Nachdem Champions-League-Glamour in Turin und München wartet am Samstag zuhause der Bundesligaalltag. Zu Gast ist der Bundesliga-Neuling Holstein Kiel. Wie es bei den Störchen so läuft, verraten uns Chris und Falafel.
Rund um den Brustring: Wie bewertet Ihr die Saison bisher? Seid Ihr zufrieden oder hattet Ihr mit mehr gerechnet?
Chris/Falafel: Moin und danke für die Einladung, dass wir hier unsere Meinung zum Besten geben können. Selbstverständlich sind wir enttäuscht, aber sind wir mal ganz ehrlich: Wir haben mit nichts anderem gerechnet. Es wird der besagte “Kampf um den Klassenerhalt”. Was nervt, sind die Spiele gegen Hoffenheim, Wolfsburg und Bochum. Sogenannte 6‑Punkte-Spiele gegen unmittelbare Tabellennachbarn und Gegner, die man vor der Saison bereits ausgemacht hat als direkte Konkurrenten im unteren Liga-Drittel. Holstein hat oftmals Phasen, in denen das Team sehr gut mithält und mitunter sogar den Ton angibt. Jedoch reichen dann die Klasse und die Körner nicht aus und es kommen individuelle Fehler hinzu, die die Gegner gekonnt ausnutzen. Jeder spürt es und man sagt sich selbst “Die Jungs können es, Holstein ist nicht weit weg”. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Wie schätzt du die Chance auf den Klassenerhalt für Kiel?
Schlecht, wenn man weiter ca. drei Tore durchschnittlich pro Spiel eingeschenkt bekommt. Das hält kein Team durch. Wenn man die Klasse halten will, dann wird man im Winter transfertechnisch nochmal nachlegen müssen. Das Augenmerk dürfte auf die Innenverteidigung, einen weiteren rechten Verteidiger zur Entlastung von Timo Becker und einen qualitativ hochwertigeren Mittelstürmer fallen. Ansonsten schätze ich die Teamchemie als sehr gut ein und die Jungs müssen einfach erfahrener werden um mit bestimmten Situationen besser umzugehen.
Die letzten beiden Duelle konnte Kiel damals in der zweiten Liga gewinnen. Auch damals ging Stuttgart als Favorit in das Spiel. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass dies wiederholt wird?
Die Ausgangssituation ist eine komplett andere, mit anderen Akteuren auf beiden Seiten. Der VfB hat die Favoritenrolle klar für sich gepachtet. Kiel muss wie in jeder anderen Bundesligapartie, das Spiel als ein Endspiel betrachten und 120 Prozent geben, um überhaupt eine Chance zu haben.
Mit Tim Walter, Markus Anfang, Ole Werner und jetzt Marcel Rapp haben einige Trainertalente Ihren Durchbruch in Kiel erlebt. Zufall oder ist da ein System dahinter?
In Kiel ist es ruhig (auch betrachtet im medialen Sinne) und der Verein und dessen Funktionäre können sich in Ruhe Trainer und Trainerprojekte anschauen, um den idealen für sich zu finden. Es müssen keine voreiligen Handlungen getroffen werden um “People Pleaser” zu spielen. Zudem wird dem Trainer ein weitreichendes Vertrauen eingeräumt und selbst in schweren Zeiten, genießt der Trainer immer noch vollstes Vertrauen der Vereinsführung.
Wie würdet Ihr Euren Fußball beschreiben? Was sind die Stärken und Schwächen?
Rapp verfolgt eine klare Identität und handelt nach strikten Prinzipien. Ganz nach seinem taktischen Vorbild Gian Piero Gasperini, verlangt er seinen Spielern taktische Disziplin, aber auch eine gewisse Flexibilität auf dem Feld ab. Immer wieder springt mir gerade Holsteins Angriffspressing positiv ins Auge. Besonders Shuto Machino und Routinier Lewis Holtby — der gegen den VfB leider verletzungsbedingt pausieren muss — stechen hier als erster akribischster Anläufer und lautstarker Koordinator heraus. Bei aussichtsreichen Pressingsituationen wird folgend aus dem Mittelfeld hochgeschoben und wichtige Ankerpunkte des Gegners werden durch intelligentes Zustellen aus dem Spiel genommen. Bedauerlicherweise konnten wir in dieser Saison noch nicht viel Kapital daraus schlagen und wurden auch schon das ein oder andere Mal für die dadurch gerissenen Lücken mit linienbrecheneden Bällen von Weltklassespielern bestraft.
Als Schwäche sehen wir — noch — den Spielaufbau. Das Zentrum musste sich vor der Saison durch den Wegfall des abgewanderten Aufstiegskapitäns Philipp Sander neu formieren. Die beiden Neuzugänge Magnus Knudsen und Armin Gigovic ergänzten das bestehende Mittelfeld aus Lewis Holtby und Bulldozer Nicolai Remberg durch Spielerprofile, die wir in der Vorsaison so nicht im Kader hatten. Beide denken vertikal, Knudsen bewies sich phasenweise bereits als handlungsschneller, pressingresistenter Ankerspieler und Gigovic wusste vor allem durch seine Tiefenläufe zu überzeugen, welche unter anderem zum Ehrentreffer gegen die Bayern führten. Dennoch merkt man stark, dass dort Spieler und Profile zusammengeworfen wurden, die noch nicht auf dem geforderten Niveau harmonieren. Oft werden Laufwege falsch antizipiert oder das Spiel aufgrund des gegnerischen Pressings verlangsamt. Das frustriert, aber ich denke, das ist alles eine Frage der Erfahrung. Mit der Zeit wird das Verständnis füreinander wachsen und derartige Fehler werden abgestellt, das Spiel wird wieder fluider. Fraglich bleibt jedoch, ob der ersehnte Klassenerhalt zu diesem Zeitpunkt nicht schon in unerreichbare Ferne gerückt sein wird.
Welcher ist für Euch Kieler Spieler der Saison?
Die Saison ist noch nicht so alt, aber für mich die herausstechenden Spieler sind mein “My Guy” Shuto Machino, der in sehr guter Form ist. Außerdem die fragwürdigen Transfers vom FK Rostov aus Russland, Armin Gigovic und Magnus Knudsen.
Was ist Euer Tipp und Gefühl für das Spiel?
Wir tippen natürlich auf Kiel mit einem 2:3, rechne aber mit einem klaren 3:1 für den VfB.
Vielen Dank!
Titelbild: © Selim Sudheimer/Getty Images