In Wolfsburg holt der VfB unter widrigen Umständen spät noch einen Punkt gegen einen Gegner, der kaum was will, aber viel bekommt. Ein Spiel wie ein Boxkampf.
Unterm Strich muss man sich mit dem Unentschieden beim VW-Club vermutlich zufrieden geben. Zwei Mal ließ sich der VfB nach Ballverlusten im Mittelfeld von der extremen Beschleunigung überraschen, die vor allem Wolfsburgs Neuzugang Mohammed Amoura an den Tag legt, aus den eigenen insgesamt 18 abgegebenen Schüssen machten die Brustringträger zu wenig, konnten sich aber auf die Qualität eines Enzo Millot — der seinen schwachen Elfmeter im Nachschuss verwandelte — und eines Deniz Undav — der bis zur vorletzten Minute vor dem Tor hellwach blieb — verlassen. Andererseits war in diesem Spiel so viel mehr drin, hätte man mehr Mittel gegen eine Wolfsburger Mannschaft gefunden, die sich anstellte wie dereinst Osnabrück, Kiel oder Wehen in der zweiten Liga und sich ohne Undavs späten Ausgleich nicht hätte erklären können, wie sie dieses Spiel gewonnen hätte.
So trägt der VfB am Ende einen Punktsieg davon, denn zum einen ergab sich aus dem Spielverlauf eher ein gewonnener statt zwei verlorene Zähler. Zum anderen kann niemand ernsthaft wollen, dass eine Mannschaft, deren Kapitän eine Verletzung simuliert, die seinem Gegenspieler einen Platzverweis einbringt und der auch später keine Reue zeigt, am Ende den Sieg davon trägt. Nicht nur die Wertung dieses Spiels mutet wie ein Boxkampf an, auch das Spiel selber. Denn eigentlich hätte Maxi Arnold selber mit gelb-rot vom Platz gemusst, nachdem er in der ersten Halbzeit schon mit dem Arm voran in einen Zweikampf mit Enzo Millot gegangen war. Ganz zu schweigen vom bereits erwähnten Amoura, der aller Schnelligkeit zum Trotz das Nachsehen gegenüber Jamie Leweling hatte und deshalb mit gestreckten Bein und offener Sohle von hinten zur Grätsche ansetzte und den VfB-Angreifer nur knapp verfehlte. Der auch in dieser Szene hektisch agierende Sven Jablonski zeigte erst Rot, was für seinen Assistenten im Keller wiederum eine klare Fehlentscheidung zu sein schien. Die wirklich krasse Fehlentscheidung konnte wegen der verqueren Anwendung des VAR nicht revidiert werden und auch die Assistenten auf dem Feld fielen auf Arnolds Theaterstück herein oder wollten ihren Chef nicht doof aussehen lassen — man weiß nicht, was schlimmer ist.
Qualität trotz vermeidbarer Fehler
Nun hat der VfB nicht notwendigerweise wegen der zweiten unterirdischen Schiedsrichterleistung im fünften Ligaspiel Punkte liegen lassen. Die Ballverluste vor den Gegentoren waren genauso vermeidbar wie die Mainzer Karnevalssitzung in unserem Fünf-Meter-Raum. Dennoch fällt es schwer, der Mannschaft nach dieser Partie große Vorwürfe zu machen. Ja, Wolfsburg stand tief, presste aggressiv und dachte sich
aber trotzdem zog der VfB das Spiel auf, das schon gegen eine luftigere Verteidigung wie die des BVB zum Erfolg geführt hatte. Es fehlte eben nur jedes Mal der eine oder andere Zentimeter oder es war ein Bein zu viel im Weg, ohne dass man gleichzeitig von den Gastgebern viel befürchten musste. Und womöglich wäre man bei der gleichen Anzahl von Spielern auf dem Feld auch zum dreifachen Punktgewinn gekommen. So überwiegt am Ende die Erleichterung, noch einen Punkt mitgenommen zu haben und nach der an Highlights reichen englischen Woche keinen Durchhänger erlitten zu haben.
Auch der späte Ausgleich dürfte bei der Mannschaft nochmal das Selbstvertrauen in die eigene Qualität gestärkt haben, die sie für das zweite Champions League-Spiel gegen die Wundertüte Sparta Prag brauchen wird. Natürlich hat man beim VfB den Gegner analysiert, trotzdem wusste man bei einem Gegner wie Real Madrid viel eher, welche Qualität da auf einen zukommt. Unterschätzen sollte man den tschechischen Double-Sieger nicht, die am Freitagabend ihre erste Saisonniederlage verkraften mussten. Verstecken muss man sich aber vor ihnen genauso wenig wie vor Hoffenheim, die am Sonntag eine 3:0‑Führung gegen Bremen im eigenen Stadion verspielten und bei denen zu sehen sein wird, ob Ex-VfB-Trainer Pellegrino Matarazzo nochmal in seiner derzeitigen Funktion ins Neckarstadion zurückkehrt.
Vielleicht ist dann auch Atakan Karazor wieder an Bord, sollte der VfB am grünen Tisch einen weiteren Punktsieg davon tragen und der Einspruch gegen die Sperre für den Kapitän Erfolg haben. Zu erwarten ist das beim DFB nicht, der den immerhin ehrlichen und mutigen Sven Jablonski vermutlich unnötigerweise schützen will. Und so ehrenhaft das Eingeständnis seines Fehlers auch ist: Die Bundesliga hat nicht erst seit diesem Wochenende ein massives Problem mit der Leistung der Schiedsrichter, selbst derjenigen, die den DFB international vertreten. Den VfB wirft dieses Unentschieden nicht aus der Bahn, für den DFB ist dieser Spielverlauf ein Armutszeugnis.
Zum Weiterlesen: Der Vertikalpass lobt “dass der VfB die Ungerechtigkeiten von Jablonksi nicht als Alibi nutzte, um sich aufzugeben”. Stuttgart.international stellt fest: “Bei aller Kritik am Reglement darf man allerdings nicht verschweigen, dass jede Regel und jedes Hilfsmittel wenig bringt, wenn die Schiedsrichter auf dem Platz überfordert sind.”
Titelbild: © Selim Sudheimer/Getty Images