Der VfB gewinnt ein außergewöhnliches Heimspiel gegen Mainz und setzt seine Siegesserie in der Liga fort. Die nächsten drei Punkte waren nach der Enttäuschung von Istanbul nicht nur für die Tabelle wichtig, am Ende aber fast Nebensache.
Was für ein Kontrastprogramm: Am Donnerstag noch Stress, Beschimpfungen und null Punkte. Am Sonntagnachmittag hingegen: Kontrolle, ein sportlicher Umgang und drei Punkte. Okay, das ist vielleicht etwas holzschnittartig, schließlich hatten die verbalen Auseinandersetzungen rund um das Spiel bei Fenerbahce die sowohl auf dem Platz und auf den Rängen, als auch im Netz stattfanden, ganz unterschiedliche Hintergründe, die es zu differenzieren galt. Und auch am Sonntag ließ Nadiem Amiri jeglichen Anstand vermissen, hatte aber immerhin hinterher die Größe, sich öffentlich zu entschuldigen. Die Diskriminierungen gegen Deniz Undav hingegen bleiben von der UEFA, wie Benni Hofmann berichtet, wohl ungesühnt — aber wehe, irgendwo geht eine Fackel an oder es steht, Gott bewahre, “FUCK UEFA” auf einem Spruchband. Dann kennen die hohen Herren in Nyon, keinen Spaß. Es geht schließlich um die Verwertbarkeit des eigenen Produkts. Und auch am Sonntag hätten sich wohl alle im Stadion andere Begleitumstände für dieses Spiel gewünscht, in dem auch sportlich aus VfB-Sicht nicht alles Gold war, was glänzte.
Fangen wir mit dem Positiven an: Der Mensch, der im Gästeblock Mitte der ersten Halbzeit medizinische Unterstützung benötigte, konnte im Laufe des Spiels in stabiler medizinischer Lage ins Krankenhaus gebracht werden. An dieser Stelle weiterhin gute Besserung! In solchen Momenten wird dann wieder deutlich, dass es sich bei Fußballfans, gerade auch bei den in Ultragruppen organisierten, eben nicht um die brandschatzenden und raubmordenden Horden handelt, die Innenminister gerne heraufbeschwören, um an ihnen ihren ordnungspolitischen Fetisch auszuleben. Ich will mich jetzt gar nicht weiter an Amiri aufhalten, mit der Entschuldigung ist das Thema für mich gegessen. Im Fernsehen konnte man mutmaßlich sehen, wie Schiedsrichter Zwayer die Mannschaftskapitäne über die Umstände des eingestellten Supports aufklärte — sicherlich auch nicht einfach, wenn die Kulisse plötzlich weg ist. Als sich die Lage gebessert hatte und es wieder lauter wurde, schrieb das Spiel die schönste Geschichte dieser Woche: Deniz Undav nahm einen langen Abschlag von Assist-König Alex Nübel auf und lupfte den Ball vor einer ausrastenden Cannstatter Kurve über den Mainzer Torwart hinüber ins Glück. Jene Kurve, die schnell auf die Vorkommnisse vom Donnerstag reagiert und Undav vor dem Spiel ihre Solidarität ausgedrückt hatte. Liebe in Bad Cannstatt.
Führich bewirbt sich
Dass es so kommen würde, war die Hoffnung, aber wir kennen ja unseren Verein. Trainer Sebastian Hoeneß schuf bereits vor Anpfiff außergewöhnliche Umstände, in dem er die Startelf vom Fenerbahce-Spiel bis auf den Torhüter komplett austauschte. So kamen Spieler wie Pascal Stenzel und Dan-Axel Zagadou zu kaum erwarteteten Comebacks und Josha Vagnoman fand sich plötzlich auf der anderen Seite des Spielfelds wieder. Sicherlich eine Maßnahme, die nicht nur der anstrengenden Reise nach Istanbul und den tiefstehenden Mainzern zuzusprechen ist, sondern auch der Tatsache, dass man sich bereits am Mittwoch im Pokal schon wieder trifft. Am Ende gibt der Erfolg Hoeneß recht, macht es aber auch schwer den Auftritt des VfB zu bewerten. Wie schon gegen Wolfsburg hatte man den Gegner auch mit der neuformierten Dreierkette im Griff, auch wenn die Mainzer nicht ganz so harmlos waren wie der letzte Gegner. Und hätte das IFAB die Handspielregel in den letzten Jahren nicht komplett massakriert und pervertiert, dann wäre der VfB erneut ohne Gegentor geblieben und Amiri hätte sich nicht zum Clown gemacht. Offensiv hingegen blieb vieles erneut Stückwerk. Der VfB machte Druck und spielte sich gefährlich bis an den Strafraum und gönnte dabei weder sich noch dem Gegner eine Ruhepause. Wirklich gefährlich wurde es leider selten — bis dann Chris Führich die nächste Comeback-Geschichte schrieb und mit einem Traumtor die Bewerbung für die Nachfolge von Ermedin Demirovic als Torschütze des Monats abgab. Führich hatte es im Rahmen der großen Rotation ins Team gespült und diesmal nutzte er seine Chance.
Was aber lässt sich aus diesem Spiel ableiten? Der VfB ist auf jeden Fall breit genug aufgestellt, um in der Liga gegen Abstiegskandidaten auch mit den hinteren Kaderplätzen zu bestehen, wenn auch knapp. Die Konsequenz in den Abschlüssen war aber schon am Donnerstag ein Thema und wird es vielleicht am Mittwoch im Pokal, auf jeden Fall aber im Spitzenspiel bei Salzburg-Nord am Samstag sein. Optimal wäre es, wenn bei Deniz Undav der Knoten jetzt geplatzt ist, aber auch auf Spieler wie Bilal El Khannouss und Tiago Tomás wird es wieder ankommen. Immerhin kann man — auch wenn es größenteils gegen das untere Tabellendrittel ging — festhalten, dass der VfB seine Defensivschwäche der letzten beiden Jahre in den Griff bekommen hat. Und Sebastian Hoeneß beweist erfolgreich den Mut, den man auch von der Mannschaft immer wieder einfordert. In den kommenden Wochen stehen wichtige Spiele gegen schwere Gegner in der Liga — Leipzig, Dortmund — und im Europapokal — Feyenoord, auswärts in Deventer — an und Mannschaft und Trainer müssen Wege finden, quantitativ und qualitativ mehr Torgefahr zu erzeugen. Abgesehen davon ist es schön zu sehen, wie Mannschaft und Kurve zusammenhalten — Grüße gehen raus an Tiago Tomás — egal wie ungewöhnlich die Umstände sind.
Zum Weiterlesen: Der Vertikalpass zählt auf, wer nach dem Spiel in Bad Cannstatt alles happy ist.
Titelbild: © Yunus Yazici / VfB Stuttgart