Nachwuchschef, übernimmt die sportliche Leitung interimsweise. Das Trainingslager ist noch nicht beendet, da wird bekannt, dass Trainer Pellegrino Matarazzo ernsthaft mit einem Abschied liebäugelt, weil der US-Verband angeklopft hat. Mit Maxi Beier wird wenige Tage vorm Pflichtspielauftakt der Shooting Star der Vorsaison verkauft. Dagegen kommen in den letzten Wochen der Transferperiode gleich sieben Neuzugänge, darunter der österreichische EM-Teilnehmer Alexander Prass, Adam Hlozek von Bayer Leverkusen als neuer Hoffenheimer Rekord-Einkauf und Zweitliga-Torschützenkönig Haris Tabakovic. In nicht alle Transfers ist Matarazzo eingeweiht. Die kleine, aber meinungsstarke Fanszene stellt den Support aus Protest gegen die Vereinsführung und den vermeintlich immer noch (zu) großen Einfluss von Dietmar Hopp ein, zeigt beim Liga-Auftakt daheim gegen Kiel dafür über 40 (!) verschiedene Protestbanner. Erst nachdem sich auch der Mannschaftsrat in der vergangenen Woche eingeschaltet hat, wird wieder angefeuert.
Wie war der Saisonstart für die TSG. Ist man enttäuscht oder hat man mit Startschwierigkeiten gerechnet?
Natürlich haben eigentlich alle Experten der TSG einen schweren Start prognostiziert. Nach dem mühsamen Pokal-Triumph im Elfmeterschießen in Würzburg und dem 3:2‑Auftaktsieg in der Liga daheim gegen Aufsteiger Kiel folgten vier Liga-Pleiten in Serie. Zuletzt ein 3:4 im eigenen Stadion gegen Bremen – nachdem man nach 12 Minuten 3:0 in Führung lag. Nun gibt es dazu verschiedene Lesarten: Die des Trainers, wonach sich die Mannschaft nach allem, was auf sie in den vergangenen Monaten „eingeprasselt“ ist, gerade in der Stabilisierungsphase befinde, aber in dieser eben noch nicht weit genug sei, um mit einem 3:0 im Rücken eine frühe Rote Karte wie die gegen Stanley Nsoki nach nicht einmal 20 Minuten zu verkraften. Die andere ist die des Klubs, bzw. der Gesellschafter, allen voran Dietmar Hopps: 15 Gegentore in fünf Spielen, drei Punkte und aktuell Rang 16 sei trotz der Unruhe im Umfeld viel zu wenig mit einer Mannschaft, die im Vorjahr Siebter wurde. Ob dies verdient oder lediglich mit viel Glück und aufgrund einer schwächeren Konkurrenz gelungen war, auch darüber gehen die Meinungen auseinander. Kurzum: Trainer Matarazzo wackelt schon seit seiner Ankunft, aktuell aber mehr denn je. Er selbst glaubt daran, den Turnaround zu schaffen, weiß aber ganz genau, dass er dazu vielleicht keine Chance mehr bekommen wird. Unabhängig davon, dass der Start in die Europa League mit dem 1:1 beim FC Midtjylland und dem 2:0 daheim gegen Dynamo Kiew eigentlich gelungen ist.
Was ist das Saisonziel? Will man wieder nach Europa?
Zumindest will man um die internationalen Plätze mitspielen, ja. Dieses Ziel hat Dietmar Hopp vor der vorletzten Spielzeit als dauerhaften Anspruch der TSG ausgegeben. Außerdem: Wenngleich die Neuzugänge (zu) spät und (zu) teuer waren: Über 50 Millionen hatte der Dorfklub in einer Transferperiode zuvor noch nie ausgegeben. Das unterstreicht ja durchaus ambitionierte Ziele.
Die geringen Auslastung in der PreZero-Arena sind mittlerweile ein Running Gag. Hat man Pläne mehr Zuschauende aus der Region anzulocken oder ist das den Verantwortlichen nicht wichtig?
Das ist in der Tat ein leidiges Thema und ein ganz zentrales für die Klubführung, die bislang noch keine Lösung für die rückläufigen Zuschauerzahlen gefunden hat. Allerdings stelle ich mal eine rhetorische Gegenfrage: Würde der VfB eine Arena mit über 600.000 Zuschauern füllen können? Eher nicht. Hoffenheim hat knapp über 3.000 Einwohner, ganz Sinsheim 35.000. Das Stadion böte fast allen, nämlich 30.150 Zuschauern Platz. Die TSG muss also vor allem Menschen aus der Region anlocken, konkurriert aber im weiteren Umfeld mit dem SV Waldhof, dem 1. FC Kaiserslautern oder dem Karlsruher SC mit Publikumsmagneten. Dazu ist in der Metropolregion Rhein-Neckar das Spitzensport-Angebot so breit wie nirgendwo anders in der Republik. Rhein-Neckar Löwen, Adler Mannheim, MLP Academics und vieles mehr. Das führt durchaus zu einer Art Kannibalisierungseffekt.
Wie würdest du den Hoffenheimer Fußball beschreiben? Was sind die Stärken und Schwächen?
Der Fußball unter Matarazzo ist variabel angelegt. Nicht nur was die Grundformation – mal mit Dreier‑, mal mit Viererkette, aber auch changierend im Spielaufbau; mal mit zwei Spitzen, mal mit zwei Achtern/Zehnern – angeht. Auch das Anlaufverhalten und die Höhe der Kette variieren. Eine große Schwäche sind die vielen Gegentore, die oft der ungenügenden Restverteidigung geschuldet sind. Schon vergangene Saison waren es 66. Nur drei Klubs hatten mehr kassiert. Matarazzo betont in diesem Zusammenhang stets, auch nicht ganz zu Unrecht, dass sein Team allerdings auch 66 Tore geschossen hat. Ihm ist ein 3:2 lieber als ein 1:0. Ein anderes Thema, was die TSG eigentlich schon seit Jahren – mal mehr, mal weniger – beschäftigt, ist die Schwäche bei Standardsituationen.
Die TSG ist der letzte Gegner, der den VfB zuhause schlagen konnte. Was muss der VfB machen, damit sich das nicht wiederholt?
Klingt leichter, als es ist: Aber ganz generell müsste der VfB Kramaric auf den Füßen stehen und die letzte Reihe der TSG immer wieder in Laufduelle schicken. Wenn es sein muss, einfach auch mit einem langen Schlag tief aus der eigenen Hälfte heraus. Frankfurt und Leverkusen etwa haben die Probleme des Hoffenheimer Abwehrverhaltens diesbezüglich schonungslos offengelegt.
Erleben wir bei einer Niederlage für die TSG die erste Trainerentlassung der Saison?
Ich fürchte, ja. Und ich fürchte, nicht nur im Falle einer Niederlage.
Dein Tipp für das Spiel?
Mich würde es nicht wundern, wenn sich „Hoffe“ mit 30 Prozent Ballbesitz ein 2:2 erkämpft.
Titelbild: © Christian Kaspar-Bartke/Getty Images